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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.

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Im Allgemeinen freilich ist die Zeit zu Feiertagen und Festgelagen nicht ge¬
eignet. Wir wurden in dieser Woche wieder daran erinnert, da sich am letzten Tage
des Turnfestes plötzlich die Nachricht verbreitete, in Schroda werde.Sturm ge¬
läutet u. f. w. Die erste Kunde war in so drastischer und unbestimmter Form
gekommen, daß wirklich Einer oder der Andere denken mochte, die National¬
regierung habe nun den Augenblick geeignet gefunden, um hier zu beginnen.
Jetzt wissen wir Näheres und Besseres. Sie kennen aus Ur. 18 S. 164 den
Collegiatsdekan Szamarzewski. Die Gerechtigkeit gebietet uns anzuerkennen,
daß er ein Mann von einer solchen Sittenreinheit und von solchem Eifer in
seinem Berufe und in seiner Wissenschaft ist, wie sie bei seinen Amts¬
brüdern selten sind. Mitbegründer eines Krankenhauses, polnischer Mädchen¬
schulen für höhere und niedere Stände, wohlthätig und opferwillig, war er ein
Seelsorger im besten Sinne und erfreute sich der allgemeinsten Liebe nament¬
lich in den untern Volksweisen, obgleich er gerade kein Volksredner war. Frei¬
lich trugen alle seine Handlungen den Charakter einer unversöhnlichen, kaum
ein Mittel verachtenden Feindschaft wider die Deutschen, und in den letzten
Monaten waren Krankenhaus, Schulen, Alles andern Händen überlassen,
und all sein Wirken concentrirte sich auf den Handwerkerverein, auf den
"Dienst fürs Vaterland." Die Güte der preußischen Behörden, die ihn nicht
ohne Mühe den russischen Gefängnissen entwunden haben, hat er vollends
schlecht vergolten, und am 6. Juli, traf in Schroda der Befehl zu seiner Ver¬
haftung ein. Es wird gesagt, er habe schon am Sonntag von seiner Ge¬
meinde Abschied genommen. Die mit seiner Gefangennahme beauftragten
Beamten erwarteten ihn, da er kirchlichen Dienst hatte, in der Nähe seiner
Wohnung, folgten ihm dann in sein Haus und verkündeten ihm dort den Aus¬
trag, der ihn sichtlich überraschte. Doch nahm der Mann, der auch sonst
durch eine ernste Lebensschule gegangen ist -- er war früher Postbeamter und
wandte sich dem Kirchendienst erst zu, als ihm seine Frau nach kurzer Ehe ge¬
storben war -- die Nachricht ruhig auf und trug gewiß keine Schuld an dem
Excesse. Blitzschnell hatte sich nämlich in der Stadt die Kunde verbreitet, daß
im Dekanat irgend etwas vorgehe, halb argwöhnte, halb wußte man, um was,
es sich handle. Schaarenweis strömten Leute nach dem Schauplatz -5er Dinge
zusammen. Weiber fehlten nicht, aber auch Männer kamen, zum Theil mit ex¬
temporster Bewaffnung: Planken von den Zäunen, rasch aus den Schmieden
herbeigeholten Geräth, zum wenigsten einem Stock oder einigen Steinen. Das
Dekanatsgebäude liegt in der Vorstadt neben der Post; dort und in den an¬
stoßenden Straßen entstand dann ein fast unentwirrbarer Menschenknäuel; weiter¬
hin Kommen und Gehen und laute Klage. Unterdessen ließ es sich ein muth¬
williger Fleischerbursche einfallen. Sturm zu läuten, während theils aus Un¬
wissenheit, theils aus Bosheit "Feuer beim Dekan" verkündigt wurde.


