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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band.

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Nöthigung die Standschaftsrechte der Mediatisirten und der Reichsritterschaft zu
berücksichtigen, ändert hieran überall nichts, wie dieses auch die Kasseler Zei¬
tung selbst mit den Worten einräumt: "die bundeswidrige Zusammensetzung
des dermaligen Landtags macht darum seine Handlungen nicht gerade zu rechts-
unbcständigen." Noch ungeschickter ist die Deduction des Ministerialblattes:
"Außerdem gehört zu denjenigen zunächst auf verfassungsmäßigen Wege zu ver¬
einbarenden Abänderungen, welche zur Herstellung der Uebereinstimmung mit
den Bundesgesetzen erforderlich sind, offenbar auch die Herstellung einer land¬
ständischen Verfassung (Art. 13. der Bundesacte), d. i. eines, auf ständischer
Gliederung beruhenden Wahlgesetzes." Ob die Minister nach den Erlebnissen
der letzten acht Tage auch jetzt noch diese Grundsätze aufrecht erhalten wollen,
wird man abwarten müssen. Die praktische Bedeutung dieser theoretischen Er¬
örterung ergibt sich aus Folgendem:

Zwischen der Entstehung der Verfassung von 1831 und dem Umsturz der¬
selben im Jahr 1851 liegt ein Zeitraum von zwanzig Jahren. In dieser Zeit
ist eine lange Reihe von Gesetzen, Verordnungen und Vollzugsanordnungeu
entstanden, welche aus der Basis der Verfassung herausgewachsen sind und ihre
Wurzeln in das gesammte Leben des Volkes getrieben haben.

Mit dem Umsturz der Verfassung wurden auch die Wurzeln zerstört. Dieses
Zerstörungswerk ist mit einem unverkennbaren Behagen betrieben worden. Zu¬
nächst nahm man die Bundescommissare zu Hülfe. Auf ihre Veranlassung,
oder mit ihrer Zustimmung wurde durch sogenannte provisorische Gesetze erst
die Verfassung selbst in einzelnen Paragraphen durchlöchert, und dann eine
Anzahl verfassungsmäßig entstandener Gesetze theils verstümmelt, theils ver¬
nichtet. So das Gesetz vom 17. Juni 1843 über die Anstellung der Mitglieder
des Oberappellationsgerichts; das Staatsdimstgesetz vom 8. März 1831; das
Gesetz vom 31. October 1343, die Organisation der Rechtspflege ?c. betreffend;
das Gesetz vom 29. October 1348 über die Verwaltung der Landespolizei ze.
Damit dieses Zerstörungswerk gegen alle Anfechtungen gesichert bleibe, wurde
"auf Veranlassung" der Bundescommissare unter dem 30. Juli 1851 durch das
Gesetzblatt ausdrücklich verfügt: "daß allen kurfürstlichen Behörden und Beamten
ohne Ausnahme jede amtliche Erörterung oder Berührung der Competenz-
frage bezüglich der Bundesaction in Kurhessen und der seit Beginn derselben
erfolgten Erlasse und Anordnungen der Bundes-Civil-Commissäre untersagt ist,
sowie serner jede Cognition über deren rechtliche Gültigkeit und Wirksamkeit, sowie
über die Gültigkeit der auf Veranlassung der Bundescommissare erlassenen
landesherrlichen Verordnungen und mit ihrer Zustimmung ertheilten provisori¬
schen Gesetze ausgeschlossen bleibt und daß daher jede Amtshandlung oder jedes
Verfahren oder jedes sonstige Unternehmen, welches als eine mittelbare oder
unmittelbare Zuwiderhandlung gegen diese Bestimmungen sich darstellt, an dem


Nöthigung die Standschaftsrechte der Mediatisirten und der Reichsritterschaft zu
berücksichtigen, ändert hieran überall nichts, wie dieses auch die Kasseler Zei¬
tung selbst mit den Worten einräumt: „die bundeswidrige Zusammensetzung
des dermaligen Landtags macht darum seine Handlungen nicht gerade zu rechts-
unbcständigen." Noch ungeschickter ist die Deduction des Ministerialblattes:
„Außerdem gehört zu denjenigen zunächst auf verfassungsmäßigen Wege zu ver¬
einbarenden Abänderungen, welche zur Herstellung der Uebereinstimmung mit
den Bundesgesetzen erforderlich sind, offenbar auch die Herstellung einer land¬
ständischen Verfassung (Art. 13. der Bundesacte), d. i. eines, auf ständischer
Gliederung beruhenden Wahlgesetzes." Ob die Minister nach den Erlebnissen
der letzten acht Tage auch jetzt noch diese Grundsätze aufrecht erhalten wollen,
wird man abwarten müssen. Die praktische Bedeutung dieser theoretischen Er¬
örterung ergibt sich aus Folgendem:

Zwischen der Entstehung der Verfassung von 1831 und dem Umsturz der¬
selben im Jahr 1851 liegt ein Zeitraum von zwanzig Jahren. In dieser Zeit
ist eine lange Reihe von Gesetzen, Verordnungen und Vollzugsanordnungeu
entstanden, welche aus der Basis der Verfassung herausgewachsen sind und ihre
Wurzeln in das gesammte Leben des Volkes getrieben haben.

