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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.

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Unwillkürlich richtet sich bei so niedrigem Barometerstande der Sittlichkeit
unser Auge auf die Blätter, aus denen die Polen ihre geistige Nahrung em¬
pfangen, und wir lesen im Nadwislanin: "Wenn die Siege auf dem Felde
des .Kampfes in 5er verflossenen Woche für das polnische Schwert im Allge¬
meinen glücklich waren, so waren die Siege der Nationalregierung über die
russische ungleich glänzender." Und worin bestanden diese? Zu der Desertion
einiger warschauer Offiziere und in dem bekannten Kassendicbsiahl: "ein zweiter
noch ungleich glänzenderer Sieg der Nationalregierung ist das Verschwinden
von 4V- Millionen Rubel aus der Generalkasse der Finanzen zu Gunsten der
Natioualregierung," Was würden sie sagen, wie würden sie die Gerichte an¬
rufen, wenn einige ihrer Formats solche Siege über sie gewonnen und einige
Säcke Hafer aus ihren Ställen zu Gunsten der Leute verschwänden? O, der
Junker Alexander ist doch eine vielgesuchte Person. Uebrigens fährt die National¬
regierung fort, ihren Druck auf uns zu üben, und erst eben erfahre ich von
einem Dominium im Kreise Inowraclaw, welches einen Wald in Congreß-
Polen besitzt, und dem unter Drohung, diesen anzuzünden, erst 400 Thlr. und
da diese gezahlt wurden, wieder 100 Thlr. abgenommen wurden, natürlich
gegen Quittung der Nationalregierung.

Unter solchen Umständen gewinnt selbstverständlich die Frage umstehende
Garnisonen, die auch in ruhigen Zeiten für uns von Bedeutung wäre, erhöhtes
Interesse. Bis vor dem Aufstand hatte die Provinz eine Besatzung von circa
14,000Mann, während in Brandenburg 46,000 Mann standen. Von Sabrina
ostwärts war die Grenze bloß, und die Kreise Pleschen, Wreschen, Schroda
waren in vorkommenden Fällen ohne jeden Schutz. Dieselben Kreise seufzen
unter dem Drucke der Grenzsperre, und es würden deswegen ihre kleinen Städte,
wie wir das an Sabrina gesehen haben, wenn sie Garnisonsorte würden, er¬
heblich aufkommen. Man braucht daher noch nicht einmal ein großes Germa-
nisirungsinteresse zu haben oder für die Sicherheit des Landes zu fürchten,
wenn man dem Oberpräsidenten dafür dankbar ist, daß er mit großem Nach¬
druck dauernde und nicht allzu geringe Verstärkung unseres Militärs verlangt.
Freilich hat das Ding auch seine großen Schwierigkeiten, weil es überall an
den nöthigen Baulichkeiten fehlt und weil die polnischen Communen Selbst-
verläugnung genug haben, ihr klar erkanntes persönliches Interesse dem des
Vaterlandes unterzuordnen. So kommt es denn, daß aus demselben Orte die
Weigerung des Magistrats und der Stadtverordneten neben Sturmpetitivnen
der Einwohner -- und gewiß nicht, wie man vorgeben will, derjenigen einer
bestimmten Partei, sondern aller Geschäftetreibenden hergeht.

Es ist zu hoffen, daß hier, -wo das siscalische Interesse so stark im Spiele
ist, eine Maßregel getroffen werde, deren Verhängung, früher geschehen, Vielem
vorgebeugt hätte, und die noch heute dreifach nützen wird.


Unwillkürlich richtet sich bei so niedrigem Barometerstande der Sittlichkeit
unser Auge auf die Blätter, aus denen die Polen ihre geistige Nahrung em¬
pfangen, und wir lesen im Nadwislanin: „Wenn die Siege auf dem Felde
des .Kampfes in 5er verflossenen Woche für das polnische Schwert im Allge¬
meinen glücklich waren, so waren die Siege der Nationalregierung über die
russische ungleich glänzender." Und worin bestanden diese? Zu der Desertion
einiger warschauer Offiziere und in dem bekannten Kassendicbsiahl: „ein zweiter
noch ungleich glänzenderer Sieg der Nationalregierung ist das Verschwinden
von 4V- Millionen Rubel aus der Generalkasse der Finanzen zu Gunsten der
Natioualregierung," Was würden sie sagen, wie würden sie die Gerichte an¬
rufen, wenn einige ihrer Formats solche Siege über sie gewonnen und einige
Säcke Hafer aus ihren Ställen zu Gunsten der Leute verschwänden? O, der
Junker Alexander ist doch eine vielgesuchte Person. Uebrigens fährt die National¬
regierung fort, ihren Druck auf uns zu üben, und erst eben erfahre ich von
einem Dominium im Kreise Inowraclaw, welches einen Wald in Congreß-
Polen besitzt, und dem unter Drohung, diesen anzuzünden, erst 400 Thlr. und
da diese gezahlt wurden, wieder 100 Thlr. abgenommen wurden, natürlich
gegen Quittung der Nationalregierung.

