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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band.

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Wasser würfen. Nein, passiren thut jedem etwas, und jedem passirt auch was
Merkwürdiges, und wenn sein Lebenslauf auch ganz abgedämmt wird, daß aus
dem lebendigen Strom ein stiller See wird; er muß nur dafür sorgen, daß
sein Wasser klar bleibt, daß Himmel und Erde sich in ihm spiegeln können."

Mit diesen Worten beginnt der liebenswürdige niederdeutsche Humorist,
den wir den ersten jetzt lebenden Meister seiner Art in Deutschland nennen
mochten, die Mittheilungen aus dem zweiten Abschnitt seines Lebens, aus der
düstern Zeit, wo die damals in Preußen herrschenden Demagogenjäger wie an¬
dern braven Jungen, welche nichts verbrochen, als ein wenig für die Zukunft
geschwärmt, die jetzt Gegenwart ist, auch ihm mit kalter Faust an's warme
Leben griffen. Sieben Jahre saß er auf verschiedenen Festungen. Sieben
Jahre lang "war sein Lebenslauf zu solch einem See aufgestaut, und wenn
sein Wasser auch nicht ganz ruhig war und ab und zu wilde Wellen schlug,
so gab es doch auch Zeiten, wo sich Himmel und Erde in ihm spiegeln
konnten."

Von solchen heitern Zeiten erzählt das Buch vorzugsweise. Nur hier und
da tritt der dunkle Hintergrund des Kerkerlebens in seiner ganzen grausamen
Schwärze hervor, und wir sehen jenen wilden Wellenschlag des gemißhandelten
Gefühls. So namentlich im ersten und zweiten sowie im dritten Abschnitt,
wo die Erlebnisse auf den Festungen G(logau) und Magdeburg) und die greuel¬
hafte, die unerhört niederträchtige Weise geschildert sind, auf welche der ge¬
fangne Burschenschafter in der Berliner Hausvogtei von Dambachs Bestialität
gepeinigt wurde. In den übrigen Stücken erscheint der dunkle Grund dieses
Lebensabschnitts unsres Dichters fast nur als Folie zu den Spiegelbildern,
welche Himmel und Erde in sein trotz alledem klar gebliebnes Wasser werfen,
der Himmel, den ein edles Menschenherz überall mit sich hinträgt, die Erde,
die auch hinter eisernen Gardinen Sonnenschein und Blumen hat. Geistige
Freiheit hebt über die Erinnerung an die leibliche Unfreiheit hinaus, wie sie
früher allmählig die Schwermuth des Kerkers besiegte, und eine sonnige Seele
scheint hell hinaus in Noth und Nacht.

Alle Schönheiten, welche der erste Theil der "Otte Kamelien" zeigte, er¬
freuen uns auch hier. Ueberall dasselbe gute Auge für die äußern und innern
Vorgänge im Menschenleben, dasselbe warme Herz, dasselbe tiefe Gemüth,
dasselbe Wohlgefallen an der Realität. DurchgeHends geistige Gesundheit,
Kraft plastischer Gestaltung und jener köstliche Humor, der alle Seiten seines
Instruments, die derbern wie die zartern, mit gleicher Leichtigkeit und glei¬
chem Behagen rührt. Wohin wir auch geführt werden, allenthalben ist's
greifbare Wirklichkeit, die uns umgibt. Alle Personen, die an uns vorüber¬
gehen, sind Menschen von Fleisch und Blut mit deutlich ausgeprägten
Gesichtszügen und realsten Gebahren. So Vater Kähler, der Schließer, und


Grenzboten IV. 1862. 5?

Wasser würfen. Nein, passiren thut jedem etwas, und jedem passirt auch was
Merkwürdiges, und wenn sein Lebenslauf auch ganz abgedämmt wird, daß aus
dem lebendigen Strom ein stiller See wird; er muß nur dafür sorgen, daß
sein Wasser klar bleibt, daß Himmel und Erde sich in ihm spiegeln können."

Mit diesen Worten beginnt der liebenswürdige niederdeutsche Humorist,
den wir den ersten jetzt lebenden Meister seiner Art in Deutschland nennen
mochten, die Mittheilungen aus dem zweiten Abschnitt seines Lebens, aus der
düstern Zeit, wo die damals in Preußen herrschenden Demagogenjäger wie an¬
dern braven Jungen, welche nichts verbrochen, als ein wenig für die Zukunft
geschwärmt, die jetzt Gegenwart ist, auch ihm mit kalter Faust an's warme
Leben griffen. Sieben Jahre saß er auf verschiedenen Festungen. Sieben
Jahre lang „war sein Lebenslauf zu solch einem See aufgestaut, und wenn
sein Wasser auch nicht ganz ruhig war und ab und zu wilde Wellen schlug,
so gab es doch auch Zeiten, wo sich Himmel und Erde in ihm spiegeln
konnten."

