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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band.

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deutsche in sich fassen, wie seiner Zeit das frankfurter Parlament, warum also
eine freie Conferenz, mit den entgegenstellenden Parteien vermeiden. mit denen
man doch auf dem Boden einer legalen Institution, die man selber herbei¬
wünschte, gut zusammentreffen nicht vermeiden konnte?

Wollte also eine Partei sich im voraus dieser Conferenz entziehen, so war
sie einem doppelten Verdacht ausgesetzt. Entweder sie erklärte damit, eine na¬
tionale Reform mit wahrhafter deutscher Volksvertretung überhaupt nicht zu
wollen, oder sie bekannte stillschweigend damit ein Gefühl der Schwäche, das
Bewußtsein der Unfähigkeit, der andern Partei angesichts der ganzen Nation
mit offenem Visir gegenüber zu treten. Die großdeutsche Partei konnte sich
nicht verhehlen, daß, wenn sie nicht erschien, sie freiwillig das Terrain räumte,
sich selbst im voraus für geschlagen gab. Daher überwog auch von Anfang
an die Ansicht, man müsse erscheinen; ein Besuch in Masse ward in Aussicht
gestellt, mehre öffentliche Stimmen forderten zu möglichst zahlreicher Betheiligung
auf, um wenigstens in dieser Hinsicht den Gegnern gewachsen zu sein. Auch
in Wien, wo eben der Juristentag das Gefühl der Zusammengehörigkeit mit
Deutschland neu erweckte, überwog diese Meinung. Schmerling selbst schien
kein anderes Mittel zu wissen, der unbequemen Versammlung zu begegnen, als
sie durch eine Massenbeteiligung der Großdeutschen möglichst in seinem Sinn
zu lenken.

Allein gleichzeitig mußten sich auch sehr gewichtige Bedenken geltend ma¬
chen; eine gewisse Unsicherheit war auf großdeutscher Seite von Anfang an zu
bemerken. Schon der eben berührte Punkt der "Massenbetheiligung" war
überaus charakteristisch. Dasselbe Motto, das am besten den Mangel der Par¬
tei an Selbstvertrauen kennzeichnet, war in den Vorbesprechungen noch beson¬
ders mit der Forderung aufgetreten, eine Vorversammlung aus einer je glei¬
chen Anzahl von Genossen der beiden Parteien zu bilden. Die Furcht, über¬
stimmt zu werden, war also die dominirende Rücksicht, man legte das Haupt¬
gewicht auf die Menge, und ein wiener Blatt war geradezu so naiv, die
Großbeutschen zu ernähren, nur dann zu kommen, wenn sie der Mehrzahl ge¬
wiß seien. Als ob es darauf angekommen wäre, die Gegner zu überstimmen
oder vielleicht zu überschreien, als ob eine zufällige Mehrheit in dem Gang
der Dinge oder selbst in der Stellung der Parteien das Geringste hätte ändern
können! Wo so ängstlich das Bestreben vorwaltete, wenigstens in großer An¬
zahl zu erscheinen, damit Einer am Andern einen genügenden Rückhalt hätte,
da mußten noch andre Bedenken schwerer Art vorhanden sein.

Zwar diejenigen, die vorgeschützt wurden, waren so unhaltbar als mög¬
lich. Die Namen der Einladenden, hieß es, bürgten dafür, daß es nur auf
eine Nationalvereinsversammlung abgesehen sei. Allein es war nicht die
Schuld der Kleindeutschen, daß die Großdeutschen sich weniger für das Zustande


deutsche in sich fassen, wie seiner Zeit das frankfurter Parlament, warum also
eine freie Conferenz, mit den entgegenstellenden Parteien vermeiden. mit denen
man doch auf dem Boden einer legalen Institution, die man selber herbei¬
wünschte, gut zusammentreffen nicht vermeiden konnte?

Wollte also eine Partei sich im voraus dieser Conferenz entziehen, so war
sie einem doppelten Verdacht ausgesetzt. Entweder sie erklärte damit, eine na¬
tionale Reform mit wahrhafter deutscher Volksvertretung überhaupt nicht zu
wollen, oder sie bekannte stillschweigend damit ein Gefühl der Schwäche, das
Bewußtsein der Unfähigkeit, der andern Partei angesichts der ganzen Nation
mit offenem Visir gegenüber zu treten. Die großdeutsche Partei konnte sich
nicht verhehlen, daß, wenn sie nicht erschien, sie freiwillig das Terrain räumte,
sich selbst im voraus für geschlagen gab. Daher überwog auch von Anfang
an die Ansicht, man müsse erscheinen; ein Besuch in Masse ward in Aussicht
gestellt, mehre öffentliche Stimmen forderten zu möglichst zahlreicher Betheiligung
auf, um wenigstens in dieser Hinsicht den Gegnern gewachsen zu sein. Auch
in Wien, wo eben der Juristentag das Gefühl der Zusammengehörigkeit mit
Deutschland neu erweckte, überwog diese Meinung. Schmerling selbst schien
kein anderes Mittel zu wissen, der unbequemen Versammlung zu begegnen, als
sie durch eine Massenbeteiligung der Großdeutschen möglichst in seinem Sinn
zu lenken.

Allein gleichzeitig mußten sich auch sehr gewichtige Bedenken geltend ma¬
chen; eine gewisse Unsicherheit war auf großdeutscher Seite von Anfang an zu
bemerken. Schon der eben berührte Punkt der „Massenbetheiligung" war
überaus charakteristisch. Dasselbe Motto, das am besten den Mangel der Par¬
tei an Selbstvertrauen kennzeichnet, war in den Vorbesprechungen noch beson¬
ders mit der Forderung aufgetreten, eine Vorversammlung aus einer je glei¬
chen Anzahl von Genossen der beiden Parteien zu bilden. Die Furcht, über¬
stimmt zu werden, war also die dominirende Rücksicht, man legte das Haupt¬
gewicht auf die Menge, und ein wiener Blatt war geradezu so naiv, die
Großbeutschen zu ernähren, nur dann zu kommen, wenn sie der Mehrzahl ge¬
wiß seien. Als ob es darauf angekommen wäre, die Gegner zu überstimmen
oder vielleicht zu überschreien, als ob eine zufällige Mehrheit in dem Gang
der Dinge oder selbst in der Stellung der Parteien das Geringste hätte ändern
können! Wo so ängstlich das Bestreben vorwaltete, wenigstens in großer An¬
zahl zu erscheinen, damit Einer am Andern einen genügenden Rückhalt hätte,
da mußten noch andre Bedenken schwerer Art vorhanden sein.

Zwar diejenigen, die vorgeschützt wurden, waren so unhaltbar als mög¬
lich. Die Namen der Einladenden, hieß es, bürgten dafür, daß es nur auf
eine Nationalvereinsversammlung abgesehen sei. Allein es war nicht die
Schuld der Kleindeutschen, daß die Großdeutschen sich weniger für das Zustande


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/78>, abgerufen am 14.05.2024.