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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.

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Kleine, was ihnen in der Seele lag, die Sorge der Politik und die Grundrisse
der neuen Farmer des Prinzen, die Erziehung der königlichen Kinder und die
kleinen Freuden und Leiden des Tages wurden von der Königin, ihrem Gemahl
und ihrer Familie in das treue Herz des klugen Alten gelegt, der mit verstän¬
digeck Rath, warmer Beistimmung und ernster Warnung durchaus nicht zu¬
rückhielt.

Aber wie innig die Beziehungen Stockmars zu den königlichen Häusern
von Belgien und England waren, er blieb ein Deutscher. Er hatte schon da¬
mals in der Blüthe seiner Jahre, als er dem Hofhalt des Prinzen Leopold
vorstand, den Gedanken festgehalten, daß er sein Vaterland nicht aufgeben dürfe,
und er hatte im Dienst des englischen Prinzen sich ein Familienleben in der
Heimath gegründet. Immer wieder war er aus der Fremde dorthin zurück¬
gekehrt. Seit jener Zeit hatte er das Treiben der deutschen Regierungen, die
Zustände des Volkes mit warmer Theilnahme beobachtet. Für ihn freilich und
seine Talente war in den Staaten der heiligen Allianz kein Raum, seine ent-
schiedne liberale und entschieden deutsche Richtung schlössen ihn in seinem Va¬
terlande von jeder staatsmännischen Wirksamkeit aus.

Zu dem Vielen, was wir in den Jahren von 1815 bis 1848 von
deutscher Kraft entbehrt und verloren haben, gehört auch sein reifes Ur¬
theil und sein großer Blick. Und wenn er in Nachbarstaaten eine ungewöhn¬
liche persönliche Einwirkung durchsetzte, auch ihm blieb versagt, als Staats¬
mann in verantwortlicher Stellung, als offener Parteiführer seinen Namen
unter den großen Staatsacten einer deutschen Politik der Nachwelt zu hinter¬
lassen.

Seit der Thronbesteigung König Friedrich Wilhelm des Vierten war die
Hoffnung, mit welcher er die aufsteigende Volkskraft beobachtete, sehr lebendig.
Das Jahr 1848 erregte in dem einundsechzigjährigen Mann wieder etwas von
dem Feuergeist seiner Jugend. Er war einer der Ersten, welche aus Patriotis¬
mus und unbefangener Würdigung der vorhandenen Staatsverhältnisse sich
entschieden auf den Standpunkt stellten, welchen man seither den kleindeutschen
oder preußischen genannt hat. Er hielt sich wiederholt und längere Zeit in
Frankfurt auf und verkehrte dort angelegentlich mit Männern seiner Richtung.
Allein schon im Frühjahr 1848 wurde ihm klar, daß nicht Frankfurt, sondern Ber¬
lin der Ort sei, wo die große Frage zur Entscheidung kommen müsse. Schon im
Juni rieth er dort dringend, die Ruhe und Ordnung wieder herzustellen, um
den Boden zu einem gedeihlichen Fortgange des Verfassungswerkes zu gewin¬
nen. Sein Rath mißfiel nach der einen Seite, und die, denen er nicht mißfiel,
hatten nicht den Muth und die Energie, ihn auszuführen. Im September
wiederholte er denselben Versuch mit demselben Erfolg. Er war in seiner
Sorge vor der bevorstehenden Neactionskatastrophe selbst nach Berlin gereist, mit


Kleine, was ihnen in der Seele lag, die Sorge der Politik und die Grundrisse
der neuen Farmer des Prinzen, die Erziehung der königlichen Kinder und die
kleinen Freuden und Leiden des Tages wurden von der Königin, ihrem Gemahl
und ihrer Familie in das treue Herz des klugen Alten gelegt, der mit verstän¬
digeck Rath, warmer Beistimmung und ernster Warnung durchaus nicht zu¬
rückhielt.

Aber wie innig die Beziehungen Stockmars zu den königlichen Häusern
von Belgien und England waren, er blieb ein Deutscher. Er hatte schon da¬
mals in der Blüthe seiner Jahre, als er dem Hofhalt des Prinzen Leopold
vorstand, den Gedanken festgehalten, daß er sein Vaterland nicht aufgeben dürfe,
und er hatte im Dienst des englischen Prinzen sich ein Familienleben in der
Heimath gegründet. Immer wieder war er aus der Fremde dorthin zurück¬
gekehrt. Seit jener Zeit hatte er das Treiben der deutschen Regierungen, die
Zustände des Volkes mit warmer Theilnahme beobachtet. Für ihn freilich und
seine Talente war in den Staaten der heiligen Allianz kein Raum, seine ent-
schiedne liberale und entschieden deutsche Richtung schlössen ihn in seinem Va¬
terlande von jeder staatsmännischen Wirksamkeit aus.

Zu dem Vielen, was wir in den Jahren von 1815 bis 1848 von
deutscher Kraft entbehrt und verloren haben, gehört auch sein reifes Ur¬
theil und sein großer Blick. Und wenn er in Nachbarstaaten eine ungewöhn¬
liche persönliche Einwirkung durchsetzte, auch ihm blieb versagt, als Staats¬
mann in verantwortlicher Stellung, als offener Parteiführer seinen Namen
unter den großen Staatsacten einer deutschen Politik der Nachwelt zu hinter¬
lassen.

Seit der Thronbesteigung König Friedrich Wilhelm des Vierten war die
Hoffnung, mit welcher er die aufsteigende Volkskraft beobachtete, sehr lebendig.
Das Jahr 1848 erregte in dem einundsechzigjährigen Mann wieder etwas von
dem Feuergeist seiner Jugend. Er war einer der Ersten, welche aus Patriotis¬
mus und unbefangener Würdigung der vorhandenen Staatsverhältnisse sich
entschieden auf den Standpunkt stellten, welchen man seither den kleindeutschen
oder preußischen genannt hat. Er hielt sich wiederholt und längere Zeit in
Frankfurt auf und verkehrte dort angelegentlich mit Männern seiner Richtung.
Allein schon im Frühjahr 1848 wurde ihm klar, daß nicht Frankfurt, sondern Ber¬
lin der Ort sei, wo die große Frage zur Entscheidung kommen müsse. Schon im
Juni rieth er dort dringend, die Ruhe und Ordnung wieder herzustellen, um
den Boden zu einem gedeihlichen Fortgange des Verfassungswerkes zu gewin¬
nen. Sein Rath mißfiel nach der einen Seite, und die, denen er nicht mißfiel,
hatten nicht den Muth und die Energie, ihn auszuführen. Im September
wiederholte er denselben Versuch mit demselben Erfolg. Er war in seiner
Sorge vor der bevorstehenden Neactionskatastrophe selbst nach Berlin gereist, mit


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/178>, abgerufen am 31.05.2024.