Von solchen heitern Zeiten erzählt das Buch vorzugsweise. Nur hier und
da tritt der dunkle Hintergrund des Kerkerlebens in seiner ganzen grausamen
Schwärze hervor, und wir sehen jenen wilden Wellenschlag des gemißhandelten
Gefühls. So namentlich im ersten und zweiten sowie im dritten Abschnitt,
wo die Erlebnisse auf den Festungen G(logau) und Magdeburg) und die greuel¬
hafte, die unerhört niederträchtige Weise geschildert sind, auf welche der ge¬
fangne Burschenschafter in der Berliner Hausvogtei von Dambachs Bestialität
gepeinigt wurde. In den übrigen Stücken erscheint der dunkle Grund dieses
Lebensabschnitts unsres Dichters fast nur als Folie zu den Spiegelbildern,
welche Himmel und Erde in sein trotz alledem klar gebliebnes Wasser werfen,
der Himmel, den ein edles Menschenherz überall mit sich hinträgt, die Erde,
die auch hinter eisernen Gardinen Sonnenschein und Blumen hat. Geistige
Freiheit hebt über die Erinnerung an die leibliche Unfreiheit hinaus, wie sie
früher allmählig die Schwermuth des Kerkers besiegte, und eine sonnige Seele
scheint hell hinaus in Noth und Nacht.

Alle Schönheiten, welche der erste Theil der „Otte Kamelien" zeigte, er¬
freuen uns auch hier. Ueberall dasselbe gute Auge für die äußern und innern
Vorgänge im Menschenleben, dasselbe warme Herz, dasselbe tiefe Gemüth,
dasselbe Wohlgefallen an der Realität. DurchgeHends geistige Gesundheit,
Kraft plastischer Gestaltung und jener köstliche Humor, der alle Seiten seines
Instruments, die derbern wie die zartern, mit gleicher Leichtigkeit und glei¬
chem Behagen rührt. Wohin wir auch geführt werden, allenthalben ist's
greifbare Wirklichkeit, die uns umgibt. Alle Personen, die an uns vorüber¬
gehen, sind Menschen von Fleisch und Blut mit deutlich ausgeprägten
Gesichtszügen und realsten Gebahren. So Vater Kähler, der Schließer, und


Grenzboten IV. 1862. 5?
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[0461] Wasser würfen. Nein, passiren thut jedem etwas, und jedem passirt auch was Merkwürdiges, und wenn sein Lebenslauf auch ganz abgedämmt wird, daß aus dem lebendigen Strom ein stiller See wird; er muß nur dafür sorgen, daß sein Wasser klar bleibt, daß Himmel und Erde sich in ihm spiegeln können." Mit diesen Worten beginnt der liebenswürdige niederdeutsche Humorist, den wir den ersten jetzt lebenden Meister seiner Art in Deutschland nennen mochten, die Mittheilungen aus dem zweiten Abschnitt seines Lebens, aus der düstern Zeit, wo die damals in Preußen herrschenden Demagogenjäger wie an¬ dern braven Jungen, welche nichts verbrochen, als ein wenig für die Zukunft geschwärmt, die jetzt Gegenwart ist, auch ihm mit kalter Faust an's warme Leben griffen. Sieben Jahre saß er auf verschiedenen Festungen. Sieben Jahre lang „war sein Lebenslauf zu solch einem See aufgestaut, und wenn sein Wasser auch nicht ganz ruhig war und ab und zu wilde Wellen schlug, so gab es doch auch Zeiten, wo sich Himmel und Erde in ihm spiegeln konnten." Von solchen heitern Zeiten erzählt das Buch vorzugsweise. Nur hier und da tritt der dunkle Hintergrund des Kerkerlebens in seiner ganzen grausamen Schwärze hervor, und wir sehen jenen wilden Wellenschlag des gemißhandelten Gefühls. So namentlich im ersten und zweiten sowie im dritten Abschnitt, wo die Erlebnisse auf den Festungen G(logau) und Magdeburg) und die greuel¬ hafte, die unerhört niederträchtige Weise geschildert sind, auf welche der ge¬ fangne Burschenschafter in der Berliner Hausvogtei von Dambachs Bestialität gepeinigt wurde. In den übrigen Stücken erscheint der dunkle Grund dieses Lebensabschnitts unsres Dichters fast nur als Folie zu den Spiegelbildern, welche Himmel und Erde in sein trotz alledem klar gebliebnes Wasser werfen, der Himmel, den ein edles Menschenherz überall mit sich hinträgt, die Erde, die auch hinter eisernen Gardinen Sonnenschein und Blumen hat. Geistige Freiheit hebt über die Erinnerung an die leibliche Unfreiheit hinaus, wie sie früher allmählig die Schwermuth des Kerkers besiegte, und eine sonnige Seele scheint hell hinaus in Noth und Nacht. Alle Schönheiten, welche der erste Theil der „Otte Kamelien" zeigte, er¬ freuen uns auch hier. Ueberall dasselbe gute Auge für die äußern und innern Vorgänge im Menschenleben, dasselbe warme Herz, dasselbe tiefe Gemüth, dasselbe Wohlgefallen an der Realität. DurchgeHends geistige Gesundheit, Kraft plastischer Gestaltung und jener köstliche Humor, der alle Seiten seines Instruments, die derbern wie die zartern, mit gleicher Leichtigkeit und glei¬ chem Behagen rührt. Wohin wir auch geführt werden, allenthalben ist's greifbare Wirklichkeit, die uns umgibt. Alle Personen, die an uns vorüber¬ gehen, sind Menschen von Fleisch und Blut mit deutlich ausgeprägten Gesichtszügen und realsten Gebahren. So Vater Kähler, der Schließer, und Grenzboten IV. 1862. 5?

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/461>, abgerufen am 14.05.2024.