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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.

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Auf der Höhe des Lebens, in seinem vierzigsten Jahre, wurde ihm zuerst
Veranlassung zu selbständiger praktischer Betheiligung an diplomatischen Ge¬
schäften. Die Kandidatur des Prinzen Leopold für den griechischen Thron war
der Anfangspunkt einer persönlichen Einwirkung Stockmars auf die große Po¬
litik. Auch als diese Kandidatur, zum Theil wegen des Widerstandes König
Georg des Vierten erfolglos blieb, wurde die politische Thätigkeit Stockmars
nur auf kurze Zeit unterbrochen; denn schon 1830 führten ihn die belgischen
Angelegenheiten in eine ausgedehntere Wirksamkeit. Bald überwachte er in
England als vertrauter Agent seines Fürsten die diplomatischen Verhandlungen,
bald half er in Belgien selbst durch klugen und entschlossenen Rath das neue
Königthum und den neuen Staat gestalten. So machte er in den Jahren 1830 bis
1833 eine bedeutende Schule der äußern Politik durch. In den Verhandlun¬
gen mit Frankreich, mit Rom, mit dem Ministerium König Wilhelms von Eng¬
sand erwarb er die seltene Personen- und Geschäftskenntniß, durch welche er
später in den diplomatischen Kreisen zu einer Autorität wurde, er gewann für
leinen König und sich selbst bei den Leitern der Politik Europas Achtung und
persönliches Vertrauen.

Nachdem Belgien sich befestigt hatte, trat er aus seiner eigentlichen dienst¬
lichen Stellung und blieb fortan zum König, von dem er eine Pension
genoß, in einem freien Verhältniß fortwährend vertrauten Verkehrs, häufig
zu Rathe gezogen und zu vielen mehr oder minder wichtigen Geschäften ver¬
wendet.

In diesen Jahren wurde dem König der Belgier Veranlassung, seine be¬
sondere Sorgfalt auf die Familienangelegenheiten des königlichen Hauses von
England zu richten. Stockmar war durch seinen langen Aufenthalt in Eng¬
land der Schwester seines Fürsten, der Herzogin von Kent, Mutter der künftigen
Königin, genau bekannt geworden. Die junge Prinzeß Victoria lernte ihn früh
als den treuen Freund betrachten, der er ihr sein Leben lang blieb. Jetzt kam die
Zeit heran, wo die Prinzeß voraussichtlich zur Regierung gelangen mußte. Da
veranlaßte der König Stockmar, nach England zu gehen, um die Interessen
seiner Schwester und Nichte zu überwachen. Ueber die höchst merkwürdige
Zeit, in welcher Königin Victoria den Thron bestieg, fehlt in vieler Beziehung
noch der Aufschluß. Inmitten des damaligen heftigen Parteigetriebes war
Stockmar der vertraute Rathgeber der jugendlichen unerfahrenen Königin, auch
hier wieder in einer ganz freien undesinirten Stellung.

Eine unabweisbare Aufgabe wurde, für die Königin eine bleibende Stütze
durch einen Gemahl zu finden. Nachdem sich die Wahl auf den Prinzen Albert
sixirt hatte, der für diesen Beruf moralisch und geistig in seltener Weise aus¬
gerüstet war, übernahm Stockmar die Mission, den jungen Fürsten durch Um¬
gang und Einwirkung für die neuen Verhältnisse vorzubereiten. Als Mittel


Auf der Höhe des Lebens, in seinem vierzigsten Jahre, wurde ihm zuerst
Veranlassung zu selbständiger praktischer Betheiligung an diplomatischen Ge¬
schäften. Die Kandidatur des Prinzen Leopold für den griechischen Thron war
der Anfangspunkt einer persönlichen Einwirkung Stockmars auf die große Po¬
litik. Auch als diese Kandidatur, zum Theil wegen des Widerstandes König
Georg des Vierten erfolglos blieb, wurde die politische Thätigkeit Stockmars
nur auf kurze Zeit unterbrochen; denn schon 1830 führten ihn die belgischen
Angelegenheiten in eine ausgedehntere Wirksamkeit. Bald überwachte er in
England als vertrauter Agent seines Fürsten die diplomatischen Verhandlungen,
bald half er in Belgien selbst durch klugen und entschlossenen Rath das neue
Königthum und den neuen Staat gestalten. So machte er in den Jahren 1830 bis
1833 eine bedeutende Schule der äußern Politik durch. In den Verhandlun¬
gen mit Frankreich, mit Rom, mit dem Ministerium König Wilhelms von Eng¬
sand erwarb er die seltene Personen- und Geschäftskenntniß, durch welche er
später in den diplomatischen Kreisen zu einer Autorität wurde, er gewann für
leinen König und sich selbst bei den Leitern der Politik Europas Achtung und
persönliches Vertrauen.

Nachdem Belgien sich befestigt hatte, trat er aus seiner eigentlichen dienst¬
lichen Stellung und blieb fortan zum König, von dem er eine Pension
genoß, in einem freien Verhältniß fortwährend vertrauten Verkehrs, häufig
zu Rathe gezogen und zu vielen mehr oder minder wichtigen Geschäften ver¬
wendet.

