Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Brücke des Grenzgrabens fahren "un dor lädst du de Saken as und führst
gut wedder taurügg, dat de Kirk nich wedder mittümmt." - Das geschieht;
gleich hinter der preußischen Grammcntiner Forst fließt der Grenzgraben; jen¬
seit desselben auf dem Basepohler Feldmark werden die Habseligkeiten abgeladen,
der Wagen fährt zurück, und Krischan Schule hat die beste Gelegenheit, sich
in Ruhe den mecklenburgischen, wie früher den preußischen, Sternenhimmel an-
zusehn. -- Es wird ihm dies jedoch langweilig, oder er sieht nicht recht was
Besonderes daran, er meldet sich also wieder bei dem Inspector D. in Bäse-
pohl: "So, Herr, nu bün ik wedder dir; un min Taten liggen all up des'
Sid von de Scheit." -- "Dor Sälen se nich lang' liggcn bliwcn " sagt der
Inspector, nimmt Mannschaft mit und läßt Kisten und Kasten wieder in's
Preußische hinüberwerfen.

Dieser Fall mußte natürlich eine Menge Federn in Bewegung setzen, eine
gute Anzahl Noten wurden über die Grenze hinüber und herüber gewechselt,
und während der Zeit ward Krischan Schultens Hausrath auch immer über
die Grenze hinüber und herüber gewechselt, selbst die beabsichtigte ,Hinüber¬
führung durch einen preußischen Gensdarmen scheiterte an der Wachsamkeit des
Inspektors D., der an der Spitze von aufgebotenen Tagelöhnern sich dieser
Geivaltmaßrcgel mit Glück widersetzte.

Aber Krischan Schule? -- Oh, der war gut zu Wege; der lag mit den
Seinen in der schönsten Jahreszeit im frischen grünen Walde; der Oberförster
zu Grammentin "fühlte ein menschliches Rühren" und gab ihm die Erlaubniß,
sich aus Baumästen und Rasenstücken ein Wohnhaus zu bauen; die Umgegend
unterstützte ihn mit Kartoffeln, er selbst ging auf Erndtcarbeit und Frau und Kin¬
der trieben Wegelagerer, zwar nicht öl, sondern blos xreeaiio, und überfielen
ehrenwerthe, ansässige Reisende mit einer schrecklichen Darstellung ihres hei¬
mathloser Zustandes.

Wie die Leute sagten, stand Krischan Schule sich sehr gut dabei, und wir
glauben selbst, daß er al.s freier Mann und unabhängiger Arbeiter in dieser
deutschen Polizei-Idylle unter Vogelsang und Wipfelrauschen das schönste Vier¬
teljahr seines Lebens verlebte; aber -- die Tage der Glücklichen sind gezählt --
sowie sich der Notenhimmel der Grenzbehörden endlich dahin aufklärte, daß das
rittcrschaftliche Gut Vasepohl sich entschieden weigerte, den Ausgestoßenen mit
Frau und Kindern aufzunehmen, bezog sich der Himmel über dem Grauam-
mer Forst mit schweren Regenwolken, die Vögelmusik zog ab, und der Herbst¬
sturm brauste in den Wipfeln der alten Buchen. -- Krischan Schule -konnte es
in seinem Sommerpalais eines Scnnojcden nicht länger aushalten, er ging
wieder nach Demmin zum Herrn Landrath: "Herr, nu bün ick Widder dir" und
sprach den dringenden Wunsch aus, von seinem Bivouak in ein regelrechtes Winter¬
quartier geführt zu werden. Der Landrath sah die Dringlichkeit und Gerech-


Brücke des Grenzgrabens fahren „un dor lädst du de Saken as und führst
gut wedder taurügg, dat de Kirk nich wedder mittümmt." - Das geschieht;
gleich hinter der preußischen Grammcntiner Forst fließt der Grenzgraben; jen¬
seit desselben auf dem Basepohler Feldmark werden die Habseligkeiten abgeladen,
der Wagen fährt zurück, und Krischan Schule hat die beste Gelegenheit, sich
in Ruhe den mecklenburgischen, wie früher den preußischen, Sternenhimmel an-
zusehn. — Es wird ihm dies jedoch langweilig, oder er sieht nicht recht was
Besonderes daran, er meldet sich also wieder bei dem Inspector D. in Bäse-
pohl: „So, Herr, nu bün ik wedder dir; un min Taten liggen all up des'
Sid von de Scheit." — „Dor Sälen se nich lang' liggcn bliwcn " sagt der
Inspector, nimmt Mannschaft mit und läßt Kisten und Kasten wieder in's
Preußische hinüberwerfen.

Dieser Fall mußte natürlich eine Menge Federn in Bewegung setzen, eine
gute Anzahl Noten wurden über die Grenze hinüber und herüber gewechselt,
und während der Zeit ward Krischan Schultens Hausrath auch immer über
die Grenze hinüber und herüber gewechselt, selbst die beabsichtigte ,Hinüber¬
führung durch einen preußischen Gensdarmen scheiterte an der Wachsamkeit des
Inspektors D., der an der Spitze von aufgebotenen Tagelöhnern sich dieser
Geivaltmaßrcgel mit Glück widersetzte.

