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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band.

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gegenwärtig nur darum häufiger in den Kreis der Erörterung gezogen, weil
eine Fraction Von Royalisten. welche mehr Könige zu Falle gebracht hat, als
die wüthendste Demokratie, sie gegen die verfassungsmäßigen Rechte des Volks
in das Feld führt. Von besonderem Interesse sind aber für uns Deutsche
diejenigen Staatsformen, welche mehre gleichartige Staatenkörper für gewisse
Zwecke ihres Lebens als einen Complex, als ein Ganzes zusammenfassen,
während den Gliedern für ihre besonderen Angelegenheiten ihr selbständiges
Wesen erhalten bleibt. Mit diesen Formen, dem Gesammtstaate, dem Bundes¬
staat und dem Staatenbund wurde in den letzten Jahren das Nationalitäts¬
princip in Verbindung gebracht, um, je nachdem man es brauchen konnte, zu
binden oder zu lösen. -- Ein kleines Gebiet kann für sich die Aufgaben des
modernen Staates nicht mehr lösen; mehre müssen sich zu größern Gruppen
vereinigen. Selbst größere Staaten sind genöthigt, sich z. B. für Bedürfnisse
des Verkehrs, durch Verträge zu gemeinsamen Anordnungen und Einrichtungen
zu verbinden.

Während in Amerika Glieder eines Bundesstaates sich von dem Ganzen
mit Gewalt loszutrennen versuchen, haben die italienischen Staaten, welche
kein Vertrag zusammenhielt, über die föderative Form hinweg, den kühnen
Schritt zum Einheitsstaate gethan. Zwischen Frankreich und Rußland nur locker
verbunden, streben die deutschen Stämme nach einem kräftigen Bundesverhält-
niß, um sich gegen äußere Feinde wehren, und um ihren gemeinsamen Interessen
Ordnung und Geltung verschaffen zu können. Die betreffenden Stellen der Grund¬
züge und die dritte Ausführung "das Wesen des Bundesstaats", werden daher
den Leser vorzugsweise ansprechen. Sehr kurz, aber ausreichend, wird die
Verfassung des deutschen Bundes bezeichnet als die Verfassung eines losen,
unvollkommenen Staatenbundes -- nach einer Seite in der Einwirkung auf
die Verfassungen der Einzelstaaten über Gebühr ausgebildet. -- Auf einen
Fortschritt zum Bundesstaate im Wege der Reform hat der Verfasser, wie auch
Robert v. Mohl, dessen gewichtiges Buch über Politik wir früher in diesen
Blättern besprochen haben, wenig Hoffnung. "Der Bundesstaat, sagt er unter
Andern, ist bisher nur auf Grundlage republikanischer Staatsform entwickelt.
Doch widerspricht er an sich nicht dem Wesen des Königthums, da das Recht
des Einzelstaates und also auch des Königs im Einzelstaat ein selbständiges
bleibt, nur dem Umfange nach beschränkt. Ein Bundesstaat bei Königthum
in den Einzelstaaten würde an sich ein erbliches Oberhaupt auch für die Ge¬
sammtheit fordern. Eine Vereinigung dieser Stellung mit dem Königthum in
einem Einzelstaat, zeitweise oder dauernd, kann nicht als ganz unzulässig er-
scheinen. Es führt aber leicht in andere Verhältnisse hinüber. Uebergänge und
Zwischenstufen sind auf diesem Gebiete verschiedene möglich. Die Geschichte
kann immer noch neue Formen erzeugen," -- In demselben Sinne, wie hier.


gegenwärtig nur darum häufiger in den Kreis der Erörterung gezogen, weil
eine Fraction Von Royalisten. welche mehr Könige zu Falle gebracht hat, als
die wüthendste Demokratie, sie gegen die verfassungsmäßigen Rechte des Volks
in das Feld führt. Von besonderem Interesse sind aber für uns Deutsche
diejenigen Staatsformen, welche mehre gleichartige Staatenkörper für gewisse
Zwecke ihres Lebens als einen Complex, als ein Ganzes zusammenfassen,
während den Gliedern für ihre besonderen Angelegenheiten ihr selbständiges
Wesen erhalten bleibt. Mit diesen Formen, dem Gesammtstaate, dem Bundes¬
staat und dem Staatenbund wurde in den letzten Jahren das Nationalitäts¬
princip in Verbindung gebracht, um, je nachdem man es brauchen konnte, zu
binden oder zu lösen. — Ein kleines Gebiet kann für sich die Aufgaben des
modernen Staates nicht mehr lösen; mehre müssen sich zu größern Gruppen
vereinigen. Selbst größere Staaten sind genöthigt, sich z. B. für Bedürfnisse
des Verkehrs, durch Verträge zu gemeinsamen Anordnungen und Einrichtungen
zu verbinden.

