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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band.

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standcnen Interesse der materiellen Wohlfahrt des Landes gebotenen Vorlagen. In
letzterer Beziehung wird ausdrücklich zugesagt: die Wiederherstellung der von
Hassenpflug beseitigten fünf Obergerichte; die endliche Erledigung der Leihbaus-
Angelegenheit und der Bau einer Eisenbahn von Bebra über Fulda nach
Hanau.

Mit diesen "Modificationen" des aufgestellten Princips werden die Stände
schon verhandeln können. Gleichzeitig hat aber auch das Ministerium durch
den Mund des Landtagscommissars eröffnen lassen-, "die Regierung müsse
einer Anschauung entgegentreten, als ob die bisher bestandene Verfassungs- und
Rechtsordnung nur einen thatsächlichen Zustand darstellte, dem jede rechtliche
Wirksamkeit abging." "Die Staatsregierung hält sich für verpflichtet, unum¬
wunden zu erklären, daß sie einer Ansicht, aus welcher folgerecht so etwas her¬
geleitet werden könnte, jede praktische Geltung und jeden Einfluß auf ihr eignes
Handeln und Wirken versagt, und falls es möglich wäre, einen Zusammenhang
dieser Anschauungen mit den Beschlüssen der hohen Versammlung über die Zu¬
lassung des zweiten Abgeordneten der Stadt Hanau und die Wahl des Aus¬
schusses für Vorschläge zu Mitglicderstellen des Oberapvcllationsgerichtes zu
unterstellen, so würde ich meine damalige und meine heutige Erklärung als
ausdrückliche Wahrung gegen alle Folgerungen dieser Art bezeichnen müssen."

Da wäre also die vielberufene rsstitutio ox nunc leibhaftig wieder vor
uns, und zwar in vollständiger Nacktheit. Freilich können die Stände ge¬
schehene Dinge nicht ungeschehen machen. Sie müssen gar Vieles aus der Zeit
des vcrfassungslvsen Interregnums nachträglich billigen, weil ein anderer Weg
nicht offen steht. Denn die unbedingte Durchführung des Legitimitätsprincips
würde hier, wie anderwärts, sehr bedenkliche und gefährliche Consequenzen nach
sich ziehen. Eine solche Anerkennung des Geschehenen schließt jedoch überall
nicht in sich, daß die Stände auf die Ueberführung des verfassungswidrigen Zu¬
standes der Zwischenzeit in einen verfassungsmäßigen verzichten. Der Grund¬
satz der rcMwtio ex nunc, wie er Seitens der Regierung aufgefaßt zu wer¬
den scheint, ist für die Stände absolut unannehmbar. Auch hat derselbe in der
Trabertschen Angelegenheit eine Abweisung schon erhalten.

Die obenerwähnte Verwahrung des Landtagscommissars gegen die von den
Ständen bereits vorgenommene "Wahl eines Ausschusses für Vorschläge zur
Besetzung des Oberappellationsgerichtes kann dazu dienen, den Streitpunkt
näher zu erörtern. Dabei erhalten zugleich die eigenthümlichen Zustände dieses
Gerichtshofes einige Beleuchtung.

Nach der Verfassungsurkunde vom 5. Januar 1831 § 100 sind die Land¬
stände befugt und verpflichtet "diejenigen Borstände der Ministerien, oder deren
Stellvertreter, welche sich einer Verletzung der Verfassung schuldig gemacht
hab,"?, vor dem Oberappellationsgericht anzuklagen, welches sodann ohne Verzug


standcnen Interesse der materiellen Wohlfahrt des Landes gebotenen Vorlagen. In
letzterer Beziehung wird ausdrücklich zugesagt: die Wiederherstellung der von
Hassenpflug beseitigten fünf Obergerichte; die endliche Erledigung der Leihbaus-
Angelegenheit und der Bau einer Eisenbahn von Bebra über Fulda nach
Hanau.

Mit diesen „Modificationen" des aufgestellten Princips werden die Stände
schon verhandeln können. Gleichzeitig hat aber auch das Ministerium durch
den Mund des Landtagscommissars eröffnen lassen-, „die Regierung müsse
einer Anschauung entgegentreten, als ob die bisher bestandene Verfassungs- und
Rechtsordnung nur einen thatsächlichen Zustand darstellte, dem jede rechtliche
Wirksamkeit abging." „Die Staatsregierung hält sich für verpflichtet, unum¬
wunden zu erklären, daß sie einer Ansicht, aus welcher folgerecht so etwas her¬
geleitet werden könnte, jede praktische Geltung und jeden Einfluß auf ihr eignes
Handeln und Wirken versagt, und falls es möglich wäre, einen Zusammenhang
dieser Anschauungen mit den Beschlüssen der hohen Versammlung über die Zu¬
lassung des zweiten Abgeordneten der Stadt Hanau und die Wahl des Aus¬
schusses für Vorschläge zu Mitglicderstellen des Oberapvcllationsgerichtes zu
unterstellen, so würde ich meine damalige und meine heutige Erklärung als
ausdrückliche Wahrung gegen alle Folgerungen dieser Art bezeichnen müssen."

Da wäre also die vielberufene rsstitutio ox nunc leibhaftig wieder vor
uns, und zwar in vollständiger Nacktheit. Freilich können die Stände ge¬
schehene Dinge nicht ungeschehen machen. Sie müssen gar Vieles aus der Zeit
des vcrfassungslvsen Interregnums nachträglich billigen, weil ein anderer Weg
nicht offen steht. Denn die unbedingte Durchführung des Legitimitätsprincips
würde hier, wie anderwärts, sehr bedenkliche und gefährliche Consequenzen nach
sich ziehen. Eine solche Anerkennung des Geschehenen schließt jedoch überall
nicht in sich, daß die Stände auf die Ueberführung des verfassungswidrigen Zu¬
standes der Zwischenzeit in einen verfassungsmäßigen verzichten. Der Grund¬
satz der rcMwtio ex nunc, wie er Seitens der Regierung aufgefaßt zu wer¬
den scheint, ist für die Stände absolut unannehmbar. Auch hat derselbe in der
Trabertschen Angelegenheit eine Abweisung schon erhalten.

Die obenerwähnte Verwahrung des Landtagscommissars gegen die von den
Ständen bereits vorgenommene „Wahl eines Ausschusses für Vorschläge zur
Besetzung des Oberappellationsgerichtes kann dazu dienen, den Streitpunkt
näher zu erörtern. Dabei erhalten zugleich die eigenthümlichen Zustände dieses
Gerichtshofes einige Beleuchtung.

Nach der Verfassungsurkunde vom 5. Januar 1831 § 100 sind die Land¬
stände befugt und verpflichtet „diejenigen Borstände der Ministerien, oder deren
Stellvertreter, welche sich einer Verletzung der Verfassung schuldig gemacht
hab,"?, vor dem Oberappellationsgericht anzuklagen, welches sodann ohne Verzug


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/528>, abgerufen am 15.05.2024.