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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band.

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des Bezirks Hanau, welcher nach dem Bundesbeschluß vom 24. Mai mit
der Bildung eines verfassungsmäßigen Ministeriums beauftragt war, ist eben¬
falls ein sehr tüchtiger und begabter Geschäftsmann. Er bekleidete bis 1850
die Stelle eines vortragenden Rathes im Ministerium des Innern, wurde nach
dem Umsturz der Verfassung von Hassenpflug in Disvonibilität gestellt, und ist
jetzt an der Landescreditkasse beschäftigt.

Ferner ist Harnier zu erwähnen, der Abgeordnete der Höchstbesteuerten des
Bezirks Fritzlar, der mit dem Eintrittdes Hassenpflugschen Regiments seine Stelle
als vortragender Rath im Justizministerium aufgab, um eine Advocatur zu über¬
nehmen. Endlich ist hiernoch zu nennen Friedrich Oetker, der bekannte Agitator,
der verstanden hat, das Verlangen des Landes nach seiner Verfassung zum
rechten Ausdruck zu bringen.

Drei Mitglieder der Ständeversammlung haben früher die Stelle von Referen¬
ten in den Ministerien bekleidet; ein Mitglied, Herr v. Schenck, war früher Minister.

Aus dieser Aufzählung läßt sich schon entnehmen, daß die Kammer sehr
tüchtige und geschäftsgewandte Kräfte besitzt. Was aber die Anhänglichkeit
an die Verfassung anlangt, so wird kaum einem Ständeglied ein Vorzug vor
den übrigen eingeräumt werden können. Herr Henkel und Herr Hartwig neh¬
men in so fern eine hervorragende Stelle ein. als sie, durch die Kriegsgerichte
zur Einsperrung auf der Bergfeste Spangenberg verurtheilt, auch Märtyrer
der Verfassung geworden sind; ein Schicksal, dem sich Friedrich Oetker, in so
fern anreiht, als derselbe längere Zeit Schutz unter der brittischen Flagge von
Helgoland suchen mußte. -- Bedauern hat nur erregt, daß Herr Löbel, Vice-
kanzler der Universität Marburg, das einzige Mitglied der frühern ersten
Kammer, welches auch in den schlimmsten Zeiten der Reaction standhaft zur
Verfassung von 1831 hielt, eine Stelle in der jetzigen Ständeversammlung
nicht gesunden hat. Auch wäre einer der verdienten älteren Offiziere, welche
für die Verfassung ihre bürgerliche Existenz geopfert haben, in der Kammer er¬
wünscht gewesen. Dieser Mangel wird sich hiernächst bei der Berathung des
Militärbudgets fühlbor machen.

Von der Negierung wurde nur die Wahl des Herrn Trabert angefochten, weil
derselbe zu einer peinlichen Strafe verurtheilt worden sei, was nach der Ver¬
fassung Wahlunfähigkeit zur Folge haben soll. Aber Herr Trabert war während
des verfassungslosen Interregnums von einem verfassungswidrigen Kriegsgericht
wegen Preßvergehen :c. verurtheilt. Hier mußte also der schon früher erwähnte
famose Grundsatz der restitutio ex nuiu: zu einer praktischen Entscheidung
kommen, und diese Entscheidung war verfassungsmäßig in die Hände der Stände¬
versammlung gelegt. Die Ständeversammlung entschied denn auch einstimmig,
daß, wenn auch vorliegend eine peinliche Strafe erkannt worden, diese Strafe
von einem verfassungswidrigen Gericht ausgesprochen sei, somit eine peinliche


des Bezirks Hanau, welcher nach dem Bundesbeschluß vom 24. Mai mit
der Bildung eines verfassungsmäßigen Ministeriums beauftragt war, ist eben¬
falls ein sehr tüchtiger und begabter Geschäftsmann. Er bekleidete bis 1850
die Stelle eines vortragenden Rathes im Ministerium des Innern, wurde nach
dem Umsturz der Verfassung von Hassenpflug in Disvonibilität gestellt, und ist
jetzt an der Landescreditkasse beschäftigt.

Ferner ist Harnier zu erwähnen, der Abgeordnete der Höchstbesteuerten des
Bezirks Fritzlar, der mit dem Eintrittdes Hassenpflugschen Regiments seine Stelle
als vortragender Rath im Justizministerium aufgab, um eine Advocatur zu über¬
nehmen. Endlich ist hiernoch zu nennen Friedrich Oetker, der bekannte Agitator,
der verstanden hat, das Verlangen des Landes nach seiner Verfassung zum
rechten Ausdruck zu bringen.

Drei Mitglieder der Ständeversammlung haben früher die Stelle von Referen¬
ten in den Ministerien bekleidet; ein Mitglied, Herr v. Schenck, war früher Minister.

