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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.

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aus, wenn er, der hier überall nur von der Oberfläche schöpft und nicht einmal
über die Ergebnisse der neuern germanistischen Philologie einigermaßen genügend
unterrichtet ist, es, wie Bd. 4, S, 273, unternimmt, Männer wie Pott des Irr¬
thums zu überfuhren. Wir führen von den wunderlichen Behauptungen der ersten
Capitel des dritten Bandes nur die an, in welcher wir, nachdem der Verfasser von
der "Ursprache und deren Sprachstämmen" allerlei Seltsames vorgetragen hat und
dann auf die deutsche Sprache und deren Mundarten gekommen ist, schließlich im
sechsten Capitel belehrt werden, daß die Gaunersprache, weil sie ihren Wörtervorrath
wie die Schriftsprache aus allen deutschen Dialekten gewonnen habe, "in Stoff und
Form wesentlich als allgemeine deutsche Volkssprache zu betrachten ist". Eben¬
solche sublime Wahrheiten finden sich in den folgenden Capiteln, welche die ver¬
schiedenen Namen der Gaunersprache sNothwälsch z. B. aus rot -- roth und gel
-- gelb!!!) zu enträthseln versuchen. Eine gleichgroße Blumenlese der auffälligsten
Irrthümer ließe sich aus den fernern Abschnitten über das Judendeutsch und die
Sprachmischung herstellen. Die Grammatik des Judendeutsch, auf die sich der Ver¬
sasser besonders viel zu Gute zu thun scheint, enthält kaum etwas Neues und konnte
in diesem Zusammenhang überhaupt ganz ebenso wie vieles Andere ohne Schaden
wegbleiben. Brauchbar ist im vierten Bande nur der Wiederabdruck einiger alten
Wörterbücher der Gaunersprache. Völlig ungenügend dagegen ist das auf S. 269
bis 313 Enthaltene, was der Verfasser, obwohl es nur der Versuch ist, die Wort¬
bildung der Gaunersprache darzustellen, in gänzlicher Verkennung seiner Befähigung
"Grammatische Bearbeitung" derselben überschreibt. Von gleich geringem Werth
endlich ist das angehängte Wörterbuch der Gaunersprache, welches, weder passend
geordnet, noch viel Neues bietend, beinahe nur dazu geschaffen zu sein scheint, um
den Band zu schwellen. Beide Bände bekunden, um unsere Meinung schließlich
noch einmal zusammenzufassen, daß der Verfasser sich hier an eine Aufgabe gewagt
hat, zu der nur er selbst sich befähigt halten konnte. Der Wissenschaft ist damit
nicht gedient. Diese verlangt für solche Untersuchungen allermindestens, daß man
mit den Gesetzen der Lautbildung und mit dem Gange bekannt sei, den die Ge¬
staltung der Sprache genommen. Sie verlangt seiner, daß man wenigstens die der
deutschen Sprache verwandten Idiome bis zu einem gewissen Grade beherrsche, wel¬
cher zu vergleichen und zu ergänzen gestattet. Von alledem bekundet Herr Ap6-
Lallemand nur wenig. Seine etymologischen Versuche mißglücken fast regelmäßig
und nicht selten in einer Weise, die Lächeln erregt. Seine Kenntniß deutscher
Lexikographie scheint sich auf Adelung, Cramer und einige Aeltere zu beschränken.
Sollte er in den Fall kommen, eine zweite Auflage seines Buches zu erleben, so
wird er, wenn er das Lob der Gewissenhaftigkeit verdienen will, bei Bearbeitung
derselben drei Viertel von den letzten Theilen bei Seite werfen müssen, und darum-
^ vorzüglich alle die Stellen, in denen er die Miene annimmt, unerhört Neues und
Wichtiges zu sagen.




