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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band.

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Kloster Kaufungen. Dieses sehr reiche Kloster mit anderem Zubehör wurde
nach der Reformation dem hessischen Adel als Ersatz für die Verlornen Pfrün¬
den gegeben, um daraus seine dürftigen Töchter u, s. w. zu unterstützen. Die
Gesammtheit der zur Alimentation aus dem Kloster Kaufungen berechtigten
Adelsfamilien bildet diejenige Corporation, welche als die "hessische Ritterschaft"
bezeichnet wird. Sonstige Vorrechte besitzt dieselbe nicht, nachdem sie ihr letztes
Vorrecht, die bevorzugte Stellung in der Landesvertretung, verloren hat.

Schon früher wurde erwähnt, daß zwei hervorragende Glieder der Ritter¬
schaft in der jetzigen Landesvertretung eine Stelle gefunden haben: Herr
v. Schenck und Herr v. Bischofshausen. Es zeigt dieses genau den Weg,
welcher der Ritterschaft noch offen steht. Die besseren Elemente in derselben
haben nur persönliche Tüchtigkeit und echt patriotische Gesinnungen zu entfalten,
um zu Geltung und Einfluß zu gelangen. Sicherlich wäre es ein sehr gün¬
stiger Umstand gewesen, wenn sich die Ritterschaft in dem Kampf um die Ver¬
fassung nicht von dem Lande getrennt hätte, und wenn gleichzeitig die früheren
landständischen Rechte des Adels, in Betracht der von ihm geleisteten guten
Dienste, wieder hergestellt worden wären. Aber wie die Dinge jetzt liegen,
hat ein derartiger Versuch kaum einige Aussicht aus Erfolg.

Inzwischen hat sich die Scene abermals ganz plötzlich verändert. Das Mini¬
sterium bleibt, und die Stände sind auf den 4. December einberufen. Eine "Pression"
von Berlin und nothgedrungen auch von Wien hat diese abermalige Schwenkung
veranlaßt. An einen dauernden Erfolg glaubt hier Niemand. Aus langjährigen
Erfahrungen weiß man zur Genüge, daß die alten Gelüste sofort wieder zum
Vorschein kommen, sobald die "Pression" nachläßt. Jedermann fühlt, daß an
die Stelle der Pressionen eine gründliche Erledigung treten muh, wenn das
Land endlich zum ersehnten Frieden gelangen soll. Ein kurzer Geschichts-
kalender der letzten acht Tage zeichnet die hiesigen Zustände hinlänglich klar,

ig. Nov. Das Ministerium Stiernberg. Dehn-Rothselser erhält seine Ent¬
lassung, weil dasselbe den Ständen das Budget :c. vorlegen will.
20. Nov. Die Stände werden vertagt.
22. Nov. Vilmar schwingt in der Hessenzeitung die Kriegsfahne und erklärt
die landesherrliche Verkündigung vom 21. Juni für eine "er¬
zwungene".
23. Nov. Consistorialrath Neimcmn hält in der Hofkirche, in Gegenwart des
Kurfürsten, eine Philippika gegen die Landstände und empfängt da¬
für, nach dem Schluß der Predigt, vor versammelter Gemeinde den
Händedruck Havncm's, des Biedermanns.
24. Nov. Großer Reichstag des Treubundes zu Guntcrshauscn unter der Lei¬
tung Vilmar's und Scheffer's, auf welchem eine Adresse an den Kur¬
fürsten unterzeichnet wird.

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Kloster Kaufungen. Dieses sehr reiche Kloster mit anderem Zubehör wurde
nach der Reformation dem hessischen Adel als Ersatz für die Verlornen Pfrün¬
den gegeben, um daraus seine dürftigen Töchter u, s. w. zu unterstützen. Die
Gesammtheit der zur Alimentation aus dem Kloster Kaufungen berechtigten
Adelsfamilien bildet diejenige Corporation, welche als die „hessische Ritterschaft"
bezeichnet wird. Sonstige Vorrechte besitzt dieselbe nicht, nachdem sie ihr letztes
Vorrecht, die bevorzugte Stellung in der Landesvertretung, verloren hat.

Schon früher wurde erwähnt, daß zwei hervorragende Glieder der Ritter¬
schaft in der jetzigen Landesvertretung eine Stelle gefunden haben: Herr
v. Schenck und Herr v. Bischofshausen. Es zeigt dieses genau den Weg,
welcher der Ritterschaft noch offen steht. Die besseren Elemente in derselben
haben nur persönliche Tüchtigkeit und echt patriotische Gesinnungen zu entfalten,
um zu Geltung und Einfluß zu gelangen. Sicherlich wäre es ein sehr gün¬
stiger Umstand gewesen, wenn sich die Ritterschaft in dem Kampf um die Ver¬
fassung nicht von dem Lande getrennt hätte, und wenn gleichzeitig die früheren
landständischen Rechte des Adels, in Betracht der von ihm geleisteten guten
Dienste, wieder hergestellt worden wären. Aber wie die Dinge jetzt liegen,
hat ein derartiger Versuch kaum einige Aussicht aus Erfolg.

