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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.

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Belieben der Regierungsbehörden preisgegeben ist. Befangen in diesen tief ein¬
gewurzelten Rechtsbegriffen, befangen in dem wohlmeinenden Vertrauen, daß
auch das Ministerium Bismarck das Recht der Presse achte, hat die Redaction
der Preußischen Jahrbücher in zwei Artikeln ihres Juniheftes den Versuch ge¬
macht, auch jetzt noch die Opposition gegen die Regierung fortzuführen.
Wir ehren den Muth, den edlen Sinn, dem dieser Versuch entsprungen
ist, aber wir halten es für die Pflicht dieses liberalen Blattes, den Preu¬
ßischen Jahrbüchern unsere Meinung zu sagen: wenn die liberale Presse Preu¬
ßens heute nicht anders reden darf als in dem Tone, welchen das Juni-
Heft der Jahrbücher anschlägt, dann thut sie besser zu schweigen. Die Grenz¬
boten haben seit Jahren mit diesen Jahrbüchern gute Freundschaft und
Bundesgenossenschaft gehalten, und der diese Zeilen schreibt, hat selber seit
der Gründung des Blattes an den Jahrbüchern treu und freudig mitge¬
arbeitet. Wir haben willig hinweggesehen über manche Meinungsverschieden¬
heit, wir nahmen keinen Anstoß daran, daß die berliner Korrespondenzen der
Jahrbücher, geblendet durch die achtungswerthe Pietät vor den Führern der
altlibcraien Partei, die große und nothwendige Umwandlung des deutschen
Parteilebens in den jüngsten Jahren niemals unbefangen zu würdigen ver¬
mochten. Wir meinten, die liberale Presse solle sich nicht selber schwächen
durch häuslichen Hader, derweil die Macht der Reaction ihr noch geschlossen
und drohend gegenübersteht. Und immer wieder wußten die Jahrbücher ihre
Freunde außerhalb Preußens zu versöhnen durch ihre guten, oft vortrefflichen,
historischen Aufsätze. Noch das Machest brachte aus der Feder des verdienten
Herausgebers R, Haym einen Essay über Varnhagen, ein Muster strenger Ge¬
rechtigkeit, eine köstliche Verurteilung jenes klatschsüchtigen dilettantischen Poli-
tisirens, mit welchem der echte durchgebildete Liberalismus sich nimmermehr
vertragen darf. Jetzt aber sehen wir die Jahrbücher versinken in den alten,
so oft und bitter schon gebüßten Erbfehler der Altliberalen, wir sehen sie da
Vertrauen zeigen, wo jedes Vertrauen verschwendet und verloren ist, und dar¬
über in die Gefahr gerathen, auszuscheiden aus den Reihen der liberalen Par¬
tei. Nur um dies zu verhindern, um unsrer Partei ein mit Recht geachtetes
Organ zu erhalten, sagen wir jetzt den Preußischen Jahrbüchern: Ihr redet
von dem Ministerium Bismarck in einer Weise, die für ein liberales Blatt sich
schlechterdings nicht geziemt.- . ,

. Will ein liberales berliner Blatt über die Verordnung vom 1. Juni
sprechen, so muß es beginnen mit der Constatirung einer Thatsache, die jedem
verfassungstreuen Preußen unzweifelhaft ist, es muß rundweg erklären: "die
Verfassung ist verletzt in ihren wesentlichsten Bestimmungen" und dem Schicksal
anheimstellen, ob der berliner Polizeipräsident in diesen Worten eine Gefähr¬
dung des Gemeinwohles erblicken will. Wohl mag der preußische Stolz sich


Belieben der Regierungsbehörden preisgegeben ist. Befangen in diesen tief ein¬
gewurzelten Rechtsbegriffen, befangen in dem wohlmeinenden Vertrauen, daß
auch das Ministerium Bismarck das Recht der Presse achte, hat die Redaction
der Preußischen Jahrbücher in zwei Artikeln ihres Juniheftes den Versuch ge¬
macht, auch jetzt noch die Opposition gegen die Regierung fortzuführen.
Wir ehren den Muth, den edlen Sinn, dem dieser Versuch entsprungen
ist, aber wir halten es für die Pflicht dieses liberalen Blattes, den Preu¬
ßischen Jahrbüchern unsere Meinung zu sagen: wenn die liberale Presse Preu¬
ßens heute nicht anders reden darf als in dem Tone, welchen das Juni-
Heft der Jahrbücher anschlägt, dann thut sie besser zu schweigen. Die Grenz¬
boten haben seit Jahren mit diesen Jahrbüchern gute Freundschaft und
Bundesgenossenschaft gehalten, und der diese Zeilen schreibt, hat selber seit
der Gründung des Blattes an den Jahrbüchern treu und freudig mitge¬
arbeitet. Wir haben willig hinweggesehen über manche Meinungsverschieden¬
heit, wir nahmen keinen Anstoß daran, daß die berliner Korrespondenzen der
Jahrbücher, geblendet durch die achtungswerthe Pietät vor den Führern der
altlibcraien Partei, die große und nothwendige Umwandlung des deutschen
Parteilebens in den jüngsten Jahren niemals unbefangen zu würdigen ver¬
mochten. Wir meinten, die liberale Presse solle sich nicht selber schwächen
durch häuslichen Hader, derweil die Macht der Reaction ihr noch geschlossen
und drohend gegenübersteht. Und immer wieder wußten die Jahrbücher ihre
Freunde außerhalb Preußens zu versöhnen durch ihre guten, oft vortrefflichen,
historischen Aufsätze. Noch das Machest brachte aus der Feder des verdienten
Herausgebers R, Haym einen Essay über Varnhagen, ein Muster strenger Ge¬
rechtigkeit, eine köstliche Verurteilung jenes klatschsüchtigen dilettantischen Poli-
tisirens, mit welchem der echte durchgebildete Liberalismus sich nimmermehr
vertragen darf. Jetzt aber sehen wir die Jahrbücher versinken in den alten,
so oft und bitter schon gebüßten Erbfehler der Altliberalen, wir sehen sie da
Vertrauen zeigen, wo jedes Vertrauen verschwendet und verloren ist, und dar¬
über in die Gefahr gerathen, auszuscheiden aus den Reihen der liberalen Par¬
tei. Nur um dies zu verhindern, um unsrer Partei ein mit Recht geachtetes
Organ zu erhalten, sagen wir jetzt den Preußischen Jahrbüchern: Ihr redet
von dem Ministerium Bismarck in einer Weise, die für ein liberales Blatt sich
schlechterdings nicht geziemt.- . ,

