Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

"Aber lassen wir dieses betrübende Schauspiel," so fährt unser Bericht
fort, "lassen wir Jackson sich durch blitzschnelle Bewegungen den drei gegnerischen
Generalen entziehen. Er hatte seinen Zweck erreicht. Seine kühne Finte hatte
die Verbindung Mac Clellans und Mac Dowells in der Stunde vereitelt, wo
sie entscheidend war. Von jetzt an hatte die Potomac-Arme nur auf die eigne
Kraft zu zählen. Man mußte sich beeilen, zu handeln; denn jeder Tag ver¬
mehrte die Ungleichheit zwischen den beiden Gegnern, und es stand zu fürchten,
daß die Föderalisten in den Sümpfen des Chikahominy nicht im Stande sein
würden, die große Sommerhitze zu ertragen, welche sich bereits ankündigte.
Seit einigen Tagen stand man dem Feinde unmittelbar gegenüber. Die födera¬
listischen Vorposten campirten fünf englische Meilen von Richmond. Täglich
kamen Scharmützel vor, und mit Begier sah man auf beiden Seiten einer
Hauptaction entgegen. General Mac Clellan erwartete zum Angriff noch zwei
Dinge: daß die durch den Regen grundlos gewordenen Straßen wieder fester
wurden, und daß die zahlreichen Brücken, welche er über den Chikahominy zu
schlagen befohlen, der Vollendung nahe kamen. Die Brücken waren eine un¬
umgängliche Nothwendigkeit; man konnte ohne sie nichts thun. Die Disposition
der Orte, die Unmöglichkeit, sich von der Eisenbahn zu entfernen, welche die
Lebensader des Heeres war, und die Pflicht, vor einer Schwenkung des Fein¬
des auf der Hut zu sein, hatten den General genöthigt, seine Truppen in zwei
Flügel aus den beiden Ufern des Flusses zu theilen. Mit andern Worten: es
war von Wichtigkeit, sie rasch, sei es aus dem rechten Ufer zur Offensive gegen
die conföderirte Armee vor Richmond, sei es auf dem linken, um sich der
erwähnten Schwenkung entgcgenzuwerfen, vereinigen zu können. Diese Schwen¬
kung war in der That sehr zu fürchten. Die Conföderirten waren Meister
verschiedener Positionen am oberen Chikahominy geblieben, von denen aus sie
leicht die vortrefflichen Stellungen, welche dessen linkes Ufer darbot, gewinnen
konnten, sobald die Armee des Nordens dieselben aufgab. Sie würden auf diese
Weise letztere auf dem rechten Ufer eingeschlossen, blockirt, ausgehungert und
folglich in eine ungemein bedenkliche Lage gebracht haben.

Unglücklicher Weise zog sich auf Seiten der Föderalisten Alles in die Länge.
Es dauerte lange, ehe die Straßen trockneten, ehe die Brücken fertig wurden.
Niemals haben wir ein so regnerisches Jahr erlebt, sagten die stereotypen
"ältesten Leute der Gegend". Niemals haben wir Brücken gesehen, die so
schwer zu bauen waren, ließen sich die Ingenieure vernehmen. Der verwünschte
Fluß spottete aller ihrer Anstrengungen. Zu geraden Laufs, um sich eine
Schiffbrücke gefallen zu lassen, zu tief und zu schlammig für eine Bockbrücke,
hier nur ein großer Bach von zehn Meter Breite, aber zwischen zwei Bänken
von Triebsand fließend, in welchen die Pferde bis zur Brust einsanken, dort in
tausend kleine Rinnsale getrennt, über eine Fläche von dreihundert Meeres be-


„Aber lassen wir dieses betrübende Schauspiel," so fährt unser Bericht
fort, „lassen wir Jackson sich durch blitzschnelle Bewegungen den drei gegnerischen
Generalen entziehen. Er hatte seinen Zweck erreicht. Seine kühne Finte hatte
die Verbindung Mac Clellans und Mac Dowells in der Stunde vereitelt, wo
sie entscheidend war. Von jetzt an hatte die Potomac-Arme nur auf die eigne
Kraft zu zählen. Man mußte sich beeilen, zu handeln; denn jeder Tag ver¬
mehrte die Ungleichheit zwischen den beiden Gegnern, und es stand zu fürchten,
daß die Föderalisten in den Sümpfen des Chikahominy nicht im Stande sein
würden, die große Sommerhitze zu ertragen, welche sich bereits ankündigte.