Im Allgemeinen freilich ist die Zeit zu Feiertagen und Festgelagen nicht ge¬
eignet. Wir wurden in dieser Woche wieder daran erinnert, da sich am letzten Tage
des Turnfestes plötzlich die Nachricht verbreitete, in Schroda werde.Sturm ge¬
läutet u. f. w. Die erste Kunde war in so drastischer und unbestimmter Form
gekommen, daß wirklich Einer oder der Andere denken mochte, die National¬
regierung habe nun den Augenblick geeignet gefunden, um hier zu beginnen.
Jetzt wissen wir Näheres und Besseres. Sie kennen aus Ur. 18 S. 164 den
Collegiatsdekan Szamarzewski. Die Gerechtigkeit gebietet uns anzuerkennen,
daß er ein Mann von einer solchen Sittenreinheit und von solchem Eifer in
seinem Berufe und in seiner Wissenschaft ist, wie sie bei seinen Amts¬
brüdern selten sind. Mitbegründer eines Krankenhauses, polnischer Mädchen¬
schulen für höhere und niedere Stände, wohlthätig und opferwillig, war er ein
Seelsorger im besten Sinne und erfreute sich der allgemeinsten Liebe nament¬
lich in den untern Volksweisen, obgleich er gerade kein Volksredner war. Frei¬
lich trugen alle seine Handlungen den Charakter einer unversöhnlichen, kaum
ein Mittel verachtenden Feindschaft wider die Deutschen, und in den letzten
Monaten waren Krankenhaus, Schulen, Alles andern Händen überlassen,
und all sein Wirken concentrirte sich auf den Handwerkerverein, auf den
„Dienst fürs Vaterland." Die Güte der preußischen Behörden, die ihn nicht
ohne Mühe den russischen Gefängnissen entwunden haben, hat er vollends
schlecht vergolten, und am 6. Juli, traf in Schroda der Befehl zu seiner Ver¬
haftung ein. Es wird gesagt, er habe schon am Sonntag von seiner Ge¬
meinde Abschied genommen. Die mit seiner Gefangennahme beauftragten
Beamten erwarteten ihn, da er kirchlichen Dienst hatte, in der Nähe seiner
Wohnung, folgten ihm dann in sein Haus und verkündeten ihm dort den Aus¬
trag, der ihn sichtlich überraschte. Doch nahm der Mann, der auch sonst
durch eine ernste Lebensschule gegangen ist — er war früher Postbeamter und
wandte sich dem Kirchendienst erst zu, als ihm seine Frau nach kurzer Ehe ge¬
storben war — die Nachricht ruhig auf und trug gewiß keine Schuld an dem
Excesse. Blitzschnell hatte sich nämlich in der Stadt die Kunde verbreitet, daß
im Dekanat irgend etwas vorgehe, halb argwöhnte, halb wußte man, um was,
es sich handle. Schaarenweis strömten Leute nach dem Schauplatz -5er Dinge
zusammen. Weiber fehlten nicht, aber auch Männer kamen, zum Theil mit ex¬
temporster Bewaffnung: Planken von den Zäunen, rasch aus den Schmieden
herbeigeholten Geräth, zum wenigsten einem Stock oder einigen Steinen. Das
Dekanatsgebäude liegt in der Vorstadt neben der Post; dort und in den an¬
stoßenden Straßen entstand dann ein fast unentwirrbarer Menschenknäuel; weiter¬
hin Kommen und Gehen und laute Klage. Unterdessen ließ es sich ein muth¬
williger Fleischerbursche einfallen. Sturm zu läuten, während theils aus Un¬
wissenheit, theils aus Bosheit „Feuer beim Dekan" verkündigt wurde.


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[0116] Im Allgemeinen freilich ist die Zeit zu Feiertagen und Festgelagen nicht ge¬ eignet. Wir wurden in dieser Woche wieder daran erinnert, da sich am letzten Tage des Turnfestes plötzlich die Nachricht verbreitete, in Schroda werde.Sturm ge¬ läutet u. f. w. Die erste Kunde war in so drastischer und unbestimmter Form gekommen, daß wirklich Einer oder der Andere denken mochte, die National¬ regierung habe nun den Augenblick geeignet gefunden, um hier zu beginnen. Jetzt wissen wir Näheres und Besseres. Sie kennen aus Ur. 18 S. 164 den Collegiatsdekan Szamarzewski. Die Gerechtigkeit gebietet uns anzuerkennen, daß er ein Mann von einer solchen Sittenreinheit und von solchem Eifer in seinem Berufe und in seiner Wissenschaft ist, wie sie bei seinen Amts¬ brüdern selten sind. Mitbegründer eines Krankenhauses, polnischer Mädchen¬ schulen für höhere und niedere Stände, wohlthätig und opferwillig, war er ein Seelsorger im besten Sinne und erfreute sich der allgemeinsten Liebe nament¬ lich in den untern Volksweisen, obgleich er gerade kein Volksredner war. Frei¬ lich trugen alle seine Handlungen den Charakter einer unversöhnlichen, kaum ein Mittel verachtenden Feindschaft wider die Deutschen, und in den letzten Monaten waren Krankenhaus, Schulen, Alles andern Händen überlassen, und all sein Wirken concentrirte sich auf den Handwerkerverein, auf den „Dienst fürs Vaterland." Die Güte der preußischen Behörden, die ihn nicht ohne Mühe den russischen Gefängnissen entwunden haben, hat er vollends schlecht vergolten, und am 6. Juli, traf in Schroda der Befehl zu seiner Ver¬ haftung ein. Es wird gesagt, er habe schon am Sonntag von seiner Ge¬ meinde Abschied genommen. Die mit seiner Gefangennahme beauftragten Beamten erwarteten ihn, da er kirchlichen Dienst hatte, in der Nähe seiner Wohnung, folgten ihm dann in sein Haus und verkündeten ihm dort den Aus¬ trag, der ihn sichtlich überraschte. Doch nahm der Mann, der auch sonst durch eine ernste Lebensschule gegangen ist — er war früher Postbeamter und wandte sich dem Kirchendienst erst zu, als ihm seine Frau nach kurzer Ehe ge¬ storben war — die Nachricht ruhig auf und trug gewiß keine Schuld an dem Excesse. Blitzschnell hatte sich nämlich in der Stadt die Kunde verbreitet, daß im Dekanat irgend etwas vorgehe, halb argwöhnte, halb wußte man, um was, es sich handle. Schaarenweis strömten Leute nach dem Schauplatz -5er Dinge zusammen. Weiber fehlten nicht, aber auch Männer kamen, zum Theil mit ex¬ temporster Bewaffnung: Planken von den Zäunen, rasch aus den Schmieden herbeigeholten Geräth, zum wenigsten einem Stock oder einigen Steinen. Das Dekanatsgebäude liegt in der Vorstadt neben der Post; dort und in den an¬ stoßenden Straßen entstand dann ein fast unentwirrbarer Menschenknäuel; weiter¬ hin Kommen und Gehen und laute Klage. Unterdessen ließ es sich ein muth¬ williger Fleischerbursche einfallen. Sturm zu läuten, während theils aus Un¬ wissenheit, theils aus Bosheit „Feuer beim Dekan" verkündigt wurde.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/116>, abgerufen am 31.05.2024.