. Will ein liberales berliner Blatt über die Verordnung vom 1. Juni
sprechen, so muß es beginnen mit der Constatirung einer Thatsache, die jedem
verfassungstreuen Preußen unzweifelhaft ist, es muß rundweg erklären: „die
Verfassung ist verletzt in ihren wesentlichsten Bestimmungen" und dem Schicksal
anheimstellen, ob der berliner Polizeipräsident in diesen Worten eine Gefähr¬
dung des Gemeinwohles erblicken will. Wohl mag der preußische Stolz sich


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[0120] Belieben der Regierungsbehörden preisgegeben ist. Befangen in diesen tief ein¬ gewurzelten Rechtsbegriffen, befangen in dem wohlmeinenden Vertrauen, daß auch das Ministerium Bismarck das Recht der Presse achte, hat die Redaction der Preußischen Jahrbücher in zwei Artikeln ihres Juniheftes den Versuch ge¬ macht, auch jetzt noch die Opposition gegen die Regierung fortzuführen. Wir ehren den Muth, den edlen Sinn, dem dieser Versuch entsprungen ist, aber wir halten es für die Pflicht dieses liberalen Blattes, den Preu¬ ßischen Jahrbüchern unsere Meinung zu sagen: wenn die liberale Presse Preu¬ ßens heute nicht anders reden darf als in dem Tone, welchen das Juni- Heft der Jahrbücher anschlägt, dann thut sie besser zu schweigen. Die Grenz¬ boten haben seit Jahren mit diesen Jahrbüchern gute Freundschaft und Bundesgenossenschaft gehalten, und der diese Zeilen schreibt, hat selber seit der Gründung des Blattes an den Jahrbüchern treu und freudig mitge¬ arbeitet. Wir haben willig hinweggesehen über manche Meinungsverschieden¬ heit, wir nahmen keinen Anstoß daran, daß die berliner Korrespondenzen der Jahrbücher, geblendet durch die achtungswerthe Pietät vor den Führern der altlibcraien Partei, die große und nothwendige Umwandlung des deutschen Parteilebens in den jüngsten Jahren niemals unbefangen zu würdigen ver¬ mochten. Wir meinten, die liberale Presse solle sich nicht selber schwächen durch häuslichen Hader, derweil die Macht der Reaction ihr noch geschlossen und drohend gegenübersteht. Und immer wieder wußten die Jahrbücher ihre Freunde außerhalb Preußens zu versöhnen durch ihre guten, oft vortrefflichen, historischen Aufsätze. Noch das Machest brachte aus der Feder des verdienten Herausgebers R, Haym einen Essay über Varnhagen, ein Muster strenger Ge¬ rechtigkeit, eine köstliche Verurteilung jenes klatschsüchtigen dilettantischen Poli- tisirens, mit welchem der echte durchgebildete Liberalismus sich nimmermehr vertragen darf. Jetzt aber sehen wir die Jahrbücher versinken in den alten, so oft und bitter schon gebüßten Erbfehler der Altliberalen, wir sehen sie da Vertrauen zeigen, wo jedes Vertrauen verschwendet und verloren ist, und dar¬ über in die Gefahr gerathen, auszuscheiden aus den Reihen der liberalen Par¬ tei. Nur um dies zu verhindern, um unsrer Partei ein mit Recht geachtetes Organ zu erhalten, sagen wir jetzt den Preußischen Jahrbüchern: Ihr redet von dem Ministerium Bismarck in einer Weise, die für ein liberales Blatt sich schlechterdings nicht geziemt.- . , . Will ein liberales berliner Blatt über die Verordnung vom 1. Juni sprechen, so muß es beginnen mit der Constatirung einer Thatsache, die jedem verfassungstreuen Preußen unzweifelhaft ist, es muß rundweg erklären: „die Verfassung ist verletzt in ihren wesentlichsten Bestimmungen" und dem Schicksal anheimstellen, ob der berliner Polizeipräsident in diesen Worten eine Gefähr¬ dung des Gemeinwohles erblicken will. Wohl mag der preußische Stolz sich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/120>, abgerufen am 16.05.2024.