Aber Krischan Schule? — Oh, der war gut zu Wege; der lag mit den
Seinen in der schönsten Jahreszeit im frischen grünen Walde; der Oberförster
zu Grammentin „fühlte ein menschliches Rühren" und gab ihm die Erlaubniß,
sich aus Baumästen und Rasenstücken ein Wohnhaus zu bauen; die Umgegend
unterstützte ihn mit Kartoffeln, er selbst ging auf Erndtcarbeit und Frau und Kin¬
der trieben Wegelagerer, zwar nicht öl, sondern blos xreeaiio, und überfielen
ehrenwerthe, ansässige Reisende mit einer schrecklichen Darstellung ihres hei¬
mathloser Zustandes.

Wie die Leute sagten, stand Krischan Schule sich sehr gut dabei, und wir
glauben selbst, daß er al.s freier Mann und unabhängiger Arbeiter in dieser
deutschen Polizei-Idylle unter Vogelsang und Wipfelrauschen das schönste Vier¬
teljahr seines Lebens verlebte; aber — die Tage der Glücklichen sind gezählt —
sowie sich der Notenhimmel der Grenzbehörden endlich dahin aufklärte, daß das
rittcrschaftliche Gut Vasepohl sich entschieden weigerte, den Ausgestoßenen mit
Frau und Kindern aufzunehmen, bezog sich der Himmel über dem Grauam-
mer Forst mit schweren Regenwolken, die Vögelmusik zog ab, und der Herbst¬
sturm brauste in den Wipfeln der alten Buchen. — Krischan Schule -konnte es
in seinem Sommerpalais eines Scnnojcden nicht länger aushalten, er ging
wieder nach Demmin zum Herrn Landrath: „Herr, nu bün ick Widder dir" und
sprach den dringenden Wunsch aus, von seinem Bivouak in ein regelrechtes Winter¬
quartier geführt zu werden. Der Landrath sah die Dringlichkeit und Gerech-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0515" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/115367"/>
          <p xml:id="ID_1669" prev="#ID_1668"> Brücke des Grenzgrabens fahren &#x201E;un dor lädst du de Saken as und führst<lb/>
gut wedder taurügg, dat de Kirk nich wedder mittümmt." - Das geschieht;<lb/>
gleich hinter der preußischen Grammcntiner Forst fließt der Grenzgraben; jen¬<lb/>
seit desselben auf dem Basepohler Feldmark werden die Habseligkeiten abgeladen,<lb/>
der Wagen fährt zurück, und Krischan Schule hat die beste Gelegenheit, sich<lb/>
in Ruhe den mecklenburgischen, wie früher den preußischen, Sternenhimmel an-<lb/>
zusehn. &#x2014; Es wird ihm dies jedoch langweilig, oder er sieht nicht recht was<lb/>
Besonderes daran, er meldet sich also wieder bei dem Inspector D. in Bäse-<lb/>
pohl: &#x201E;So, Herr, nu bün ik wedder dir; un min Taten liggen all up des'<lb/>
Sid von de Scheit." &#x2014; &#x201E;Dor Sälen se nich lang' liggcn bliwcn " sagt der<lb/>
Inspector, nimmt Mannschaft mit und läßt Kisten und Kasten wieder in's<lb/>
Preußische hinüberwerfen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1670"> Dieser Fall mußte natürlich eine Menge Federn in Bewegung setzen, eine<lb/>
gute Anzahl Noten wurden über die Grenze hinüber und herüber gewechselt,<lb/>
und während der Zeit ward Krischan Schultens Hausrath auch immer über<lb/>
die Grenze hinüber und herüber gewechselt, selbst die beabsichtigte ,Hinüber¬<lb/>
führung durch einen preußischen Gensdarmen scheiterte an der Wachsamkeit des<lb/>
Inspektors D., der an der Spitze von aufgebotenen Tagelöhnern sich dieser<lb/>
Geivaltmaßrcgel mit Glück widersetzte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1671"> Aber Krischan Schule? &#x2014; Oh, der war gut zu Wege; der lag mit den<lb/>
Seinen in der schönsten Jahreszeit im frischen grünen Walde; der Oberförster<lb/>
zu Grammentin &#x201E;fühlte ein menschliches Rühren" und gab ihm die Erlaubniß,<lb/>
sich aus Baumästen und Rasenstücken ein Wohnhaus zu bauen; die Umgegend<lb/>
unterstützte ihn mit Kartoffeln, er selbst ging auf Erndtcarbeit und Frau und Kin¬<lb/>
der trieben Wegelagerer, zwar nicht öl, sondern blos xreeaiio, und überfielen<lb/>
ehrenwerthe, ansässige Reisende mit einer schrecklichen Darstellung ihres hei¬<lb/>
mathloser Zustandes.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1672" next="#ID_1673"> Wie die Leute sagten, stand Krischan Schule sich sehr gut dabei, und wir<lb/>
