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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.

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von langen Zeiten her für heilig gehalten. Denn man hat erst nach Timoleons
Zeit angefangen, die Ueberwinder in den isthmischen Spielen mit einem Fich¬
tenkranze zu belohnen." Ibykus, der lyrische Sänger, lebte aber ums Jahr 336.
Diogenes, der Cyniker, welcher sich auch sonst über alle Schranken des Anstands
und der Sitte hinwegsetzte, spazierte einst mit einem Eppichkranz auf dem
Haupte unter der Festversammlung herum, wurde aber von den Kampfrichtern
bedeutet, diese Gesetzwidrigkeit sein zu lassen. Aus derselben Zeit erzählt Dion
Chrysostomus, daß sich im Tempel Poseidons viele Sophisten versammelten,
mit lauter Stimme sich bemerkbar zu machen suchten und einander haranguirten.
Geschichtschreiber und Dichter trugen ihre, größtentheils geschmacklosen Producte
vor; außerdem gab es aber auch Zeichendeuter, Gaukler und endlich Rhetoren,
die verwickelte Rechtsfälle explicirten.

Bei aller Anerkennung, die man dem Bestreben der Hellenen zollen muß, ^
die leibliche Trefflichkeit, welche bei den Nationalfesten durch Proben höchster
Kraft und Gewandtheit zu beweisen war, mit ewigem Ruhm und glänzender
Ehre auszuzeichnen, kann man doch nicht umhin, zu gestehen, daß, auch ab¬
gesehen von der Entartung der Athletik, in der Vergötterung der gymnastischen
Kunst eine einseitige Uebertreibung lag, die durch die theilweise eingeführten
musischen Elemente nicht ausgeglichen wurde. Und dies hat man auch im
Alterthum gefühlt. Schon Jsokrates wagte es. gleich im Eingange seiner pa¬
negyrischen Rede zu sagen: "Bereits oft habe ich mich gewundert, daß die¬
jenigen, welche die Festversammlungen zusammenberufen und die gymnischen
Kämpfe eingerichtet haben, die Trefflichkeiten der Körper so großer Geschenke
würdigten, denjenigen aber, die für das Gemeinwohl auf eigene Hand sichs
sauer werden lassen und ihre geistigen Kräfte so ausbilden, daß sie damit
auch den Uebrigen nützen können, keinerlei Ehre zuertheilten. während sie aus
dieselben noch mehr Bedacht hätten nehmen sollen. Denn wenn auch die
Athleten zweimal so viel Kraft als solche Leute erwerben, so fällt ja für die
Anderen nichts davon ab; von einem einzigen, mit Klugheit begabten Manne
dagegen können Alle Vortheil ziehen, wenn sie an seiner Einsicht Theil nehmen
wollen." Noch stärker lautet das Urtheil des von Euripides nachgeahmten,
von dem Werthe der Weisheit tief durchdrungenen Xenophanes aus Kolophon:


"Eitelen Sinnes hat dies man festgesetzt: denn es ist unrecht,
Höher als würdige Kunst schätzen des Leibes Gewalt.
Nicht ja wenn kundig des Fäustcgcftchts bei den Völkern ein Mann wohnt,
Oder des Fünfkampfs auch, oder im Ringen gewandt,
Oder begabt mit der Füße Geschwindigkeit, welches der Kräfte
Zierde man nennt, so viel Männer entfalten im Kampf,
Wird im gesetzlichen Segen drob mehr blühn die Gemeinde:
Wenig Gewinn für die Stadt kann sich ergeben daraus,

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von langen Zeiten her für heilig gehalten. Denn man hat erst nach Timoleons
Zeit angefangen, die Ueberwinder in den isthmischen Spielen mit einem Fich¬
tenkranze zu belohnen." Ibykus, der lyrische Sänger, lebte aber ums Jahr 336.
Diogenes, der Cyniker, welcher sich auch sonst über alle Schranken des Anstands
und der Sitte hinwegsetzte, spazierte einst mit einem Eppichkranz auf dem
Haupte unter der Festversammlung herum, wurde aber von den Kampfrichtern
bedeutet, diese Gesetzwidrigkeit sein zu lassen. Aus derselben Zeit erzählt Dion
Chrysostomus, daß sich im Tempel Poseidons viele Sophisten versammelten,
mit lauter Stimme sich bemerkbar zu machen suchten und einander haranguirten.
Geschichtschreiber und Dichter trugen ihre, größtentheils geschmacklosen Producte
vor; außerdem gab es aber auch Zeichendeuter, Gaukler und endlich Rhetoren,
die verwickelte Rechtsfälle explicirten.

