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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.

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ebensosehr in denjenigen, welche polnisches Blut verspritzen lassen, um in
Mexico, Madagaskar oder am Hellespont freies Spiel zu haben.

Wir sind' allgemein überzeugt, daß die sogenannte Nationalrcgicrung aus
recht unbedeutenden Subjecten besteht, aber wir müssen ihr einräumen, daß sie sich
auf ihr Gewerbe sehr gut versteht. Die Verwarnung an das bis dahin ofsiciöse
Journal Prawda, die Schöpfung eines eignen Moniteurs sind gar keine Übeln
Maßregeln und prächtig darauf berechnet, auf ein Volk wie das polnische und
auf die französischen Freunde zu wirken. Der Erfolg entspricht ja dem auch,
wenn auf Befehl der Namenlosen salzbrunner Badegäste zurückreisen. Wun¬
derbar verstehen sie es, die Hoffnungen wach zu halten, die sehenden Augen
gegen das, was sich um sie her zuträgt, zu verblenden. Während Fort Winiary
seine Gäste kaum mehr faßt, während täglich Hiobspvsten eintreffen, sind unsre
Polen siegesgewiß. Mein Holzhacker selbst wurde gestern gesprächig und erzählte
mir! hier stehts freilich schlecht; aber blos hier; das ganze alte Preußen (Ost-
und Westpreußen) ist schon abgefallen; dort ist Alles polnisch. Bei solchem
Glauben lassen sich freilich Zuzüge organisiren, arbeitskräftige Leute ins Feld
führen in Tagen, wo man kaum einen Dienstboten erhält, weil Alles in die
Ernte läuft, um einen Nothgroschen für den Winter zu erwerben.

Die so zusammengebrachte Expedition scheint eine der großartigsten von
den hier überhaupt organisirten gewesen zu sein. Die Führung hatte Ganier
übernommen. Ich habe dieses Franzosen schon früher einmal gegen Sie gedacht.
Er hatte an der Schlacht bei Pcisern Theil genommen und war dann nach
Posen gegangen, wo er ein arger Störenfried in den polnischen Kreisen war
und mit seiner Rückkehr nach Frankreich drohte. Die Leute hatten sich in d.en
letzten Tagen stellenweise sogar unter einigem Geräusch gesammelt. Leere
Scheunen, Ziegeleien, Kornfelder hatten ihnen bei Nacht Schutz gewährt. End¬
lich wußte man auch, daß sie "heute Nacht" aufgebrochen seien.

Dieses "heute" war der Is. Juli. Am Morgen dieses Tages -- ich folge
nun meinem miloslawer Korrespondenten, wie neulich dem einer andern Stadt
-- wurden die Bewohner von Miloslaw durch den Aufbruch ihrer Husaren
erschreckt, die in vollem Trabe der nahen Grenze zürnten. Im Publicum war
die Rede von einer Schlacht "zwischen Preußen und Polen", ohne daß doch
die, Aufregung irgend einen bestimmten Anhalt gehabt hätte. Dieser fand sich,
da man erst 3, nach einer halben Stunde 8, dann 20, zuletzt etwa 30--35
Gefangene einbrachte. Auch einige Wagen mit Waffen und Kleidungsstücken
waren erbeutet. Die ergriffnen Insurgenten waren meist gebildete Leute; es
schienen sich sogar Smdirte unter ihnen zu befinden und nur ffünf "Bauern"
(d. h. hier Knechte) wurden darunter bemerkt. Sie wurden in dem Gebäude
der katholischen Schule untergebracht und >v,on den Bürgern beköstigt. Wir hät¬
ten keine Noth gelitten, wenn wir ihre Gäste geworden.


ebensosehr in denjenigen, welche polnisches Blut verspritzen lassen, um in
Mexico, Madagaskar oder am Hellespont freies Spiel zu haben.

Wir sind' allgemein überzeugt, daß die sogenannte Nationalrcgicrung aus
recht unbedeutenden Subjecten besteht, aber wir müssen ihr einräumen, daß sie sich
auf ihr Gewerbe sehr gut versteht. Die Verwarnung an das bis dahin ofsiciöse
Journal Prawda, die Schöpfung eines eignen Moniteurs sind gar keine Übeln
Maßregeln und prächtig darauf berechnet, auf ein Volk wie das polnische und
auf die französischen Freunde zu wirken. Der Erfolg entspricht ja dem auch,
wenn auf Befehl der Namenlosen salzbrunner Badegäste zurückreisen. Wun¬
derbar verstehen sie es, die Hoffnungen wach zu halten, die sehenden Augen
gegen das, was sich um sie her zuträgt, zu verblenden. Während Fort Winiary
seine Gäste kaum mehr faßt, während täglich Hiobspvsten eintreffen, sind unsre
Polen siegesgewiß. Mein Holzhacker selbst wurde gestern gesprächig und erzählte
mir! hier stehts freilich schlecht; aber blos hier; das ganze alte Preußen (Ost-
und Westpreußen) ist schon abgefallen; dort ist Alles polnisch. Bei solchem
Glauben lassen sich freilich Zuzüge organisiren, arbeitskräftige Leute ins Feld
führen in Tagen, wo man kaum einen Dienstboten erhält, weil Alles in die
Ernte läuft, um einen Nothgroschen für den Winter zu erwerben.

Die so zusammengebrachte Expedition scheint eine der großartigsten von
den hier überhaupt organisirten gewesen zu sein. Die Führung hatte Ganier
übernommen. Ich habe dieses Franzosen schon früher einmal gegen Sie gedacht.
Er hatte an der Schlacht bei Pcisern Theil genommen und war dann nach
Posen gegangen, wo er ein arger Störenfried in den polnischen Kreisen war
und mit seiner Rückkehr nach Frankreich drohte. Die Leute hatten sich in d.en
letzten Tagen stellenweise sogar unter einigem Geräusch gesammelt. Leere
Scheunen, Ziegeleien, Kornfelder hatten ihnen bei Nacht Schutz gewährt. End¬
lich wußte man auch, daß sie „heute Nacht" aufgebrochen seien.

Dieses „heute" war der Is. Juli. Am Morgen dieses Tages — ich folge
nun meinem miloslawer Korrespondenten, wie neulich dem einer andern Stadt
— wurden die Bewohner von Miloslaw durch den Aufbruch ihrer Husaren
erschreckt, die in vollem Trabe der nahen Grenze zürnten. Im Publicum war
die Rede von einer Schlacht „zwischen Preußen und Polen", ohne daß doch
die, Aufregung irgend einen bestimmten Anhalt gehabt hätte. Dieser fand sich,
da man erst 3, nach einer halben Stunde 8, dann 20, zuletzt etwa 30—35
Gefangene einbrachte. Auch einige Wagen mit Waffen und Kleidungsstücken
waren erbeutet. Die ergriffnen Insurgenten waren meist gebildete Leute; es
schienen sich sogar Smdirte unter ihnen zu befinden und nur ffünf „Bauern"
(d. h. hier Knechte) wurden darunter bemerkt. Sie wurden in dem Gebäude
der katholischen Schule untergebracht und >v,on den Bürgern beköstigt. Wir hät¬
ten keine Noth gelitten, wenn wir ihre Gäste geworden.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/157>, abgerufen am 16.05.2024.