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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.

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nach Ungarn und Nußland hinein verbreitete sich das Bewußtsein, daß der
Kampf des modernen Liberalismus ein der gebildeten Welt gemeinsamer ist, sie
zelligem den nothwendigen Geist der Unruhe, der in den Jahren 1830 und
1848 auch die langsameren Völker ergriff.

Diesen revolutionären Sinn hat nächst Canning, der sein England zur
großen Schutzmacht des Liberalismus erhob, kein anderer einzelner Mensch
so gewaltig gefördert als Lord Byron. Der Philhellenismus namentlich ist
von Keinem so früh und so glänzend vertreten worden. Schon als Byron
auf seiner ersten Pilgerschaft an dem geheimnißvollen Hofe Ali Paschas weilte
und die Sulioten nach den Klängen der Timburgi um das nächtliche Feuer
ihren Kriegsreigen tanzen sah, schon damals war ihm der Gedanke an die
Auferstehung Griechenlands lebendig geworden, der in den kühnerem Köpfen
feines Volks niemals völlig erstorben war. Hatte ihn doch vor Zeiten Milton
mit der Sicherheit des Sehers ausgesprochen. Da Niemand die Wirklichkeit
des Traumes zu hoffen wagte, wünschte Byron den cykladischen Inseln die
Freiheit und die Herrschaft des attischen Demos zurück (im "Corsarcn", ge¬
schrieben im Januar 1814). Fünf Jahre später störte er den starren Schlum¬
mer der Griechen durch den schmetternden Weckruf:


z^on og,of ddo I^rrdio Zg.nee- as z^et,
voers is ddo ?^rrb.lo xnalanx Zons?

Er verstummte zornig, da die Trägheit dieses Volks der Knechte nicht zu
erschüttern schien:


a lana ok slavos sdaU us'r dö mirs --
äasn 6own z?<zu eup ok L^niam vive.

Nun endlich erfüllten sich die Zeiten. Seit langem hatte der wunderbare
Mensch die erstaunten Blicke der Deutschen auf sich gelenkt, so sehr, daß, nach
Goethes Worten, Deutschheit und Nationalität fast vergessen schien. Wir
schwelgten noch in unsern romantischen Taschenbüchern, und wollte der deutsche
Reisebeschreiber sich als einen Mann von ästhetischer Bildung zeigen, so mußte
er einmal zum mindesten in Thränen der Rührung ausbrechen beim Anblick
eines Gemäldes, einer Statue. Hier aber war ein Dichter, dessen ästhetische
Thaten die Welt bewunderte; der spottete der weichlichen Schönthuerei, er
durchreiste die Fremde, um an dem wirklichen Leben der Völker sich zu erfreuen
und die Stätten ihrer großen Thaten andachtsvoll zu besuchen. Lachend wie ein
roher Bauer ging er an dem Kunstwerth der Meisterwerke der Gallerien vorüber,
nur da und dort begeisterte ihn ein Gemälde durch den menschlichen Gehalt seines
Stoffs. Und während der große Dichter der Deutschen sich alles Ernstes die Frage
vorlegte, ob man Napoleon auch einen productiven Menschen nennen dürfe,
sprach Byron zum Entsetzen der Schöngeister: "ich will noch etwas mehr für
die Menschheit thun als Verse schreiben." Das Gefecht von Riedl bereitete


nach Ungarn und Nußland hinein verbreitete sich das Bewußtsein, daß der
Kampf des modernen Liberalismus ein der gebildeten Welt gemeinsamer ist, sie
zelligem den nothwendigen Geist der Unruhe, der in den Jahren 1830 und
1848 auch die langsameren Völker ergriff.

Diesen revolutionären Sinn hat nächst Canning, der sein England zur
großen Schutzmacht des Liberalismus erhob, kein anderer einzelner Mensch
so gewaltig gefördert als Lord Byron. Der Philhellenismus namentlich ist
von Keinem so früh und so glänzend vertreten worden. Schon als Byron
auf seiner ersten Pilgerschaft an dem geheimnißvollen Hofe Ali Paschas weilte
und die Sulioten nach den Klängen der Timburgi um das nächtliche Feuer
ihren Kriegsreigen tanzen sah, schon damals war ihm der Gedanke an die
Auferstehung Griechenlands lebendig geworden, der in den kühnerem Köpfen
feines Volks niemals völlig erstorben war. Hatte ihn doch vor Zeiten Milton
mit der Sicherheit des Sehers ausgesprochen. Da Niemand die Wirklichkeit
des Traumes zu hoffen wagte, wünschte Byron den cykladischen Inseln die
Freiheit und die Herrschaft des attischen Demos zurück (im „Corsarcn", ge¬
schrieben im Januar 1814). Fünf Jahre später störte er den starren Schlum¬
mer der Griechen durch den schmetternden Weckruf:


z^on og,of ddo I^rrdio Zg.nee- as z^et,
voers is ddo ?^rrb.lo xnalanx Zons?

Er verstummte zornig, da die Trägheit dieses Volks der Knechte nicht zu
erschüttern schien:


a lana ok slavos sdaU us'r dö mirs —
äasn 6own z?<zu eup ok L^niam vive.

Nun endlich erfüllten sich die Zeiten. Seit langem hatte der wunderbare
Mensch die erstaunten Blicke der Deutschen auf sich gelenkt, so sehr, daß, nach
Goethes Worten, Deutschheit und Nationalität fast vergessen schien. Wir
schwelgten noch in unsern romantischen Taschenbüchern, und wollte der deutsche
Reisebeschreiber sich als einen Mann von ästhetischer Bildung zeigen, so mußte
er einmal zum mindesten in Thränen der Rührung ausbrechen beim Anblick
eines Gemäldes, einer Statue. Hier aber war ein Dichter, dessen ästhetische
Thaten die Welt bewunderte; der spottete der weichlichen Schönthuerei, er
durchreiste die Fremde, um an dem wirklichen Leben der Völker sich zu erfreuen
und die Stätten ihrer großen Thaten andachtsvoll zu besuchen. Lachend wie ein
roher Bauer ging er an dem Kunstwerth der Meisterwerke der Gallerien vorüber,
nur da und dort begeisterte ihn ein Gemälde durch den menschlichen Gehalt seines
Stoffs. Und während der große Dichter der Deutschen sich alles Ernstes die Frage
vorlegte, ob man Napoleon auch einen productiven Menschen nennen dürfe,
sprach Byron zum Entsetzen der Schöngeister: „ich will noch etwas mehr für
die Menschheit thun als Verse schreiben." Das Gefecht von Riedl bereitete


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/26>, abgerufen am 15.05.2024.