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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.

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zu lassen, und der junge Spartaner Eutelidas gewann dabei den Kranz. Viel¬
leicht fürchteten die Hellanodiken, daß die lakonischer Knaben wegen ihrer Ueber-
legenheit in der körperlichen Abhärtung und Stärke allemal den Preis davon¬
tragen würden, vielleicht sahen sie aber auch ein, dah die gesteigerte Kraft¬
anstrengung des Fünfkampfs eine zu große Erschöpfung der Jugend nach sich
zöge. Letzteres hebt besonders auch Aristoteles hervor, indem er in seiner
Schrift über den Staat die zu seiner Zeit herrschende Sitte, die Knaben in
den eigentlichen Athletenkünsten zu unterrichten, tadelt und dann fortfährt:
"Bis zur Mannbarkeit müssen leichtere Uebungen angewendet werden und die
Zwangsdiät und das übertriebene Sichanstrengen fern gehalten, damit nicht
das Wachsthum des Körpers gehemmt werde. Der Beweis dafür, daß man
letzteres bewirken könne, liegt sehr nahe. Denn unter den olympischen Siegern
findet man lar zwei oder drei, die als Knaben und auch als Männer gesiegt
haben, deshalb, weil ihnen durch die übermäßigen Uebungen in der Jugend
Kraft und Stärke entzogen worden ist." Oft wird es vorgekommen sein, daß
die Geschwindigkeit der Füße oder die Stärke der Gliedmaßen ihrer Kinder die
Eltern bestimmten, dieselben von Jugend auf systematisch dem Athletenberufe
zu weihen. That dies doch sogar nach Pausanias die Mutter des Deilochos,
weil ihr geträumt hatte, ihr Kind läge bekränzt auf ihrem Schoße! Ueberhaupt
verband sich mit dem freier Männer würdigen, die körperliche Tüchtigkeit för¬
dernden und zum Bewußtsein der menschlichen Schönheit führenden Streben
nach persönlicher Auszeichnung und nationaler Ehre nur zu bald etwas Hand¬
werksmäßiges und gänzlich Materielles. Es konnte nämlich bei dem großen
Ansehen und Ruhme der Sieger nicht anders komme", als daß Leute aus den
niedrigsten Ständen sich von Jugend an auf die gymnischen Spiele vorbereite¬
ten und dann die Sache gewerbsmäßig betrieben, von einem Feste zum andern
herumreisend und gleichsam Vorstellungen gebend. Denn wenn es auch später
nicht mehr so war, wie in der heroischen Zeit, "wo die Helden", wie Pindar
singt, "gewannen im Wettkampf die Preise und schmückten die Hallen sich aus
mit goldenem Glanz, mit Dreifüßen, Becken und goldenen Schalen," so exi-
stirten doch auch später noch Wettkämpfe, wo reelle Gewinne, Geld, vielleicht
sogar schon silberne Pokale zu gewinnen waren, und zuweilen scheuten sich auch
die Athleten nicht, bei den Zuschauern Geld einzusammeln und zu dem reinen
Golde des Ruhms die Scheidemünze der Bettelei zu fügen. Ein solcher Vir¬
tuos war der obenerwähnte Alexandriner Apollonisos, der in Olympia zu spät
ankam, weil er die Geldpreise bei den kleinasiatischen Spielen nicht hatte sich
entgehen lassen wollen. Keiner erreichte aber wohl den Thafier Theagencs, der
als Läufer, Ringerund Faustkämpfer, wie Pausanias behauptet, 1400 Sieges¬
kranze erbeutet haben soll. Erschien ein solcher Antagonist auf dem Schau¬
platze, so überließen ihm manchmal die ihm durchs Loos zufallenden Gegner