Bei aller Anerkennung, die man dem Bestreben der Hellenen zollen muß, ^
die leibliche Trefflichkeit, welche bei den Nationalfesten durch Proben höchster
Kraft und Gewandtheit zu beweisen war, mit ewigem Ruhm und glänzender
Ehre auszuzeichnen, kann man doch nicht umhin, zu gestehen, daß, auch ab¬
gesehen von der Entartung der Athletik, in der Vergötterung der gymnastischen
Kunst eine einseitige Uebertreibung lag, die durch die theilweise eingeführten
musischen Elemente nicht ausgeglichen wurde. Und dies hat man auch im
Alterthum gefühlt. Schon Jsokrates wagte es. gleich im Eingange seiner pa¬
negyrischen Rede zu sagen: „Bereits oft habe ich mich gewundert, daß die¬
jenigen, welche die Festversammlungen zusammenberufen und die gymnischen
Kämpfe eingerichtet haben, die Trefflichkeiten der Körper so großer Geschenke
würdigten, denjenigen aber, die für das Gemeinwohl auf eigene Hand sichs
sauer werden lassen und ihre geistigen Kräfte so ausbilden, daß sie damit
auch den Uebrigen nützen können, keinerlei Ehre zuertheilten. während sie aus
dieselben noch mehr Bedacht hätten nehmen sollen. Denn wenn auch die
Athleten zweimal so viel Kraft als solche Leute erwerben, so fällt ja für die
Anderen nichts davon ab; von einem einzigen, mit Klugheit begabten Manne
dagegen können Alle Vortheil ziehen, wenn sie an seiner Einsicht Theil nehmen
wollen." Noch stärker lautet das Urtheil des von Euripides nachgeahmten,
von dem Werthe der Weisheit tief durchdrungenen Xenophanes aus Kolophon:


„Eitelen Sinnes hat dies man festgesetzt: denn es ist unrecht,
Höher als würdige Kunst schätzen des Leibes Gewalt.
Nicht ja wenn kundig des Fäustcgcftchts bei den Völkern ein Mann wohnt,
Oder des Fünfkampfs auch, oder im Ringen gewandt,
Oder begabt mit der Füße Geschwindigkeit, welches der Kräfte
Zierde man nennt, so viel Männer entfalten im Kampf,
Wird im gesetzlichen Segen drob mehr blühn die Gemeinde:
Wenig Gewinn für die Stadt kann sich ergeben daraus,

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[0155] von langen Zeiten her für heilig gehalten. Denn man hat erst nach Timoleons Zeit angefangen, die Ueberwinder in den isthmischen Spielen mit einem Fich¬ tenkranze zu belohnen." Ibykus, der lyrische Sänger, lebte aber ums Jahr 336. Diogenes, der Cyniker, welcher sich auch sonst über alle Schranken des Anstands und der Sitte hinwegsetzte, spazierte einst mit einem Eppichkranz auf dem Haupte unter der Festversammlung herum, wurde aber von den Kampfrichtern bedeutet, diese Gesetzwidrigkeit sein zu lassen. Aus derselben Zeit erzählt Dion Chrysostomus, daß sich im Tempel Poseidons viele Sophisten versammelten, mit lauter Stimme sich bemerkbar zu machen suchten und einander haranguirten. Geschichtschreiber und Dichter trugen ihre, größtentheils geschmacklosen Producte vor; außerdem gab es aber auch Zeichendeuter, Gaukler und endlich Rhetoren, die verwickelte Rechtsfälle explicirten. Bei aller Anerkennung, die man dem Bestreben der Hellenen zollen muß, ^ die leibliche Trefflichkeit, welche bei den Nationalfesten durch Proben höchster Kraft und Gewandtheit zu beweisen war, mit ewigem Ruhm und glänzender Ehre auszuzeichnen, kann man doch nicht umhin, zu gestehen, daß, auch ab¬ gesehen von der Entartung der Athletik, in der Vergötterung der gymnastischen Kunst eine einseitige Uebertreibung lag, die durch die theilweise eingeführten musischen Elemente nicht ausgeglichen wurde. Und dies hat man auch im Alterthum gefühlt. Schon Jsokrates wagte es. gleich im Eingange seiner pa¬ negyrischen Rede zu sagen: „Bereits oft habe ich mich gewundert, daß die¬ jenigen, welche die Festversammlungen zusammenberufen und die gymnischen Kämpfe eingerichtet haben, die Trefflichkeiten der Körper so großer Geschenke würdigten, denjenigen aber, die für das Gemeinwohl auf eigene Hand sichs sauer werden lassen und ihre geistigen Kräfte so ausbilden, daß sie damit auch den Uebrigen nützen können, keinerlei Ehre zuertheilten. während sie aus dieselben noch mehr Bedacht hätten nehmen sollen. Denn wenn auch die Athleten zweimal so viel Kraft als solche Leute erwerben, so fällt ja für die Anderen nichts davon ab; von einem einzigen, mit Klugheit begabten Manne dagegen können Alle Vortheil ziehen, wenn sie an seiner Einsicht Theil nehmen wollen." Noch stärker lautet das Urtheil des von Euripides nachgeahmten, von dem Werthe der Weisheit tief durchdrungenen Xenophanes aus Kolophon: „Eitelen Sinnes hat dies man festgesetzt: denn es ist unrecht, Höher als würdige Kunst schätzen des Leibes Gewalt. Nicht ja wenn kundig des Fäustcgcftchts bei den Völkern ein Mann wohnt, Oder des Fünfkampfs auch, oder im Ringen gewandt, Oder begabt mit der Füße Geschwindigkeit, welches der Kräfte Zierde man nennt, so viel Männer entfalten im Kampf, Wird im gesetzlichen Segen drob mehr blühn die Gemeinde: Wenig Gewinn für die Stadt kann sich ergeben daraus, 19"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/155>, abgerufen am 15.05.2024.