Mit dem Umsturz der Verfassung wurden auch die Wurzeln zerstört. Dieses
Zerstörungswerk ist mit einem unverkennbaren Behagen betrieben worden. Zu¬
nächst nahm man die Bundescommissare zu Hülfe. Auf ihre Veranlassung,
oder mit ihrer Zustimmung wurde durch sogenannte provisorische Gesetze erst
die Verfassung selbst in einzelnen Paragraphen durchlöchert, und dann eine
Anzahl verfassungsmäßig entstandener Gesetze theils verstümmelt, theils ver¬
nichtet. So das Gesetz vom 17. Juni 1843 über die Anstellung der Mitglieder
des Oberappellationsgerichts; das Staatsdimstgesetz vom 8. März 1831; das
Gesetz vom 31. October 1343, die Organisation der Rechtspflege ?c. betreffend;
das Gesetz vom 29. October 1348 über die Verwaltung der Landespolizei ze.
Damit dieses Zerstörungswerk gegen alle Anfechtungen gesichert bleibe, wurde
„auf Veranlassung" der Bundescommissare unter dem 30. Juli 1851 durch das
Gesetzblatt ausdrücklich verfügt: „daß allen kurfürstlichen Behörden und Beamten
ohne Ausnahme jede amtliche Erörterung oder Berührung der Competenz-
frage bezüglich der Bundesaction in Kurhessen und der seit Beginn derselben
erfolgten Erlasse und Anordnungen der Bundes-Civil-Commissäre untersagt ist,
sowie serner jede Cognition über deren rechtliche Gültigkeit und Wirksamkeit, sowie
über die Gültigkeit der auf Veranlassung der Bundescommissare erlassenen
landesherrlichen Verordnungen und mit ihrer Zustimmung ertheilten provisori¬
schen Gesetze ausgeschlossen bleibt und daß daher jede Amtshandlung oder jedes
Verfahren oder jedes sonstige Unternehmen, welches als eine mittelbare oder
unmittelbare Zuwiderhandlung gegen diese Bestimmungen sich darstellt, an dem


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[0454] Nöthigung die Standschaftsrechte der Mediatisirten und der Reichsritterschaft zu berücksichtigen, ändert hieran überall nichts, wie dieses auch die Kasseler Zei¬ tung selbst mit den Worten einräumt: „die bundeswidrige Zusammensetzung des dermaligen Landtags macht darum seine Handlungen nicht gerade zu rechts- unbcständigen." Noch ungeschickter ist die Deduction des Ministerialblattes: „Außerdem gehört zu denjenigen zunächst auf verfassungsmäßigen Wege zu ver¬ einbarenden Abänderungen, welche zur Herstellung der Uebereinstimmung mit den Bundesgesetzen erforderlich sind, offenbar auch die Herstellung einer land¬ ständischen Verfassung (Art. 13. der Bundesacte), d. i. eines, auf ständischer Gliederung beruhenden Wahlgesetzes." Ob die Minister nach den Erlebnissen der letzten acht Tage auch jetzt noch diese Grundsätze aufrecht erhalten wollen, wird man abwarten müssen. Die praktische Bedeutung dieser theoretischen Er¬ örterung ergibt sich aus Folgendem: Zwischen der Entstehung der Verfassung von 1831 und dem Umsturz der¬ selben im Jahr 1851 liegt ein Zeitraum von zwanzig Jahren. In dieser Zeit ist eine lange Reihe von Gesetzen, Verordnungen und Vollzugsanordnungeu entstanden, welche aus der Basis der Verfassung herausgewachsen sind und ihre Wurzeln in das gesammte Leben des Volkes getrieben haben. Mit dem Umsturz der Verfassung wurden auch die Wurzeln zerstört. Dieses Zerstörungswerk ist mit einem unverkennbaren Behagen betrieben worden. Zu¬ nächst nahm man die Bundescommissare zu Hülfe. Auf ihre Veranlassung, oder mit ihrer Zustimmung wurde durch sogenannte provisorische Gesetze erst die Verfassung selbst in einzelnen Paragraphen durchlöchert, und dann eine Anzahl verfassungsmäßig entstandener Gesetze theils verstümmelt, theils ver¬ nichtet. So das Gesetz vom 17. Juni 1843 über die Anstellung der Mitglieder des Oberappellationsgerichts; das Staatsdimstgesetz vom 8. März 1831; das Gesetz vom 31. October 1343, die Organisation der Rechtspflege ?c. betreffend; das Gesetz vom 29. October 1348 über die Verwaltung der Landespolizei ze. Damit dieses Zerstörungswerk gegen alle Anfechtungen gesichert bleibe, wurde „auf Veranlassung" der Bundescommissare unter dem 30. Juli 1851 durch das Gesetzblatt ausdrücklich verfügt: „daß allen kurfürstlichen Behörden und Beamten ohne Ausnahme jede amtliche Erörterung oder Berührung der Competenz- frage bezüglich der Bundesaction in Kurhessen und der seit Beginn derselben erfolgten Erlasse und Anordnungen der Bundes-Civil-Commissäre untersagt ist, sowie serner jede Cognition über deren rechtliche Gültigkeit und Wirksamkeit, sowie über die Gültigkeit der auf Veranlassung der Bundescommissare erlassenen landesherrlichen Verordnungen und mit ihrer Zustimmung ertheilten provisori¬ schen Gesetze ausgeschlossen bleibt und daß daher jede Amtshandlung oder jedes Verfahren oder jedes sonstige Unternehmen, welches als eine mittelbare oder unmittelbare Zuwiderhandlung gegen diese Bestimmungen sich darstellt, an dem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/454>, abgerufen am 14.05.2024.