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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band.

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selbst durch Erfolge mit dem System, dem er zu dienen bestimmt ist, nicht ver¬
söhnen. Und wie sehr man von der Tapferkeit des preußischen Heeres überzeugt
sein mag, das Blut wackerer Soldaten wird vergebens vergossen werden, so lange
der Gegensatz zwischen Krone und Volk nicht durch aufrichtige und innige Versöh¬
nung beendigt ist. Denn was auch im Felde durch Waffen durchgesetzt werden
könnte, das wird gerade wie 1848 und 1849 durch die diplomatischen Niederlagen
vereitelt werden. Das gegenwärtige Preußen ist zur Unbedeutendheit mach außen
Verurtheilt, so lange seine Krankheit, das Uebergewicht des Junkerthums, besteht.

Allerdings sieht Jedermann in Europa das Leiden des preußischen Staates
für ein vorübergehendes an. Allerdings zeigt der Staat auch noch in seiner
Entwickelungskrankheit ein Wesen, welches Theilnahme und Interesse einflößt.
Und betrachtet man unbefangen vom Standpunkt eines preußischen Patrioten
die Lebensäußerungen, welche in diesem Jahre von Preußen ausgingen, so sind es
nicht die Maßregeln der Krone, welche der Völkerfamilie Europas irgendwie
imponirt haben, noch weniger eine Operation des Herrn v. Bismark und seiner
College", sondern Intelligenz und Patriotismus, deutsche Gesinnung und Ver¬
ständniß der Bedürfnisse des Staates, welche an der Opposition, in der
Presse, den Abgeordneten und Parteiführern zu achten sind. Die preußische
Oppositionspresse hat männlich und unbeirrt durch Verfolgungen, ja zuweilen
mit ausgezeichnetem Talent ihre Pflicht gethan. Das preußische Abgeordnetenhaus
hat -- eine einzige Frage ausgenommen -- trotz der großen Anzahl neuer
Mitglieder eine Tüchtigkeit und feste Haltung' gezeigt, welche überall in Deutsch¬
land und im Auslande mit dem lebhaftesten Beifall begrüßt wurde. Während
die- gegenwärtige Negierung Deutschland gegenüber auf eine ruhmlose Ver¬
theidigung angewiesen ist, haben die Patrioten der preußischen Partei für Idee
und Zweck des preußischen Staates, wie sie sein sollten und nicht sind, Tausende
von Anhängern gewonnen. Während das Ministerium den wichtigsten in¬
nern Organisationssragen des Staates, wegen einer ungeschickt behandelten
Frage rathlos gegenüberstand, oder in falscher Stellung; haben Männer der
Opposition für das Wohl der arbeitenden Classen mit einer Hingabe gearbeitet,
die von Millionen als die größte Wohlthat und das beste Geschenk, welches
die Gegenwart der Zukunft macht, betrachtet wird. Die zahlreichen Aeuße¬
rungen des officiellen Preußens, die mündlichen und schriftlichen, welche wir
in diesem Halbjahr zu lesen hatten, wiegen schwerlich Werth und Bedeutung
der einen Rede auf, welche ein verhaßtes Mitglied der Opposition vor einer
Versammlung von Arbeitern hielt. Das Verständniß dessen, was dem Volke Noth
thut, und was dem Staate Noth thut, scheint den Deutschen gerade bei der Oppo¬
sition zu sein, welcher die Hofpartei vorwirft, sie wolle das stehendeHeerabschaffen
und den Staat ruiniren. Nach der Meinung von ganz Europa ist es diese
Opposition, welche jetzt kräftiger als jede andere Gewalt die Mannhaftigkeit des


selbst durch Erfolge mit dem System, dem er zu dienen bestimmt ist, nicht ver¬
söhnen. Und wie sehr man von der Tapferkeit des preußischen Heeres überzeugt
sein mag, das Blut wackerer Soldaten wird vergebens vergossen werden, so lange
der Gegensatz zwischen Krone und Volk nicht durch aufrichtige und innige Versöh¬
nung beendigt ist. Denn was auch im Felde durch Waffen durchgesetzt werden
könnte, das wird gerade wie 1848 und 1849 durch die diplomatischen Niederlagen
vereitelt werden. Das gegenwärtige Preußen ist zur Unbedeutendheit mach außen
Verurtheilt, so lange seine Krankheit, das Uebergewicht des Junkerthums, besteht.

Allerdings sieht Jedermann in Europa das Leiden des preußischen Staates
für ein vorübergehendes an. Allerdings zeigt der Staat auch noch in seiner
Entwickelungskrankheit ein Wesen, welches Theilnahme und Interesse einflößt.
Und betrachtet man unbefangen vom Standpunkt eines preußischen Patrioten
die Lebensäußerungen, welche in diesem Jahre von Preußen ausgingen, so sind es
nicht die Maßregeln der Krone, welche der Völkerfamilie Europas irgendwie
imponirt haben, noch weniger eine Operation des Herrn v. Bismark und seiner
College», sondern Intelligenz und Patriotismus, deutsche Gesinnung und Ver¬
ständniß der Bedürfnisse des Staates, welche an der Opposition, in der
Presse, den Abgeordneten und Parteiführern zu achten sind. Die preußische
Oppositionspresse hat männlich und unbeirrt durch Verfolgungen, ja zuweilen
mit ausgezeichnetem Talent ihre Pflicht gethan. Das preußische Abgeordnetenhaus
hat — eine einzige Frage ausgenommen — trotz der großen Anzahl neuer
Mitglieder eine Tüchtigkeit und feste Haltung' gezeigt, welche überall in Deutsch¬
land und im Auslande mit dem lebhaftesten Beifall begrüßt wurde. Während
die- gegenwärtige Negierung Deutschland gegenüber auf eine ruhmlose Ver¬
theidigung angewiesen ist, haben die Patrioten der preußischen Partei für Idee
und Zweck des preußischen Staates, wie sie sein sollten und nicht sind, Tausende
von Anhängern gewonnen. Während das Ministerium den wichtigsten in¬
nern Organisationssragen des Staates, wegen einer ungeschickt behandelten
Frage rathlos gegenüberstand, oder in falscher Stellung; haben Männer der
Opposition für das Wohl der arbeitenden Classen mit einer Hingabe gearbeitet,
die von Millionen als die größte Wohlthat und das beste Geschenk, welches
die Gegenwart der Zukunft macht, betrachtet wird. Die zahlreichen Aeuße¬
rungen des officiellen Preußens, die mündlichen und schriftlichen, welche wir
in diesem Halbjahr zu lesen hatten, wiegen schwerlich Werth und Bedeutung
der einen Rede auf, welche ein verhaßtes Mitglied der Opposition vor einer
Versammlung von Arbeitern hielt. Das Verständniß dessen, was dem Volke Noth
thut, und was dem Staate Noth thut, scheint den Deutschen gerade bei der Oppo¬
sition zu sein, welcher die Hofpartei vorwirft, sie wolle das stehendeHeerabschaffen
und den Staat ruiniren. Nach der Meinung von ganz Europa ist es diese
Opposition, welche jetzt kräftiger als jede andere Gewalt die Mannhaftigkeit des


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/488>, abgerufen am 14.05.2024.