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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.

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wir selbst die Nebengassen und die entfernten Quartiere der Geringen und
Armen weit über die Kräfte, die wir ihnen zugetraut, den Tagen des Festes
mit Flaggenschmuck bis zu den Dachfenstern hinauf Ehre geben sahen: Leipzig
hat sich selbst übertroffen!

Die Wochen, welche dem Feste vorausgingen, waren in jedem Hause gleich
den Zeiten, wo die Familie sich zur Hochzeit der Tochter rüstet, und-herrlichster
Erfolg krönte das liebevolle Bemühen, als die Stunde kam, wo der Bräutigam
der harrenden Braut entgegenzog. Wolkenschatten und Regengüsse hatten in
jenen Tagen bange Sorgen wachgerufen. Sie wichen, als die Vorbereitungen
zur Feier sich ihrem Ende näherten. Erwünschtester blauer Himmel sah auf
das Fest hernieder, wohlverdienter Sonnenschein ließ die ungeheure Fahnen¬
burg, in die sich die Stadt verwandelt, doppelt schön erscheinen, ein leichter
Wind stellte sich als Fahnenschwenker ein. Das Glück Leipzigs war mit dem
Verdienst Leipzigs.

Die Aufgabe war- groß. Nahe an sechszehntausend Turngenossen bean¬
spruchten gastliches Obdach. Alle Verhältnisse nahmen rasch riesenhafte Dimen¬
sionen an. und wie sehr die Stadt auch durch ihre Messen Uebung und Mittel
hatte, bedeutenden Anforderungen zu entsprechen, nur eine starke Anspannung
der Kräfte, nur eine umsichtige und planvolle Vertheilung derselben, nur un¬
gewöhnliche Aufopferung konnte hier ein befriedigendes Resultat erzielen.

Seit Wochen schon war der würdige Empfang, die gebührende Verpfle¬
gung der Gäste und die Zurüstung des Raums, wo dieselben den Anfang
machen sollten, den Deutschen Spiele wie die von Olympia und Nemea zu
geben, der Alles bewegende Gedanke, die Hauptsorge der Stadt und ihrer Be¬
hörden. Ein weiter Platz war zu umfriedigen, die Fcsthalle aufzurichten und
zu schmücken, das Geräth für das erwartete und täglich anschwellende Turner-
Heer zu beschaffen, für Küche und Keller in einer Weise Vorkehrung zu treffen,
welche Noth und Klage fern hielt. Schwere Bedenken erregte die von Woche
zu Woche wachsende Zahl der Anmeldungen solcher Gäste, die aus Freiquartiere
rechneten, gegenüber der anfangs nur mäßigen Zahl von Anervietungen, die
in dieser Beziehung eingingen. Manche bange Stunde verfloß über diesen
und andern Fragen den Vätern der Stadt und den emsigen vielgeplagten
Ausschüssen.

Aber die Schwierigkeiten wichen rüstigem Denken und Schaffen. Geräu¬
mig, stattlich und geschmackvoll stieg auf dem Festplatz die große Halle empor.
Der Raum vor ihr bedeckte sich mit Hunderten von Recken, Barren und Spring¬
pferden. Dahinter erhoben sich die mächtigen Zuschauertribünen, daneben Zelte
und Hütten für die, welchen die sechstausend Speisende fassende Halle nicht
Platz gewährte. Und zu gleicher Zeit machte die Gastlichkeit in den Häusern
der Bürger ihre stillen Eroberungen. Sie klopfte im Erdgeschoß an und sah


wir selbst die Nebengassen und die entfernten Quartiere der Geringen und
Armen weit über die Kräfte, die wir ihnen zugetraut, den Tagen des Festes
mit Flaggenschmuck bis zu den Dachfenstern hinauf Ehre geben sahen: Leipzig
hat sich selbst übertroffen!

Die Wochen, welche dem Feste vorausgingen, waren in jedem Hause gleich
den Zeiten, wo die Familie sich zur Hochzeit der Tochter rüstet, und-herrlichster
Erfolg krönte das liebevolle Bemühen, als die Stunde kam, wo der Bräutigam
der harrenden Braut entgegenzog. Wolkenschatten und Regengüsse hatten in
jenen Tagen bange Sorgen wachgerufen. Sie wichen, als die Vorbereitungen
zur Feier sich ihrem Ende näherten. Erwünschtester blauer Himmel sah auf
das Fest hernieder, wohlverdienter Sonnenschein ließ die ungeheure Fahnen¬
burg, in die sich die Stadt verwandelt, doppelt schön erscheinen, ein leichter
Wind stellte sich als Fahnenschwenker ein. Das Glück Leipzigs war mit dem
Verdienst Leipzigs.

Die Aufgabe war- groß. Nahe an sechszehntausend Turngenossen bean¬
spruchten gastliches Obdach. Alle Verhältnisse nahmen rasch riesenhafte Dimen¬
sionen an. und wie sehr die Stadt auch durch ihre Messen Uebung und Mittel
hatte, bedeutenden Anforderungen zu entsprechen, nur eine starke Anspannung
der Kräfte, nur eine umsichtige und planvolle Vertheilung derselben, nur un¬
gewöhnliche Aufopferung konnte hier ein befriedigendes Resultat erzielen.

Seit Wochen schon war der würdige Empfang, die gebührende Verpfle¬
gung der Gäste und die Zurüstung des Raums, wo dieselben den Anfang
machen sollten, den Deutschen Spiele wie die von Olympia und Nemea zu
geben, der Alles bewegende Gedanke, die Hauptsorge der Stadt und ihrer Be¬
hörden. Ein weiter Platz war zu umfriedigen, die Fcsthalle aufzurichten und
zu schmücken, das Geräth für das erwartete und täglich anschwellende Turner-
Heer zu beschaffen, für Küche und Keller in einer Weise Vorkehrung zu treffen,
welche Noth und Klage fern hielt. Schwere Bedenken erregte die von Woche
zu Woche wachsende Zahl der Anmeldungen solcher Gäste, die aus Freiquartiere
rechneten, gegenüber der anfangs nur mäßigen Zahl von Anervietungen, die
in dieser Beziehung eingingen. Manche bange Stunde verfloß über diesen
und andern Fragen den Vätern der Stadt und den emsigen vielgeplagten
Ausschüssen.

Aber die Schwierigkeiten wichen rüstigem Denken und Schaffen. Geräu¬
mig, stattlich und geschmackvoll stieg auf dem Festplatz die große Halle empor.
Der Raum vor ihr bedeckte sich mit Hunderten von Recken, Barren und Spring¬
pferden. Dahinter erhoben sich die mächtigen Zuschauertribünen, daneben Zelte
und Hütten für die, welchen die sechstausend Speisende fassende Halle nicht
Platz gewährte. Und zu gleicher Zeit machte die Gastlichkeit in den Häusern
der Bürger ihre stillen Eroberungen. Sie klopfte im Erdgeschoß an und sah


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/210>, abgerufen am 15.05.2024.