glauben selbst, daß er al.s freier Mann und unabhängiger Arbeiter in dieser<lb/>
deutschen Polizei-Idylle unter Vogelsang und Wipfelrauschen das schönste Vier¬<lb/>
teljahr seines Lebens verlebte; aber &#x2014; die Tage der Glücklichen sind gezählt &#x2014;<lb/>
sowie sich der Notenhimmel der Grenzbehörden endlich dahin aufklärte, daß das<lb/>
rittcrschaftliche Gut Vasepohl sich entschieden weigerte, den Ausgestoßenen mit<lb/>
Frau und Kindern aufzunehmen, bezog sich der Himmel über dem Grauam-<lb/>
mer Forst mit schweren Regenwolken, die Vögelmusik zog ab, und der Herbst¬<lb/>
sturm brauste in den Wipfeln der alten Buchen. &#x2014; Krischan Schule -konnte es<lb/>
in seinem Sommerpalais eines Scnnojcden nicht länger aushalten, er ging<lb/>
wieder nach Demmin zum Herrn Landrath: &#x201E;Herr, nu bün ick Widder dir" und<lb/>
sprach den dringenden Wunsch aus, von seinem Bivouak in ein regelrechtes Winter¬<lb/>
quartier geführt zu werden. Der Landrath sah die Dringlichkeit und Gerech-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0515] Brücke des Grenzgrabens fahren „un dor lädst du de Saken as und führst gut wedder taurügg, dat de Kirk nich wedder mittümmt." - Das geschieht; gleich hinter der preußischen Grammcntiner Forst fließt der Grenzgraben; jen¬ seit desselben auf dem Basepohler Feldmark werden die Habseligkeiten abgeladen, der Wagen fährt zurück, und Krischan Schule hat die beste Gelegenheit, sich in Ruhe den mecklenburgischen, wie früher den preußischen, Sternenhimmel an- zusehn. — Es wird ihm dies jedoch langweilig, oder er sieht nicht recht was Besonderes daran, er meldet sich also wieder bei dem Inspector D. in Bäse- pohl: „So, Herr, nu bün ik wedder dir; un min Taten liggen all up des' Sid von de Scheit." — „Dor Sälen se nich lang' liggcn bliwcn " sagt der Inspector, nimmt Mannschaft mit und läßt Kisten und Kasten wieder in's Preußische hinüberwerfen. Dieser Fall mußte natürlich eine Menge Federn in Bewegung setzen, eine gute Anzahl Noten wurden über die Grenze hinüber und herüber gewechselt, und während der Zeit ward Krischan Schultens Hausrath auch immer über die Grenze hinüber und herüber gewechselt, selbst die beabsichtigte ,Hinüber¬ führung durch einen preußischen Gensdarmen scheiterte an der Wachsamkeit des Inspektors D., der an der Spitze von aufgebotenen Tagelöhnern sich dieser Geivaltmaßrcgel mit Glück widersetzte. Aber Krischan Schule? — Oh, der war gut zu Wege; der lag mit den Seinen in der schönsten Jahreszeit im frischen grünen Walde; der Oberförster zu Grammentin „fühlte ein menschliches Rühren" und gab ihm die Erlaubniß, sich aus Baumästen und Rasenstücken ein Wohnhaus zu bauen; die Umgegend unterstützte ihn mit Kartoffeln, er selbst ging auf Erndtcarbeit und Frau und Kin¬ der trieben Wegelagerer, zwar nicht öl, sondern blos xreeaiio, und überfielen ehrenwerthe, ansässige Reisende mit einer schrecklichen Darstellung ihres hei¬ mathloser Zustandes. Wie die Leute sagten, stand Krischan Schule sich sehr gut dabei, und wir glauben selbst, daß er al.s freier Mann und unabhängiger Arbeiter in dieser deutschen Polizei-Idylle unter Vogelsang und Wipfelrauschen das schönste Vier¬ teljahr seines Lebens verlebte; aber — die Tage der Glücklichen sind gezählt — sowie sich der Notenhimmel der Grenzbehörden endlich dahin aufklärte, daß das rittcrschaftliche Gut Vasepohl sich entschieden weigerte, den Ausgestoßenen mit Frau und Kindern aufzunehmen, bezog sich der Himmel über dem Grauam- mer Forst mit schweren Regenwolken, die Vögelmusik zog ab, und der Herbst¬ sturm brauste in den Wipfeln der alten Buchen. — Krischan Schule -konnte es in seinem Sommerpalais eines Scnnojcden nicht länger aushalten, er ging wieder nach Demmin zum Herrn Landrath: „Herr, nu bün ick Widder dir" und sprach den dringenden Wunsch aus, von seinem Bivouak in ein regelrechtes Winter¬ quartier geführt zu werden. Der Landrath sah die Dringlichkeit und Gerech-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/515
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/515>, abgerufen am 29.05.2024.