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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band.

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Strammhcit und warmer Menschlichkeit im Bilde des Generals,T.. wie er¬
götzlich die "Collegen" in der Käsematte, deren kleine Freuden und Leiden,
deren Thorheiten und Leidenschaften!

Es ist viel gesagt, aber wir glauben nicht zu übertreiben, wenn wir den
Capitän, die> Hauptfigur dieser Capitel, für eine Gestalt erklären, wie sie so
urkomisch seit dem Don Quixote kaum wieder dagewesen ist. In der That
ein prächtiger Bursch, dieses große Kind mit seinem hochdeutschen Pathos,
seinem liebebedürftigen Herzen und seinem gewaltigen Schnurrbart, der ihm
"gelb und unschuldig über seine beiden Lippen hängt, wie ein neues Stroh¬
dach über die beiden halben Thüren eines Kalbens, in dem Zufriedenheit und
Gutmüthigkeit wohnen". Ein köstliches Kerlchen dann der kleine gelbe Kopcr-
nicus, sein siegreicher Nebenbuhler und Widerpart in der Liebesgeschichte mit
Anrclia, der Proviantmeisterstvchter. Und nicht weniger glänzt der Humor des
Verfassers in den andern Porträts- dem langen poetischen Don Juan, der allen
Schürzen der Festung nachstellt, dem runden, würdevollen, salbungsreichen und
ökonomischen Erzbischof, dem unpraktischen Franzosen, der Bäckersfrau, auf die
der Erzbischof ein" Auge geworfen, und wie sie Alle heißen mögen. Keine
Scene in den beiden Romanen, welche der Capitän ausführt, die uns nicht zu
herzlichem Gelächter nöthigte. Bald ist's ein stilles Lächeln, wie bei dem gro¬
ßen Tag, wo der Capitän über sich und den Kopernikus Gericht halten läßt
und zuletzt seiner Liebe feierlich entsagt, bald ein baucherschütterndes Lachen
wie bei der Milchkur und deren Uebergang in eine Butter- und Käsewirthschaft
aus Liebe. ^

So spinnt sich durch mancherlei anmuthige Zwischenfälle, in denen weiße
Mäuse, Posaunenengel und dergleichen mehr die meist derbe bisweilen an Karri-
katurmalerei streifende Komik der Scene erhöhen helfen, die Geschichte bis zu dem
großen Moment fort, wo der glückliche Kopernikus seiner Aurelia auf einem Kirch¬
gang seine Gefühle ausführlich gestehen kann. Er macht seine .Erklärung "im Herzen
die frische Liebe, unterm Arm einen geräucherten Schinken", mit dessen Verspeisung
sich nachher der alte gute närrische Capitän seinen Liebeskummer vertreibt. Feier¬
liche Verlobung mit Elternsegen, großes Hurrah der Freunde und schließlich
fröhliche Kneiperei. Dann bald nachher Abschied von Gr. und Versetzung von
da nach der mecklenburgischen Festung Dönitz, wo im Commandanten und dem
Leutnant, der das R nicht mehr aussprechen kann, wieder ein paar ergötzliche
Naturen der besten Art auftreten. Endlich -- endlich die Freiheit!

Der Schluß ist ein melancholischer Blick des Freigegebenen in die Zukunft.
So lustig er im Ganzen jetzt von seiner Haft zu berichten weiß, damals lag
sie ihm "schwer wie ein Centnerstein auf dem Herzen. In diesen Jahren war
nichts geschehen, mir vorwärts zu helfen in der Welt, und was sie mir mög¬
licher Weise genutzt haben, das lag tief unten im Herzen begraben unter Haß


Strammhcit und warmer Menschlichkeit im Bilde des Generals,T.. wie er¬
götzlich die „Collegen" in der Käsematte, deren kleine Freuden und Leiden,
deren Thorheiten und Leidenschaften!

Es ist viel gesagt, aber wir glauben nicht zu übertreiben, wenn wir den
Capitän, die> Hauptfigur dieser Capitel, für eine Gestalt erklären, wie sie so
urkomisch seit dem Don Quixote kaum wieder dagewesen ist. In der That
ein prächtiger Bursch, dieses große Kind mit seinem hochdeutschen Pathos,
seinem liebebedürftigen Herzen und seinem gewaltigen Schnurrbart, der ihm
„gelb und unschuldig über seine beiden Lippen hängt, wie ein neues Stroh¬
dach über die beiden halben Thüren eines Kalbens, in dem Zufriedenheit und
Gutmüthigkeit wohnen". Ein köstliches Kerlchen dann der kleine gelbe Kopcr-
nicus, sein siegreicher Nebenbuhler und Widerpart in der Liebesgeschichte mit
Anrclia, der Proviantmeisterstvchter. Und nicht weniger glänzt der Humor des
Verfassers in den andern Porträts- dem langen poetischen Don Juan, der allen
Schürzen der Festung nachstellt, dem runden, würdevollen, salbungsreichen und
ökonomischen Erzbischof, dem unpraktischen Franzosen, der Bäckersfrau, auf die
der Erzbischof ein" Auge geworfen, und wie sie Alle heißen mögen. Keine
Scene in den beiden Romanen, welche der Capitän ausführt, die uns nicht zu
herzlichem Gelächter nöthigte. Bald ist's ein stilles Lächeln, wie bei dem gro¬
ßen Tag, wo der Capitän über sich und den Kopernikus Gericht halten läßt
und zuletzt seiner Liebe feierlich entsagt, bald ein baucherschütterndes Lachen
wie bei der Milchkur und deren Uebergang in eine Butter- und Käsewirthschaft
aus Liebe. ^

So spinnt sich durch mancherlei anmuthige Zwischenfälle, in denen weiße
Mäuse, Posaunenengel und dergleichen mehr die meist derbe bisweilen an Karri-
katurmalerei streifende Komik der Scene erhöhen helfen, die Geschichte bis zu dem
großen Moment fort, wo der glückliche Kopernikus seiner Aurelia auf einem Kirch¬
gang seine Gefühle ausführlich gestehen kann. Er macht seine .Erklärung „im Herzen
die frische Liebe, unterm Arm einen geräucherten Schinken", mit dessen Verspeisung
sich nachher der alte gute närrische Capitän seinen Liebeskummer vertreibt. Feier¬
liche Verlobung mit Elternsegen, großes Hurrah der Freunde und schließlich
fröhliche Kneiperei. Dann bald nachher Abschied von Gr. und Versetzung von
da nach der mecklenburgischen Festung Dönitz, wo im Commandanten und dem
Leutnant, der das R nicht mehr aussprechen kann, wieder ein paar ergötzliche
Naturen der besten Art auftreten. Endlich — endlich die Freiheit!

Der Schluß ist ein melancholischer Blick des Freigegebenen in die Zukunft.
So lustig er im Ganzen jetzt von seiner Haft zu berichten weiß, damals lag
sie ihm „schwer wie ein Centnerstein auf dem Herzen. In diesen Jahren war
nichts geschehen, mir vorwärts zu helfen in der Welt, und was sie mir mög¬
licher Weise genutzt haben, das lag tief unten im Herzen begraben unter Haß


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/466>, abgerufen am 15.05.2024.