Während in Amerika Glieder eines Bundesstaates sich von dem Ganzen
mit Gewalt loszutrennen versuchen, haben die italienischen Staaten, welche
kein Vertrag zusammenhielt, über die föderative Form hinweg, den kühnen
Schritt zum Einheitsstaate gethan. Zwischen Frankreich und Rußland nur locker
verbunden, streben die deutschen Stämme nach einem kräftigen Bundesverhält-
niß, um sich gegen äußere Feinde wehren, und um ihren gemeinsamen Interessen
Ordnung und Geltung verschaffen zu können. Die betreffenden Stellen der Grund¬
züge und die dritte Ausführung „das Wesen des Bundesstaats", werden daher
den Leser vorzugsweise ansprechen. Sehr kurz, aber ausreichend, wird die
Verfassung des deutschen Bundes bezeichnet als die Verfassung eines losen,
unvollkommenen Staatenbundes — nach einer Seite in der Einwirkung auf
die Verfassungen der Einzelstaaten über Gebühr ausgebildet. — Auf einen
Fortschritt zum Bundesstaate im Wege der Reform hat der Verfasser, wie auch
Robert v. Mohl, dessen gewichtiges Buch über Politik wir früher in diesen
Blättern besprochen haben, wenig Hoffnung. „Der Bundesstaat, sagt er unter
Andern, ist bisher nur auf Grundlage republikanischer Staatsform entwickelt.
Doch widerspricht er an sich nicht dem Wesen des Königthums, da das Recht
des Einzelstaates und also auch des Königs im Einzelstaat ein selbständiges
bleibt, nur dem Umfange nach beschränkt. Ein Bundesstaat bei Königthum
in den Einzelstaaten würde an sich ein erbliches Oberhaupt auch für die Ge¬
sammtheit fordern. Eine Vereinigung dieser Stellung mit dem Königthum in
einem Einzelstaat, zeitweise oder dauernd, kann nicht als ganz unzulässig er-
scheinen. Es führt aber leicht in andere Verhältnisse hinüber. Uebergänge und
Zwischenstufen sind auf diesem Gebiete verschiedene möglich. Die Geschichte
kann immer noch neue Formen erzeugen," — In demselben Sinne, wie hier.


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[0512] gegenwärtig nur darum häufiger in den Kreis der Erörterung gezogen, weil eine Fraction Von Royalisten. welche mehr Könige zu Falle gebracht hat, als die wüthendste Demokratie, sie gegen die verfassungsmäßigen Rechte des Volks in das Feld führt. Von besonderem Interesse sind aber für uns Deutsche diejenigen Staatsformen, welche mehre gleichartige Staatenkörper für gewisse Zwecke ihres Lebens als einen Complex, als ein Ganzes zusammenfassen, während den Gliedern für ihre besonderen Angelegenheiten ihr selbständiges Wesen erhalten bleibt. Mit diesen Formen, dem Gesammtstaate, dem Bundes¬ staat und dem Staatenbund wurde in den letzten Jahren das Nationalitäts¬ princip in Verbindung gebracht, um, je nachdem man es brauchen konnte, zu binden oder zu lösen. — Ein kleines Gebiet kann für sich die Aufgaben des modernen Staates nicht mehr lösen; mehre müssen sich zu größern Gruppen vereinigen. Selbst größere Staaten sind genöthigt, sich z. B. für Bedürfnisse des Verkehrs, durch Verträge zu gemeinsamen Anordnungen und Einrichtungen zu verbinden. Während in Amerika Glieder eines Bundesstaates sich von dem Ganzen mit Gewalt loszutrennen versuchen, haben die italienischen Staaten, welche kein Vertrag zusammenhielt, über die föderative Form hinweg, den kühnen Schritt zum Einheitsstaate gethan. Zwischen Frankreich und Rußland nur locker verbunden, streben die deutschen Stämme nach einem kräftigen Bundesverhält- niß, um sich gegen äußere Feinde wehren, und um ihren gemeinsamen Interessen Ordnung und Geltung verschaffen zu können. Die betreffenden Stellen der Grund¬ züge und die dritte Ausführung „das Wesen des Bundesstaats", werden daher den Leser vorzugsweise ansprechen. Sehr kurz, aber ausreichend, wird die Verfassung des deutschen Bundes bezeichnet als die Verfassung eines losen, unvollkommenen Staatenbundes — nach einer Seite in der Einwirkung auf die Verfassungen der Einzelstaaten über Gebühr ausgebildet. — Auf einen Fortschritt zum Bundesstaate im Wege der Reform hat der Verfasser, wie auch Robert v. Mohl, dessen gewichtiges Buch über Politik wir früher in diesen Blättern besprochen haben, wenig Hoffnung. „Der Bundesstaat, sagt er unter Andern, ist bisher nur auf Grundlage republikanischer Staatsform entwickelt. Doch widerspricht er an sich nicht dem Wesen des Königthums, da das Recht des Einzelstaates und also auch des Königs im Einzelstaat ein selbständiges bleibt, nur dem Umfange nach beschränkt. Ein Bundesstaat bei Königthum in den Einzelstaaten würde an sich ein erbliches Oberhaupt auch für die Ge¬ sammtheit fordern. Eine Vereinigung dieser Stellung mit dem Königthum in einem Einzelstaat, zeitweise oder dauernd, kann nicht als ganz unzulässig er- scheinen. Es führt aber leicht in andere Verhältnisse hinüber. Uebergänge und Zwischenstufen sind auf diesem Gebiete verschiedene möglich. Die Geschichte kann immer noch neue Formen erzeugen," — In demselben Sinne, wie hier.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/512>, abgerufen am 16.05.2024.