Verantwortlicher Redacteur: Dr. Moritz Busch.
Verlag von F. L. Herbig. -- Druck von C. E. Elbert in Leipzig.

aus, wenn er, der hier überall nur von der Oberfläche schöpft und nicht einmal
über die Ergebnisse der neuern germanistischen Philologie einigermaßen genügend
unterrichtet ist, es, wie Bd. 4, S, 273, unternimmt, Männer wie Pott des Irr¬
thums zu überfuhren. Wir führen von den wunderlichen Behauptungen der ersten
Capitel des dritten Bandes nur die an, in welcher wir, nachdem der Verfasser von
der „Ursprache und deren Sprachstämmen" allerlei Seltsames vorgetragen hat und
dann auf die deutsche Sprache und deren Mundarten gekommen ist, schließlich im
sechsten Capitel belehrt werden, daß die Gaunersprache, weil sie ihren Wörtervorrath
wie die Schriftsprache aus allen deutschen Dialekten gewonnen habe, „in Stoff und
Form wesentlich als allgemeine deutsche Volkssprache zu betrachten ist". Eben¬
solche sublime Wahrheiten finden sich in den folgenden Capiteln, welche die ver¬
schiedenen Namen der Gaunersprache sNothwälsch z. B. aus rot — roth und gel
— gelb!!!) zu enträthseln versuchen. Eine gleichgroße Blumenlese der auffälligsten
Irrthümer ließe sich aus den fernern Abschnitten über das Judendeutsch und die
Sprachmischung herstellen. Die Grammatik des Judendeutsch, auf die sich der Ver¬
sasser besonders viel zu Gute zu thun scheint, enthält kaum etwas Neues und konnte
in diesem Zusammenhang überhaupt ganz ebenso wie vieles Andere ohne Schaden
wegbleiben. Brauchbar ist im vierten Bande nur der Wiederabdruck einiger alten
Wörterbücher der Gaunersprache. Völlig ungenügend dagegen ist das auf S. 269
bis 313 Enthaltene, was der Verfasser, obwohl es nur der Versuch ist, die Wort¬
bildung der Gaunersprache darzustellen, in gänzlicher Verkennung seiner Befähigung
„Grammatische Bearbeitung" derselben überschreibt. Von gleich geringem Werth
endlich ist das angehängte Wörterbuch der Gaunersprache, welches, weder passend
geordnet, noch viel Neues bietend, beinahe nur dazu geschaffen zu sein scheint, um
den Band zu schwellen. Beide Bände bekunden, um unsere Meinung schließlich
noch einmal zusammenzufassen, daß der Verfasser sich hier an eine Aufgabe gewagt
hat, zu der nur er selbst sich befähigt halten konnte. Der Wissenschaft ist damit
nicht gedient. Diese verlangt für solche Untersuchungen allermindestens, daß man
mit den Gesetzen der Lautbildung und mit dem Gange bekannt sei, den die Ge¬
staltung der Sprache genommen. Sie verlangt seiner, daß man wenigstens die der
deutschen Sprache verwandten Idiome bis zu einem gewissen Grade beherrsche, wel¬
cher zu vergleichen und zu ergänzen gestattet. Von alledem bekundet Herr Ap6-
Lallemand nur wenig. Seine etymologischen Versuche mißglücken fast regelmäßig
und nicht selten in einer Weise, die Lächeln erregt. Seine Kenntniß deutscher
Lexikographie scheint sich auf Adelung, Cramer und einige Aeltere zu beschränken.
Sollte er in den Fall kommen, eine zweite Auflage seines Buches zu erleben, so
wird er, wenn er das Lob der Gewissenhaftigkeit verdienen will, bei Bearbeitung
derselben drei Viertel von den letzten Theilen bei Seite werfen müssen, und darum-
^ vorzüglich alle die Stellen, in denen er die Miene annimmt, unerhört Neues und
Wichtiges zu sagen.




Verantwortlicher Redacteur: Dr. Moritz Busch.
Verlag von F. L. Herbig. — Druck von C. E. Elbert in Leipzig.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/208>, abgerufen am 15.05.2024.