In diesen Jahren wurde dem König der Belgier Veranlassung, seine be¬
sondere Sorgfalt auf die Familienangelegenheiten des königlichen Hauses von
England zu richten. Stockmar war durch seinen langen Aufenthalt in Eng¬
land der Schwester seines Fürsten, der Herzogin von Kent, Mutter der künftigen
Königin, genau bekannt geworden. Die junge Prinzeß Victoria lernte ihn früh
als den treuen Freund betrachten, der er ihr sein Leben lang blieb. Jetzt kam die
Zeit heran, wo die Prinzeß voraussichtlich zur Regierung gelangen mußte. Da
veranlaßte der König Stockmar, nach England zu gehen, um die Interessen
seiner Schwester und Nichte zu überwachen. Ueber die höchst merkwürdige
Zeit, in welcher Königin Victoria den Thron bestieg, fehlt in vieler Beziehung
noch der Aufschluß. Inmitten des damaligen heftigen Parteigetriebes war
Stockmar der vertraute Rathgeber der jugendlichen unerfahrenen Königin, auch
hier wieder in einer ganz freien undesinirten Stellung.

Eine unabweisbare Aufgabe wurde, für die Königin eine bleibende Stütze
durch einen Gemahl zu finden. Nachdem sich die Wahl auf den Prinzen Albert
sixirt hatte, der für diesen Beruf moralisch und geistig in seltener Weise aus¬
gerüstet war, übernahm Stockmar die Mission, den jungen Fürsten durch Um¬
gang und Einwirkung für die neuen Verhältnisse vorzubereiten. Als Mittel


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[0175] Auf der Höhe des Lebens, in seinem vierzigsten Jahre, wurde ihm zuerst Veranlassung zu selbständiger praktischer Betheiligung an diplomatischen Ge¬ schäften. Die Kandidatur des Prinzen Leopold für den griechischen Thron war der Anfangspunkt einer persönlichen Einwirkung Stockmars auf die große Po¬ litik. Auch als diese Kandidatur, zum Theil wegen des Widerstandes König Georg des Vierten erfolglos blieb, wurde die politische Thätigkeit Stockmars nur auf kurze Zeit unterbrochen; denn schon 1830 führten ihn die belgischen Angelegenheiten in eine ausgedehntere Wirksamkeit. Bald überwachte er in England als vertrauter Agent seines Fürsten die diplomatischen Verhandlungen, bald half er in Belgien selbst durch klugen und entschlossenen Rath das neue Königthum und den neuen Staat gestalten. So machte er in den Jahren 1830 bis 1833 eine bedeutende Schule der äußern Politik durch. In den Verhandlun¬ gen mit Frankreich, mit Rom, mit dem Ministerium König Wilhelms von Eng¬ sand erwarb er die seltene Personen- und Geschäftskenntniß, durch welche er später in den diplomatischen Kreisen zu einer Autorität wurde, er gewann für leinen König und sich selbst bei den Leitern der Politik Europas Achtung und persönliches Vertrauen. Nachdem Belgien sich befestigt hatte, trat er aus seiner eigentlichen dienst¬ lichen Stellung und blieb fortan zum König, von dem er eine Pension genoß, in einem freien Verhältniß fortwährend vertrauten Verkehrs, häufig zu Rathe gezogen und zu vielen mehr oder minder wichtigen Geschäften ver¬ wendet. In diesen Jahren wurde dem König der Belgier Veranlassung, seine be¬ sondere Sorgfalt auf die Familienangelegenheiten des königlichen Hauses von England zu richten. Stockmar war durch seinen langen Aufenthalt in Eng¬ land der Schwester seines Fürsten, der Herzogin von Kent, Mutter der künftigen Königin, genau bekannt geworden. Die junge Prinzeß Victoria lernte ihn früh als den treuen Freund betrachten, der er ihr sein Leben lang blieb. Jetzt kam die Zeit heran, wo die Prinzeß voraussichtlich zur Regierung gelangen mußte. Da veranlaßte der König Stockmar, nach England zu gehen, um die Interessen seiner Schwester und Nichte zu überwachen. Ueber die höchst merkwürdige Zeit, in welcher Königin Victoria den Thron bestieg, fehlt in vieler Beziehung noch der Aufschluß. Inmitten des damaligen heftigen Parteigetriebes war Stockmar der vertraute Rathgeber der jugendlichen unerfahrenen Königin, auch hier wieder in einer ganz freien undesinirten Stellung. Eine unabweisbare Aufgabe wurde, für die Königin eine bleibende Stütze durch einen Gemahl zu finden. Nachdem sich die Wahl auf den Prinzen Albert sixirt hatte, der für diesen Beruf moralisch und geistig in seltener Weise aus¬ gerüstet war, übernahm Stockmar die Mission, den jungen Fürsten durch Um¬ gang und Einwirkung für die neuen Verhältnisse vorzubereiten. Als Mittel

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/175>, abgerufen am 09.06.2024.