Aus dieser Aufzählung läßt sich schon entnehmen, daß die Kammer sehr
tüchtige und geschäftsgewandte Kräfte besitzt. Was aber die Anhänglichkeit
an die Verfassung anlangt, so wird kaum einem Ständeglied ein Vorzug vor
den übrigen eingeräumt werden können. Herr Henkel und Herr Hartwig neh¬
men in so fern eine hervorragende Stelle ein. als sie, durch die Kriegsgerichte
zur Einsperrung auf der Bergfeste Spangenberg verurtheilt, auch Märtyrer
der Verfassung geworden sind; ein Schicksal, dem sich Friedrich Oetker, in so
fern anreiht, als derselbe längere Zeit Schutz unter der brittischen Flagge von
Helgoland suchen mußte. — Bedauern hat nur erregt, daß Herr Löbel, Vice-
kanzler der Universität Marburg, das einzige Mitglied der frühern ersten
Kammer, welches auch in den schlimmsten Zeiten der Reaction standhaft zur
Verfassung von 1831 hielt, eine Stelle in der jetzigen Ständeversammlung
nicht gesunden hat. Auch wäre einer der verdienten älteren Offiziere, welche
für die Verfassung ihre bürgerliche Existenz geopfert haben, in der Kammer er¬
wünscht gewesen. Dieser Mangel wird sich hiernächst bei der Berathung des
Militärbudgets fühlbor machen.

Von der Negierung wurde nur die Wahl des Herrn Trabert angefochten, weil
derselbe zu einer peinlichen Strafe verurtheilt worden sei, was nach der Ver¬
fassung Wahlunfähigkeit zur Folge haben soll. Aber Herr Trabert war während
des verfassungslosen Interregnums von einem verfassungswidrigen Kriegsgericht
wegen Preßvergehen :c. verurtheilt. Hier mußte also der schon früher erwähnte
famose Grundsatz der restitutio ex nuiu: zu einer praktischen Entscheidung
kommen, und diese Entscheidung war verfassungsmäßig in die Hände der Stände¬
versammlung gelegt. Die Ständeversammlung entschied denn auch einstimmig,
daß, wenn auch vorliegend eine peinliche Strafe erkannt worden, diese Strafe
von einem verfassungswidrigen Gericht ausgesprochen sei, somit eine peinliche


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[0444] des Bezirks Hanau, welcher nach dem Bundesbeschluß vom 24. Mai mit der Bildung eines verfassungsmäßigen Ministeriums beauftragt war, ist eben¬ falls ein sehr tüchtiger und begabter Geschäftsmann. Er bekleidete bis 1850 die Stelle eines vortragenden Rathes im Ministerium des Innern, wurde nach dem Umsturz der Verfassung von Hassenpflug in Disvonibilität gestellt, und ist jetzt an der Landescreditkasse beschäftigt. Ferner ist Harnier zu erwähnen, der Abgeordnete der Höchstbesteuerten des Bezirks Fritzlar, der mit dem Eintrittdes Hassenpflugschen Regiments seine Stelle als vortragender Rath im Justizministerium aufgab, um eine Advocatur zu über¬ nehmen. Endlich ist hiernoch zu nennen Friedrich Oetker, der bekannte Agitator, der verstanden hat, das Verlangen des Landes nach seiner Verfassung zum rechten Ausdruck zu bringen. Drei Mitglieder der Ständeversammlung haben früher die Stelle von Referen¬ ten in den Ministerien bekleidet; ein Mitglied, Herr v. Schenck, war früher Minister. Aus dieser Aufzählung läßt sich schon entnehmen, daß die Kammer sehr tüchtige und geschäftsgewandte Kräfte besitzt. Was aber die Anhänglichkeit an die Verfassung anlangt, so wird kaum einem Ständeglied ein Vorzug vor den übrigen eingeräumt werden können. Herr Henkel und Herr Hartwig neh¬ men in so fern eine hervorragende Stelle ein. als sie, durch die Kriegsgerichte zur Einsperrung auf der Bergfeste Spangenberg verurtheilt, auch Märtyrer der Verfassung geworden sind; ein Schicksal, dem sich Friedrich Oetker, in so fern anreiht, als derselbe längere Zeit Schutz unter der brittischen Flagge von Helgoland suchen mußte. — Bedauern hat nur erregt, daß Herr Löbel, Vice- kanzler der Universität Marburg, das einzige Mitglied der frühern ersten Kammer, welches auch in den schlimmsten Zeiten der Reaction standhaft zur Verfassung von 1831 hielt, eine Stelle in der jetzigen Ständeversammlung nicht gesunden hat. Auch wäre einer der verdienten älteren Offiziere, welche für die Verfassung ihre bürgerliche Existenz geopfert haben, in der Kammer er¬ wünscht gewesen. Dieser Mangel wird sich hiernächst bei der Berathung des Militärbudgets fühlbor machen. Von der Negierung wurde nur die Wahl des Herrn Trabert angefochten, weil derselbe zu einer peinlichen Strafe verurtheilt worden sei, was nach der Ver¬ fassung Wahlunfähigkeit zur Folge haben soll. Aber Herr Trabert war während des verfassungslosen Interregnums von einem verfassungswidrigen Kriegsgericht wegen Preßvergehen :c. verurtheilt. Hier mußte also der schon früher erwähnte famose Grundsatz der restitutio ex nuiu: zu einer praktischen Entscheidung kommen, und diese Entscheidung war verfassungsmäßig in die Hände der Stände¬ versammlung gelegt. Die Ständeversammlung entschied denn auch einstimmig, daß, wenn auch vorliegend eine peinliche Strafe erkannt worden, diese Strafe von einem verfassungswidrigen Gericht ausgesprochen sei, somit eine peinliche

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/444>, abgerufen am 15.05.2024.