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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.

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Charakter seiner Dichtung gar nicht ahnten: sie meinten die Welt zu schauen,
derweil sie die große Seele des Dichters sahen. In Byron aber erstand ein
Dichter, ebenso einseitig, wie jener mannigfaltig, ebenso keck und hastig, wie
jener maßvoll und besonnen gewesen, und stellte sein Ich mit Haß und Hohn
der Welt gegenüber. So begründete Byrons Beispiel in allen modernen
Sprachen die Poesie des Weltschmerzes.

Es ist sehr wohlfeil, in unsern verständigen Tagen die triviale Wahrheit
zu predigen, daß der Weltschmerz eine Krankheit war. Sicherlich, die erhabene
Einfalt der Alten hätte sich mit Abscheu von solcher Auflehnung des Indivi¬
duums gegen die Gesetze der Welt hinweggewendet, und Niebuhrs römischer
Sinn war in seinem guten Rechte, wenn er in dem Charakter des Childe
Harold lediglich die furchtbare Eigensucht sehen wollte. Aber sind nicht unsre
moderne Erziehung, alle unsre liebsten Gewohnheiten und Anschauungen ganz
dazu angethan, diese Krankheit nothwendig zu erzeugen? Nicht mehr wie die
Alten wachsen wir auf in dem naiven Glauben, daß wir nur die Glieder unse¬
res Staates sind, und nicht mehr wie den Menschen des Mittelalters steht uns
die Kirche als eine unantastbare Schranke der Willkür gegenüber. Es ist der
Ruhm der modernen Bildung, daß unsre Jugend zuerst das unendliche Recht
der Person begreifen, den Menschen als den Mittelpunkt der Welt verstehen
lernt. Wenn wir, also erzogen, uns dennoch demüthig in die Ordnung der
Natur und Geschichte einfügen, so ist diese Unterordnung nicht mehr naiv,
nein, erarbeitet, durch Bildung vermittelt. Nur fischblütige Naturen, nur ge¬
borene Philister gelangen kampflos und schmerzlos zu solcher gefaßter Ent¬
sagung. Die Poesie des Weltschmerzes war Gott Lob nicht ein vollständiges
Bild der modernen Gesittung, aber sie spiegelte getreulich wieder eine Seite
unsrer Cultur, die wir nicht gänzlich streichen können ohne das moderne Wesen
selbst zu zerstören. Die Jugend jener Tage wußte wohl, warum sie dem Man¬
fred zujubelte: echt modernes Blut floß in den Adern des Unseligen, der im
Tode noch den Abt wie den Teufel von sich weist und untergeht als "ein
Selbstzerstörer". Ein maßloser Ehrgeiz war in dem jüngeren Dichtelgeschlechte
lebendig; der greise Goethe schaute seinen Nachfolgern in Herz und Nieren,
wenn er meinte: sie kommen mir vor "wie Ritter, die, um ihre Vorgänger
zu überbieten, den Dank außerhalb der Schranken suchen." Und wirklich ein
Neues ward von diesem anmaßlichen jungen Geschlechte geschaffen, als Byron
den Uebermuth, der es verzehrte, keck urd höhnisch aussprach.

Der sichere Jnstinct der öffentlichen Meinung hat von jeher in Byrons
Helden Harold, Konrad, Lara nur das Bild des Dichters selber gesehen und
vergeblich versucht Herr Eberty diese Ansicht zu bestreikn. Nie war das Schaffen
eines Dichters so ganz suvjectiv, nie war ein Künstler so unfähig, eine
fremde Weltanschauung zu verstehen: sogar ' die harmlose Gemüthlichkeit der


Charakter seiner Dichtung gar nicht ahnten: sie meinten die Welt zu schauen,
derweil sie die große Seele des Dichters sahen. In Byron aber erstand ein
Dichter, ebenso einseitig, wie jener mannigfaltig, ebenso keck und hastig, wie
jener maßvoll und besonnen gewesen, und stellte sein Ich mit Haß und Hohn
der Welt gegenüber. So begründete Byrons Beispiel in allen modernen
Sprachen die Poesie des Weltschmerzes.

Es ist sehr wohlfeil, in unsern verständigen Tagen die triviale Wahrheit
zu predigen, daß der Weltschmerz eine Krankheit war. Sicherlich, die erhabene
Einfalt der Alten hätte sich mit Abscheu von solcher Auflehnung des Indivi¬
duums gegen die Gesetze der Welt hinweggewendet, und Niebuhrs römischer
Sinn war in seinem guten Rechte, wenn er in dem Charakter des Childe
Harold lediglich die furchtbare Eigensucht sehen wollte. Aber sind nicht unsre
moderne Erziehung, alle unsre liebsten Gewohnheiten und Anschauungen ganz
dazu angethan, diese Krankheit nothwendig zu erzeugen? Nicht mehr wie die
Alten wachsen wir auf in dem naiven Glauben, daß wir nur die Glieder unse¬
res Staates sind, und nicht mehr wie den Menschen des Mittelalters steht uns
die Kirche als eine unantastbare Schranke der Willkür gegenüber. Es ist der
Ruhm der modernen Bildung, daß unsre Jugend zuerst das unendliche Recht
der Person begreifen, den Menschen als den Mittelpunkt der Welt verstehen
lernt. Wenn wir, also erzogen, uns dennoch demüthig in die Ordnung der
Natur und Geschichte einfügen, so ist diese Unterordnung nicht mehr naiv,
nein, erarbeitet, durch Bildung vermittelt. Nur fischblütige Naturen, nur ge¬
borene Philister gelangen kampflos und schmerzlos zu solcher gefaßter Ent¬
sagung. Die Poesie des Weltschmerzes war Gott Lob nicht ein vollständiges
Bild der modernen Gesittung, aber sie spiegelte getreulich wieder eine Seite
unsrer Cultur, die wir nicht gänzlich streichen können ohne das moderne Wesen
selbst zu zerstören. Die Jugend jener Tage wußte wohl, warum sie dem Man¬
fred zujubelte: echt modernes Blut floß in den Adern des Unseligen, der im
Tode noch den Abt wie den Teufel von sich weist und untergeht als „ein
Selbstzerstörer". Ein maßloser Ehrgeiz war in dem jüngeren Dichtelgeschlechte
lebendig; der greise Goethe schaute seinen Nachfolgern in Herz und Nieren,
wenn er meinte: sie kommen mir vor „wie Ritter, die, um ihre Vorgänger
zu überbieten, den Dank außerhalb der Schranken suchen." Und wirklich ein
Neues ward von diesem anmaßlichen jungen Geschlechte geschaffen, als Byron
den Uebermuth, der es verzehrte, keck urd höhnisch aussprach.

Der sichere Jnstinct der öffentlichen Meinung hat von jeher in Byrons
Helden Harold, Konrad, Lara nur das Bild des Dichters selber gesehen und
vergeblich versucht Herr Eberty diese Ansicht zu bestreikn. Nie war das Schaffen
eines Dichters so ganz suvjectiv, nie war ein Künstler so unfähig, eine
fremde Weltanschauung zu verstehen: sogar ' die harmlose Gemüthlichkeit der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/16>, abgerufen am 15.05.2024.