zu lassen, und der junge Spartaner Eutelidas gewann dabei den Kranz. Viel¬
leicht fürchteten die Hellanodiken, daß die lakonischer Knaben wegen ihrer Ueber-
legenheit in der körperlichen Abhärtung und Stärke allemal den Preis davon¬
tragen würden, vielleicht sahen sie aber auch ein, dah die gesteigerte Kraft¬
anstrengung des Fünfkampfs eine zu große Erschöpfung der Jugend nach sich
zöge. Letzteres hebt besonders auch Aristoteles hervor, indem er in seiner
Schrift über den Staat die zu seiner Zeit herrschende Sitte, die Knaben in
den eigentlichen Athletenkünsten zu unterrichten, tadelt und dann fortfährt:
„Bis zur Mannbarkeit müssen leichtere Uebungen angewendet werden und die
Zwangsdiät und das übertriebene Sichanstrengen fern gehalten, damit nicht
das Wachsthum des Körpers gehemmt werde. Der Beweis dafür, daß man
letzteres bewirken könne, liegt sehr nahe. Denn unter den olympischen Siegern
findet man lar zwei oder drei, die als Knaben und auch als Männer gesiegt
haben, deshalb, weil ihnen durch die übermäßigen Uebungen in der Jugend
Kraft und Stärke entzogen worden ist." Oft wird es vorgekommen sein, daß
die Geschwindigkeit der Füße oder die Stärke der Gliedmaßen ihrer Kinder die
Eltern bestimmten, dieselben von Jugend auf systematisch dem Athletenberufe
zu weihen. That dies doch sogar nach Pausanias die Mutter des Deilochos,
weil ihr geträumt hatte, ihr Kind läge bekränzt auf ihrem Schoße! Ueberhaupt
verband sich mit dem freier Männer würdigen, die körperliche Tüchtigkeit för¬
dernden und zum Bewußtsein der menschlichen Schönheit führenden Streben
nach persönlicher Auszeichnung und nationaler Ehre nur zu bald etwas Hand¬
werksmäßiges und gänzlich Materielles. Es konnte nämlich bei dem großen
Ansehen und Ruhme der Sieger nicht anders komme», als daß Leute aus den
niedrigsten Ständen sich von Jugend an auf die gymnischen Spiele vorbereite¬
ten und dann die Sache gewerbsmäßig betrieben, von einem Feste zum andern
herumreisend und gleichsam Vorstellungen gebend. Denn wenn es auch später
nicht mehr so war, wie in der heroischen Zeit, „wo die Helden", wie Pindar
singt, „gewannen im Wettkampf die Preise und schmückten die Hallen sich aus
mit goldenem Glanz, mit Dreifüßen, Becken und goldenen Schalen," so exi-
stirten doch auch später noch Wettkämpfe, wo reelle Gewinne, Geld, vielleicht
sogar schon silberne Pokale zu gewinnen waren, und zuweilen scheuten sich auch
die Athleten nicht, bei den Zuschauern Geld einzusammeln und zu dem reinen
Golde des Ruhms die Scheidemünze der Bettelei zu fügen. Ein solcher Vir¬
tuos war der obenerwähnte Alexandriner Apollonisos, der in Olympia zu spät
ankam, weil er die Geldpreise bei den kleinasiatischen Spielen nicht hatte sich
entgehen lassen wollen. Keiner erreichte aber wohl den Thafier Theagencs, der
als Läufer, Ringerund Faustkämpfer, wie Pausanias behauptet, 1400 Sieges¬
kranze erbeutet haben soll. Erschien ein solcher Antagonist auf dem Schau¬
platze, so überließen ihm manchmal die ihm durchs Loos zufallenden Gegner


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[0102] zu lassen, und der junge Spartaner Eutelidas gewann dabei den Kranz. Viel¬ leicht fürchteten die Hellanodiken, daß die lakonischer Knaben wegen ihrer Ueber- legenheit in der körperlichen Abhärtung und Stärke allemal den Preis davon¬ tragen würden, vielleicht sahen sie aber auch ein, dah die gesteigerte Kraft¬ anstrengung des Fünfkampfs eine zu große Erschöpfung der Jugend nach sich zöge. Letzteres hebt besonders auch Aristoteles hervor, indem er in seiner Schrift über den Staat die zu seiner Zeit herrschende Sitte, die Knaben in den eigentlichen Athletenkünsten zu unterrichten, tadelt und dann fortfährt: „Bis zur Mannbarkeit müssen leichtere Uebungen angewendet werden und die Zwangsdiät und das übertriebene Sichanstrengen fern gehalten, damit nicht das Wachsthum des Körpers gehemmt werde. Der Beweis dafür, daß man letzteres bewirken könne, liegt sehr nahe. Denn unter den olympischen Siegern findet man lar zwei oder drei, die als Knaben und auch als Männer gesiegt haben, deshalb, weil ihnen durch die übermäßigen Uebungen in der Jugend Kraft und Stärke entzogen worden ist." Oft wird es vorgekommen sein, daß die Geschwindigkeit der Füße oder die Stärke der Gliedmaßen ihrer Kinder die Eltern bestimmten, dieselben von Jugend auf systematisch dem Athletenberufe zu weihen. That dies doch sogar nach Pausanias die Mutter des Deilochos, weil ihr geträumt hatte, ihr Kind läge bekränzt auf ihrem Schoße! Ueberhaupt verband sich mit dem freier Männer würdigen, die körperliche Tüchtigkeit för¬ dernden und zum Bewußtsein der menschlichen Schönheit führenden Streben nach persönlicher Auszeichnung und nationaler Ehre nur zu bald etwas Hand¬ werksmäßiges und gänzlich Materielles. Es konnte nämlich bei dem großen Ansehen und Ruhme der Sieger nicht anders komme», als daß Leute aus den niedrigsten Ständen sich von Jugend an auf die gymnischen Spiele vorbereite¬ ten und dann die Sache gewerbsmäßig betrieben, von einem Feste zum andern herumreisend und gleichsam Vorstellungen gebend. Denn wenn es auch später nicht mehr so war, wie in der heroischen Zeit, „wo die Helden", wie Pindar singt, „gewannen im Wettkampf die Preise und schmückten die Hallen sich aus mit goldenem Glanz, mit Dreifüßen, Becken und goldenen Schalen," so exi- stirten doch auch später noch Wettkämpfe, wo reelle Gewinne, Geld, vielleicht sogar schon silberne Pokale zu gewinnen waren, und zuweilen scheuten sich auch die Athleten nicht, bei den Zuschauern Geld einzusammeln und zu dem reinen Golde des Ruhms die Scheidemünze der Bettelei zu fügen. Ein solcher Vir¬ tuos war der obenerwähnte Alexandriner Apollonisos, der in Olympia zu spät ankam, weil er die Geldpreise bei den kleinasiatischen Spielen nicht hatte sich entgehen lassen wollen. Keiner erreichte aber wohl den Thafier Theagencs, der als Läufer, Ringerund Faustkämpfer, wie Pausanias behauptet, 1400 Sieges¬ kranze erbeutet haben soll. Erschien ein solcher Antagonist auf dem Schau¬ platze, so überließen ihm manchmal die ihm durchs Loos zufallenden Gegner

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/102>, abgerufen am 31.05.2024.