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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band.

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erkannt. Will nun der obenerwähnte Protest der Regierung aussprechen, daß
den richterlichen Erkenntnissen des durch Anordnungen der Zwischenzeit geschaffenen
Oberappellationsgerichts eine rechtliche Anerkennung nicht versagt werden dürfe,
weil sonst die größte .Rechtsunsicherheit daraus hervorgehen müsse; so kann dem
kaum widersprochen werden. Will aber jener Protest ausdrücken, daß auch die in
der Zwischenzeit gegen die ausdrückliche Vorschrift des rechtsbeständig erlassenen
Gesetzes zu Stande gebrachte Zusammensetzung des Gerichtshofes, als eine
rechtmäßige für die Zukunft anerkannt werden solle, dergestalt, daß die von
der Regierung einseitig ernannten Räthe auch künftig als Mitglieder des
Staatsgerichtshofs fungiren, so wäre dieses ein völlig ungerechtfertigtes Ver-
langen, welchem die Stände min und nimmermehr willfahren können und will¬
fahren werden. Die Verantwortlichkeit der Minister ist die wirksamste Garantie
der Verfassung; und diese Garantie wird geradezu vernichtet, sobald die Be¬
setzung desjenigen Gerichtshofs, welcher über Verfassungsverletzungen zu erken¬
nen hat, lediglich von den betreffenden Ministern selbst ausgeht. Wirklich
scheint man auf dieses Ziel lossteuern zu wollen. Nachdem der Bundtsveschluß
vom 24. Mai bereits erlassen war, also die Verfassung wieder hergestellt wer¬
den mußte, hat das vorhinnige Ministerium, unmittelbar vor seinem Abgang,
uoch zwei Stellen des Oberappellationsgerichts besetzt. Darunter befand sich
eine Persönlichkeit, welcher kaum ein anderes Verdienst beigemessen werden
kann, als blinde Ergebenheit gegen das gestürzte System. Wenn die Regie¬
rung für alle Acte der Zwischenzeit unbedingte Rechtsbeständigkeit in Anspruch
nimmt, so scheint dabei nicht allein eine verkehrte Rechtsanschauung zu Grunde
zu liegen. Es scheinen noch andere Motive wirksam zu sein. Wird jener
Grundsatz nicht anerkannt, dann kommt die persönliche Verantwortlichkeit aller
derjenigen Personen in Frage, welche den Umsturz der Verfassung veranlaßt
haben, oder bei demselben sonst thätig gewesen. Unter diesen Personen befin¬
den sich viele Leute, die man nicht fallen lassen kann und nicht fallen lassen
will. Hier wird wohl des Pudels Kern zu suchen sein. Die Stände werden
sich nicht beeilen für die Deckung dieser Herren mittelst der Fiction einer un¬
bedingten Rechtsbeständigkeit aller Acte der Zwischenregierung Sorge zu tragen.
Sie würden damit nur einen zweiten Hassenpflug und einen zweiten Ver-
sassungsumsturz heraufbeschwören. Uevcr die von der Negierung geforderte
unbedingte Anerkennung der Rechtmäßigkeit aller Regierungsacte des Inter¬
regnums wird sich demnächst voraussichtlich ein heftiger Kampf entspinnen, der
kaum anders als mit der Niederlage der Minister endigen kann. Die Regie-
rung wird schließlich genöthigt sein, auch hier "Modifikationen" eintreten zu
lassen.

Die Affaire Haynau hat inzwischen einen vorläufigen Abschluß erhalten.
Zuerst scheint man über diejenigen Offiziere, welche die Sache nicht als erledigt


erkannt. Will nun der obenerwähnte Protest der Regierung aussprechen, daß
den richterlichen Erkenntnissen des durch Anordnungen der Zwischenzeit geschaffenen
Oberappellationsgerichts eine rechtliche Anerkennung nicht versagt werden dürfe,
weil sonst die größte .Rechtsunsicherheit daraus hervorgehen müsse; so kann dem
kaum widersprochen werden. Will aber jener Protest ausdrücken, daß auch die in
der Zwischenzeit gegen die ausdrückliche Vorschrift des rechtsbeständig erlassenen
Gesetzes zu Stande gebrachte Zusammensetzung des Gerichtshofes, als eine
rechtmäßige für die Zukunft anerkannt werden solle, dergestalt, daß die von
der Regierung einseitig ernannten Räthe auch künftig als Mitglieder des
Staatsgerichtshofs fungiren, so wäre dieses ein völlig ungerechtfertigtes Ver-
langen, welchem die Stände min und nimmermehr willfahren können und will¬
fahren werden. Die Verantwortlichkeit der Minister ist die wirksamste Garantie
der Verfassung; und diese Garantie wird geradezu vernichtet, sobald die Be¬
setzung desjenigen Gerichtshofs, welcher über Verfassungsverletzungen zu erken¬
nen hat, lediglich von den betreffenden Ministern selbst ausgeht. Wirklich
scheint man auf dieses Ziel lossteuern zu wollen. Nachdem der Bundtsveschluß
vom 24. Mai bereits erlassen war, also die Verfassung wieder hergestellt wer¬
den mußte, hat das vorhinnige Ministerium, unmittelbar vor seinem Abgang,
uoch zwei Stellen des Oberappellationsgerichts besetzt. Darunter befand sich
eine Persönlichkeit, welcher kaum ein anderes Verdienst beigemessen werden
kann, als blinde Ergebenheit gegen das gestürzte System. Wenn die Regie¬
rung für alle Acte der Zwischenzeit unbedingte Rechtsbeständigkeit in Anspruch
nimmt, so scheint dabei nicht allein eine verkehrte Rechtsanschauung zu Grunde
zu liegen. Es scheinen noch andere Motive wirksam zu sein. Wird jener
Grundsatz nicht anerkannt, dann kommt die persönliche Verantwortlichkeit aller
derjenigen Personen in Frage, welche den Umsturz der Verfassung veranlaßt
haben, oder bei demselben sonst thätig gewesen. Unter diesen Personen befin¬
den sich viele Leute, die man nicht fallen lassen kann und nicht fallen lassen
will. Hier wird wohl des Pudels Kern zu suchen sein. Die Stände werden
sich nicht beeilen für die Deckung dieser Herren mittelst der Fiction einer un¬
bedingten Rechtsbeständigkeit aller Acte der Zwischenregierung Sorge zu tragen.
Sie würden damit nur einen zweiten Hassenpflug und einen zweiten Ver-
sassungsumsturz heraufbeschwören. Uevcr die von der Negierung geforderte
unbedingte Anerkennung der Rechtmäßigkeit aller Regierungsacte des Inter¬
regnums wird sich demnächst voraussichtlich ein heftiger Kampf entspinnen, der
kaum anders als mit der Niederlage der Minister endigen kann. Die Regie-
rung wird schließlich genöthigt sein, auch hier „Modifikationen" eintreten zu
lassen.

Die Affaire Haynau hat inzwischen einen vorläufigen Abschluß erhalten.
Zuerst scheint man über diejenigen Offiziere, welche die Sache nicht als erledigt


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/530>, abgerufen am 15.05.2024.