Seit einigen Tagen stand man dem Feinde unmittelbar gegenüber. Die födera¬
listischen Vorposten campirten fünf englische Meilen von Richmond. Täglich
kamen Scharmützel vor, und mit Begier sah man auf beiden Seiten einer
Hauptaction entgegen. General Mac Clellan erwartete zum Angriff noch zwei
Dinge: daß die durch den Regen grundlos gewordenen Straßen wieder fester
wurden, und daß die zahlreichen Brücken, welche er über den Chikahominy zu
schlagen befohlen, der Vollendung nahe kamen. Die Brücken waren eine un¬
umgängliche Nothwendigkeit; man konnte ohne sie nichts thun. Die Disposition
der Orte, die Unmöglichkeit, sich von der Eisenbahn zu entfernen, welche die
Lebensader des Heeres war, und die Pflicht, vor einer Schwenkung des Fein¬
des auf der Hut zu sein, hatten den General genöthigt, seine Truppen in zwei
Flügel aus den beiden Ufern des Flusses zu theilen. Mit andern Worten: es
war von Wichtigkeit, sie rasch, sei es aus dem rechten Ufer zur Offensive gegen
die conföderirte Armee vor Richmond, sei es auf dem linken, um sich der
erwähnten Schwenkung entgcgenzuwerfen, vereinigen zu können. Diese Schwen¬
kung war in der That sehr zu fürchten. Die Conföderirten waren Meister
verschiedener Positionen am oberen Chikahominy geblieben, von denen aus sie
leicht die vortrefflichen Stellungen, welche dessen linkes Ufer darbot, gewinnen
konnten, sobald die Armee des Nordens dieselben aufgab. Sie würden auf diese
Weise letztere auf dem rechten Ufer eingeschlossen, blockirt, ausgehungert und
folglich in eine ungemein bedenkliche Lage gebracht haben.

Unglücklicher Weise zog sich auf Seiten der Föderalisten Alles in die Länge.
Es dauerte lange, ehe die Straßen trockneten, ehe die Brücken fertig wurden.
Niemals haben wir ein so regnerisches Jahr erlebt, sagten die stereotypen
„ältesten Leute der Gegend". Niemals haben wir Brücken gesehen, die so
schwer zu bauen waren, ließen sich die Ingenieure vernehmen. Der verwünschte
Fluß spottete aller ihrer Anstrengungen. Zu geraden Laufs, um sich eine
Schiffbrücke gefallen zu lassen, zu tief und zu schlammig für eine Bockbrücke,
hier nur ein großer Bach von zehn Meter Breite, aber zwischen zwei Bänken
von Triebsand fließend, in welchen die Pferde bis zur Brust einsanken, dort in
tausend kleine Rinnsale getrennt, über eine Fläche von dreihundert Meeres be-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0442" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/115294"/>
            <p xml:id="ID_1408"> &#x201E;Aber lassen wir dieses betrübende Schauspiel," so fährt unser Bericht<lb/>
fort, &#x201E;lassen wir Jackson sich durch blitzschnelle Bewegungen den drei gegnerischen<lb/>
Generalen entziehen. Er hatte seinen Zweck erreicht. Seine kühne Finte hatte<lb/>
die Verbindung Mac Clellans und Mac Dowells in der Stunde vereitelt, wo<lb/>
sie entscheidend war. Von jetzt an hatte die Potomac-Arme nur auf die eigne<lb/>
Kraft zu zählen. Man mußte sich beeilen, zu handeln; denn jeder Tag ver¬<lb/>
mehrte die Ungleichheit zwischen den beiden Gegnern, und es stand zu fürchten,<lb/>
daß die Föderalisten in den Sümpfen des Chikahominy nicht im Stande sein<lb/>
würden, die große Sommerhitze zu ertragen, welche sich bereits ankündigte.<lb/>
Seit einigen Tagen stand man dem Feinde unmittelbar gegenüber. Die födera¬<lb/>
listischen Vorposten campirten fünf englische Meilen von Richmond. Täglich<lb/>
kamen Scharmützel vor, und mit Begier sah man auf beiden Seiten einer<lb/>
Hauptaction entgegen. General Mac Clellan erwartete zum Angriff noch zwei<lb/>
Dinge: daß die durch den Regen grundlos gewordenen Straßen wieder fester<lb/>
wurden, und daß die zahlreichen Brücken, welche er über den Chikahominy zu<lb/>
schlagen befohlen, der Vollendung nahe kamen. Die Brücken waren eine un¬<lb/>
umgängliche Nothwendigkeit; man konnte ohne sie nichts thun. Die Disposition<lb/>
der Orte, die Unmöglichkeit, sich von der Eisenbahn zu entfernen, welche die<lb/>
Lebensader des Heeres war, und die Pflicht, vor einer Schwenkung des Fein¬<lb/>
des auf der Hut zu sein, hatten den General genöthigt, seine Truppen in zwei<lb/>
Flügel aus den beiden Ufern des Flusses zu theilen. Mit andern Worten: es<lb/>
war von Wichtigkeit, sie rasch, sei es aus dem rechten Ufer zur Offensive gegen<lb/>
die conföderirte Armee vor Richmond, sei es auf dem linken, um sich der<lb/>
erwähnten Schwenkung entgcgenzuwerfen, vereinigen zu können. Diese Schwen¬<lb/>
kung war in der That sehr zu fürchten. Die Conföderirten waren Meister<lb/>