Unter solchen Umständen gewinnt selbstverständlich die Frage umstehende
Garnisonen, die auch in ruhigen Zeiten für uns von Bedeutung wäre, erhöhtes
Interesse. Bis vor dem Aufstand hatte die Provinz eine Besatzung von circa
14,000Mann, während in Brandenburg 46,000 Mann standen. Von Sabrina
ostwärts war die Grenze bloß, und die Kreise Pleschen, Wreschen, Schroda
waren in vorkommenden Fällen ohne jeden Schutz. Dieselben Kreise seufzen
unter dem Drucke der Grenzsperre, und es würden deswegen ihre kleinen Städte,
wie wir das an Sabrina gesehen haben, wenn sie Garnisonsorte würden, er¬
heblich aufkommen. Man braucht daher noch nicht einmal ein großes Germa-
nisirungsinteresse zu haben oder für die Sicherheit des Landes zu fürchten,
wenn man dem Oberpräsidenten dafür dankbar ist, daß er mit großem Nach¬
druck dauernde und nicht allzu geringe Verstärkung unseres Militärs verlangt.
Freilich hat das Ding auch seine großen Schwierigkeiten, weil es überall an
den nöthigen Baulichkeiten fehlt und weil die polnischen Communen Selbst-
verläugnung genug haben, ihr klar erkanntes persönliches Interesse dem des
Vaterlandes unterzuordnen. So kommt es denn, daß aus demselben Orte die
Weigerung des Magistrats und der Stadtverordneten neben Sturmpetitivnen
der Einwohner — und gewiß nicht, wie man vorgeben will, derjenigen einer
bestimmten Partei, sondern aller Geschäftetreibenden hergeht.

Es ist zu hoffen, daß hier, -wo das siscalische Interesse so stark im Spiele
ist, eine Maßregel getroffen werde, deren Verhängung, früher geschehen, Vielem
vorgebeugt hätte, und die noch heute dreifach nützen wird.


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[0118] Unwillkürlich richtet sich bei so niedrigem Barometerstande der Sittlichkeit unser Auge auf die Blätter, aus denen die Polen ihre geistige Nahrung em¬ pfangen, und wir lesen im Nadwislanin: „Wenn die Siege auf dem Felde des .Kampfes in 5er verflossenen Woche für das polnische Schwert im Allge¬ meinen glücklich waren, so waren die Siege der Nationalregierung über die russische ungleich glänzender." Und worin bestanden diese? Zu der Desertion einiger warschauer Offiziere und in dem bekannten Kassendicbsiahl: „ein zweiter noch ungleich glänzenderer Sieg der Nationalregierung ist das Verschwinden von 4V- Millionen Rubel aus der Generalkasse der Finanzen zu Gunsten der Natioualregierung," Was würden sie sagen, wie würden sie die Gerichte an¬ rufen, wenn einige ihrer Formats solche Siege über sie gewonnen und einige Säcke Hafer aus ihren Ställen zu Gunsten der Leute verschwänden? O, der Junker Alexander ist doch eine vielgesuchte Person. Uebrigens fährt die National¬ regierung fort, ihren Druck auf uns zu üben, und erst eben erfahre ich von einem Dominium im Kreise Inowraclaw, welches einen Wald in Congreß- Polen besitzt, und dem unter Drohung, diesen anzuzünden, erst 400 Thlr. und da diese gezahlt wurden, wieder 100 Thlr. abgenommen wurden, natürlich gegen Quittung der Nationalregierung. Unter solchen Umständen gewinnt selbstverständlich die Frage umstehende Garnisonen, die auch in ruhigen Zeiten für uns von Bedeutung wäre, erhöhtes Interesse. Bis vor dem Aufstand hatte die Provinz eine Besatzung von circa 14,000Mann, während in Brandenburg 46,000 Mann standen. Von Sabrina ostwärts war die Grenze bloß, und die Kreise Pleschen, Wreschen, Schroda waren in vorkommenden Fällen ohne jeden Schutz. Dieselben Kreise seufzen unter dem Drucke der Grenzsperre, und es würden deswegen ihre kleinen Städte, wie wir das an Sabrina gesehen haben, wenn sie Garnisonsorte würden, er¬ heblich aufkommen. Man braucht daher noch nicht einmal ein großes Germa- nisirungsinteresse zu haben oder für die Sicherheit des Landes zu fürchten, wenn man dem Oberpräsidenten dafür dankbar ist, daß er mit großem Nach¬ druck dauernde und nicht allzu geringe Verstärkung unseres Militärs verlangt. Freilich hat das Ding auch seine großen Schwierigkeiten, weil es überall an den nöthigen Baulichkeiten fehlt und weil die polnischen Communen Selbst- verläugnung genug haben, ihr klar erkanntes persönliches Interesse dem des Vaterlandes unterzuordnen. So kommt es denn, daß aus demselben Orte die Weigerung des Magistrats und der Stadtverordneten neben Sturmpetitivnen der Einwohner — und gewiß nicht, wie man vorgeben will, derjenigen einer bestimmten Partei, sondern aller Geschäftetreibenden hergeht. Es ist zu hoffen, daß hier, -wo das siscalische Interesse so stark im Spiele ist, eine Maßregel getroffen werde, deren Verhängung, früher geschehen, Vielem vorgebeugt hätte, und die noch heute dreifach nützen wird.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/118>, abgerufen am 15.05.2024.