Inzwischen hat sich die Scene abermals ganz plötzlich verändert. Das Mini¬
sterium bleibt, und die Stände sind auf den 4. December einberufen. Eine „Pression"
von Berlin und nothgedrungen auch von Wien hat diese abermalige Schwenkung
veranlaßt. An einen dauernden Erfolg glaubt hier Niemand. Aus langjährigen
Erfahrungen weiß man zur Genüge, daß die alten Gelüste sofort wieder zum
Vorschein kommen, sobald die „Pression" nachläßt. Jedermann fühlt, daß an
die Stelle der Pressionen eine gründliche Erledigung treten muh, wenn das
Land endlich zum ersehnten Frieden gelangen soll. Ein kurzer Geschichts-
kalender der letzten acht Tage zeichnet die hiesigen Zustände hinlänglich klar,

ig. Nov. Das Ministerium Stiernberg. Dehn-Rothselser erhält seine Ent¬
lassung, weil dasselbe den Ständen das Budget :c. vorlegen will.
20. Nov. Die Stände werden vertagt.
22. Nov. Vilmar schwingt in der Hessenzeitung die Kriegsfahne und erklärt
die landesherrliche Verkündigung vom 21. Juni für eine „er¬
zwungene".
23. Nov. Consistorialrath Neimcmn hält in der Hofkirche, in Gegenwart des
Kurfürsten, eine Philippika gegen die Landstände und empfängt da¬
für, nach dem Schluß der Predigt, vor versammelter Gemeinde den
Händedruck Havncm's, des Biedermanns.
24. Nov. Großer Reichstag des Treubundes zu Guntcrshauscn unter der Lei¬
tung Vilmar's und Scheffer's, auf welchem eine Adresse an den Kur¬
fürsten unterzeichnet wird.

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[0447] Kloster Kaufungen. Dieses sehr reiche Kloster mit anderem Zubehör wurde nach der Reformation dem hessischen Adel als Ersatz für die Verlornen Pfrün¬ den gegeben, um daraus seine dürftigen Töchter u, s. w. zu unterstützen. Die Gesammtheit der zur Alimentation aus dem Kloster Kaufungen berechtigten Adelsfamilien bildet diejenige Corporation, welche als die „hessische Ritterschaft" bezeichnet wird. Sonstige Vorrechte besitzt dieselbe nicht, nachdem sie ihr letztes Vorrecht, die bevorzugte Stellung in der Landesvertretung, verloren hat. Schon früher wurde erwähnt, daß zwei hervorragende Glieder der Ritter¬ schaft in der jetzigen Landesvertretung eine Stelle gefunden haben: Herr v. Schenck und Herr v. Bischofshausen. Es zeigt dieses genau den Weg, welcher der Ritterschaft noch offen steht. Die besseren Elemente in derselben haben nur persönliche Tüchtigkeit und echt patriotische Gesinnungen zu entfalten, um zu Geltung und Einfluß zu gelangen. Sicherlich wäre es ein sehr gün¬ stiger Umstand gewesen, wenn sich die Ritterschaft in dem Kampf um die Ver¬ fassung nicht von dem Lande getrennt hätte, und wenn gleichzeitig die früheren landständischen Rechte des Adels, in Betracht der von ihm geleisteten guten Dienste, wieder hergestellt worden wären. Aber wie die Dinge jetzt liegen, hat ein derartiger Versuch kaum einige Aussicht aus Erfolg. Inzwischen hat sich die Scene abermals ganz plötzlich verändert. Das Mini¬ sterium bleibt, und die Stände sind auf den 4. December einberufen. Eine „Pression" von Berlin und nothgedrungen auch von Wien hat diese abermalige Schwenkung veranlaßt. An einen dauernden Erfolg glaubt hier Niemand. Aus langjährigen Erfahrungen weiß man zur Genüge, daß die alten Gelüste sofort wieder zum Vorschein kommen, sobald die „Pression" nachläßt. Jedermann fühlt, daß an die Stelle der Pressionen eine gründliche Erledigung treten muh, wenn das Land endlich zum ersehnten Frieden gelangen soll. Ein kurzer Geschichts- kalender der letzten acht Tage zeichnet die hiesigen Zustände hinlänglich klar, ig. Nov. Das Ministerium Stiernberg. Dehn-Rothselser erhält seine Ent¬ lassung, weil dasselbe den Ständen das Budget :c. vorlegen will. 20. Nov. Die Stände werden vertagt. 22. Nov. Vilmar schwingt in der Hessenzeitung die Kriegsfahne und erklärt die landesherrliche Verkündigung vom 21. Juni für eine „er¬ zwungene". 23. Nov. Consistorialrath Neimcmn hält in der Hofkirche, in Gegenwart des Kurfürsten, eine Philippika gegen die Landstände und empfängt da¬ für, nach dem Schluß der Predigt, vor versammelter Gemeinde den Händedruck Havncm's, des Biedermanns. 24. Nov. Großer Reichstag des Treubundes zu Guntcrshauscn unter der Lei¬ tung Vilmar's und Scheffer's, auf welchem eine Adresse an den Kur¬ fürsten unterzeichnet wird. S5*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/447>, abgerufen am 15.05.2024.