verschiedener Positionen am oberen Chikahominy geblieben, von denen aus sie<lb/>
leicht die vortrefflichen Stellungen, welche dessen linkes Ufer darbot, gewinnen<lb/>
konnten, sobald die Armee des Nordens dieselben aufgab. Sie würden auf diese<lb/>
Weise letztere auf dem rechten Ufer eingeschlossen, blockirt, ausgehungert und<lb/>
folglich in eine ungemein bedenkliche Lage gebracht haben.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1409" next="#ID_1410"> Unglücklicher Weise zog sich auf Seiten der Föderalisten Alles in die Länge.<lb/>
Es dauerte lange, ehe die Straßen trockneten, ehe die Brücken fertig wurden.<lb/>
Niemals haben wir ein so regnerisches Jahr erlebt, sagten die stereotypen<lb/>
&#x201E;ältesten Leute der Gegend". Niemals haben wir Brücken gesehen, die so<lb/>
schwer zu bauen waren, ließen sich die Ingenieure vernehmen. Der verwünschte<lb/>
Fluß spottete aller ihrer Anstrengungen. Zu geraden Laufs, um sich eine<lb/>
Schiffbrücke gefallen zu lassen, zu tief und zu schlammig für eine Bockbrücke,<lb/>
hier nur ein großer Bach von zehn Meter Breite, aber zwischen zwei Bänken<lb/>
von Triebsand fließend, in welchen die Pferde bis zur Brust einsanken, dort in<lb/>
tausend kleine Rinnsale getrennt, über eine Fläche von dreihundert Meeres be-</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0442] „Aber lassen wir dieses betrübende Schauspiel," so fährt unser Bericht fort, „lassen wir Jackson sich durch blitzschnelle Bewegungen den drei gegnerischen Generalen entziehen. Er hatte seinen Zweck erreicht. Seine kühne Finte hatte die Verbindung Mac Clellans und Mac Dowells in der Stunde vereitelt, wo sie entscheidend war. Von jetzt an hatte die Potomac-Arme nur auf die eigne Kraft zu zählen. Man mußte sich beeilen, zu handeln; denn jeder Tag ver¬ mehrte die Ungleichheit zwischen den beiden Gegnern, und es stand zu fürchten, daß die Föderalisten in den Sümpfen des Chikahominy nicht im Stande sein würden, die große Sommerhitze zu ertragen, welche sich bereits ankündigte. Seit einigen Tagen stand man dem Feinde unmittelbar gegenüber. Die födera¬ listischen Vorposten campirten fünf englische Meilen von Richmond. Täglich kamen Scharmützel vor, und mit Begier sah man auf beiden Seiten einer Hauptaction entgegen. General Mac Clellan erwartete zum Angriff noch zwei Dinge: daß die durch den Regen grundlos gewordenen Straßen wieder fester wurden, und daß die zahlreichen Brücken, welche er über den Chikahominy zu schlagen befohlen, der Vollendung nahe kamen. Die Brücken waren eine un¬ umgängliche Nothwendigkeit; man konnte ohne sie nichts thun. Die Disposition der Orte, die Unmöglichkeit, sich von der Eisenbahn zu entfernen, welche die Lebensader des Heeres war, und die Pflicht, vor einer Schwenkung des Fein¬ des auf der Hut zu sein, hatten den General genöthigt, seine Truppen in zwei Flügel aus den beiden Ufern des Flusses zu theilen. Mit andern Worten: es war von Wichtigkeit, sie rasch, sei es aus dem rechten Ufer zur Offensive gegen die conföderirte Armee vor Richmond, sei es auf dem linken, um sich der erwähnten Schwenkung entgcgenzuwerfen, vereinigen zu können. Diese Schwen¬ kung war in der That sehr zu fürchten. Die Conföderirten waren Meister verschiedener Positionen am oberen Chikahominy geblieben, von denen aus sie leicht die vortrefflichen Stellungen, welche dessen linkes Ufer darbot, gewinnen konnten, sobald die Armee des Nordens dieselben aufgab. Sie würden auf diese Weise letztere auf dem rechten Ufer eingeschlossen, blockirt, ausgehungert und folglich in eine ungemein bedenkliche Lage gebracht haben. Unglücklicher Weise zog sich auf Seiten der Föderalisten Alles in die Länge. Es dauerte lange, ehe die Straßen trockneten, ehe die Brücken fertig wurden. Niemals haben wir ein so regnerisches Jahr erlebt, sagten die stereotypen „ältesten Leute der Gegend". Niemals haben wir Brücken gesehen, die so schwer zu bauen waren, ließen sich die Ingenieure vernehmen. Der verwünschte Fluß spottete aller ihrer Anstrengungen. Zu geraden Laufs, um sich eine Schiffbrücke gefallen zu lassen, zu tief und zu schlammig für eine Bockbrücke, hier nur ein großer Bach von zehn Meter Breite, aber zwischen zwei Bänken von Triebsand fließend, in welchen die Pferde bis zur Brust einsanken, dort in tausend kleine Rinnsale getrennt, über eine Fläche von dreihundert Meeres be-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/442
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/442>, abgerufen am 15.05.2024.