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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.

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Der Donner des Hochrufens verhallte. Die Sänger trugen "Lützows
Wilde Jagd" und Ottos "Deutsches Land" vor, und das Fest war zu Ende.
Und wie wenn jetzt den Elementen Raum gegeben worden, am Himmel und auf
Erden wieder zu schalten, brach, nachdem kaum die letzten Klänge erstorben,
ein heftiges Unwetter los. Ein wüthender Windstoß fuhr staubaufwirbelnd
über das Blachfeld hin. Die große Festhalte bebte, mehre ihrer buntbemalten
Leinwandfenster flatterten zerrissen umher, und selbst der eine Mittelthurm ge¬
riet!) vor dem Sturm aus seinem Gefüge. Ein schwerer Regenguß rauschte
hernieder, und wenn sich auch der Himmel wieder aufklärte, so kehrte doch die
frühere Heiterkeit nur auf kurze Stunden zurück, und am Abend ergossen sich
von Neuem die Wolken, so daß das Feuerwerk, welches den Schluß bilden sollte,
vertagt werden mußte.

Am Nachmittag legte man den Grundstein des neuen Kugeldenkmals vor
der sogenannten Milchinsel, welches die Stelle bezeichnet, wo in der leipziger
Schlacht die Landwehr und die freiwilligen Jäger Preußens in gewaltigem
Ansturm das erste Haus der Stadt eroberten. Dann weihte man die marmorne
Gedenktafel ein, weiche die deutschen Turner neben dem Thore des Rathhauses
als Dankeszeichen hatten einmauern lassen. Endlich fand auf dem alten Friedhof
hinter der Johanniskirche eine dritte Feier statt. Dort liegt nicht fern von Gellerts
Grabe Hauptmann Mothcrby begraben, der in der Schlacht, als Friccius' junge
Helden das äußere grimmaische Thor stürmten, den Tod fand. Ein Veteran jener
Zeit, Obertcibunalrath und Turner Ulrich aus Königsberg, versammelte seine
Ostpreußen und zog mit ihnen, die umflorte Fahne voran, hinaus zu der
Gruft des gefallenen Waffenbruders. Eine einfache Rede mahnte die Turn-
gcnosscn, dem Beispiel des Todten nachzuleben. Dann commandirte der alte
Herr: "Flor von der Fahne, wie sechs für rechte Soldaten geziemt, und vor¬
wärts zurück ins frische Leben!"

Dies die Schilderung des großen Nationalfestcs von Leipzig, dessen Ge¬
dächtniß nicht so leicht aus den Seelen verschwinden wird. Und nun zum
erbaulichen Vergleich daneben ein Bild der Art und Weise, wie der Particu-
larismus in denselben Tagen seine Feste feierte.

In der "Süddeutschen Zeitung" lesen wir "Aus Bayern, 5. August"
Folgendes:

"Vor einigen Tagen ist unser bayerisches Schützenfest ohne Sang
und Klang, wie es begonnen hatte, zu Ende gegangen. Als sich am Sonn¬
tag, den 26. Juli, der stattliche Schützenzug durch die Straßen bewegte, war
das neugierige Publicum zahlreich genug herangekommen, aber stumm und still
drängte es sich zu dem ungewohnten Schauspiel. Keine Erregung in den ver¬
sammelten Massen, kein Zuruf, welcher Zeugniß dafür abgelegt hätte, daß das
Volk in diesem Fest den Ausdruck eines höhern Gedankens erkannte und mit-


Der Donner des Hochrufens verhallte. Die Sänger trugen „Lützows
Wilde Jagd" und Ottos „Deutsches Land" vor, und das Fest war zu Ende.
Und wie wenn jetzt den Elementen Raum gegeben worden, am Himmel und auf
Erden wieder zu schalten, brach, nachdem kaum die letzten Klänge erstorben,
ein heftiges Unwetter los. Ein wüthender Windstoß fuhr staubaufwirbelnd
über das Blachfeld hin. Die große Festhalte bebte, mehre ihrer buntbemalten
Leinwandfenster flatterten zerrissen umher, und selbst der eine Mittelthurm ge¬
riet!) vor dem Sturm aus seinem Gefüge. Ein schwerer Regenguß rauschte
hernieder, und wenn sich auch der Himmel wieder aufklärte, so kehrte doch die
frühere Heiterkeit nur auf kurze Stunden zurück, und am Abend ergossen sich
von Neuem die Wolken, so daß das Feuerwerk, welches den Schluß bilden sollte,
vertagt werden mußte.

Am Nachmittag legte man den Grundstein des neuen Kugeldenkmals vor
der sogenannten Milchinsel, welches die Stelle bezeichnet, wo in der leipziger
Schlacht die Landwehr und die freiwilligen Jäger Preußens in gewaltigem
Ansturm das erste Haus der Stadt eroberten. Dann weihte man die marmorne
Gedenktafel ein, weiche die deutschen Turner neben dem Thore des Rathhauses
als Dankeszeichen hatten einmauern lassen. Endlich fand auf dem alten Friedhof
hinter der Johanniskirche eine dritte Feier statt. Dort liegt nicht fern von Gellerts
Grabe Hauptmann Mothcrby begraben, der in der Schlacht, als Friccius' junge
Helden das äußere grimmaische Thor stürmten, den Tod fand. Ein Veteran jener
Zeit, Obertcibunalrath und Turner Ulrich aus Königsberg, versammelte seine
Ostpreußen und zog mit ihnen, die umflorte Fahne voran, hinaus zu der
Gruft des gefallenen Waffenbruders. Eine einfache Rede mahnte die Turn-
gcnosscn, dem Beispiel des Todten nachzuleben. Dann commandirte der alte
Herr: „Flor von der Fahne, wie sechs für rechte Soldaten geziemt, und vor¬
wärts zurück ins frische Leben!"

Dies die Schilderung des großen Nationalfestcs von Leipzig, dessen Ge¬
dächtniß nicht so leicht aus den Seelen verschwinden wird. Und nun zum
erbaulichen Vergleich daneben ein Bild der Art und Weise, wie der Particu-
larismus in denselben Tagen seine Feste feierte.

In der „Süddeutschen Zeitung" lesen wir „Aus Bayern, 5. August"
Folgendes:

„Vor einigen Tagen ist unser bayerisches Schützenfest ohne Sang
und Klang, wie es begonnen hatte, zu Ende gegangen. Als sich am Sonn¬
tag, den 26. Juli, der stattliche Schützenzug durch die Straßen bewegte, war
das neugierige Publicum zahlreich genug herangekommen, aber stumm und still
drängte es sich zu dem ungewohnten Schauspiel. Keine Erregung in den ver¬
sammelten Massen, kein Zuruf, welcher Zeugniß dafür abgelegt hätte, daß das
Volk in diesem Fest den Ausdruck eines höhern Gedankens erkannte und mit-


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[0280] Der Donner des Hochrufens verhallte. Die Sänger trugen „Lützows Wilde Jagd" und Ottos „Deutsches Land" vor, und das Fest war zu Ende. Und wie wenn jetzt den Elementen Raum gegeben worden, am Himmel und auf Erden wieder zu schalten, brach, nachdem kaum die letzten Klänge erstorben, ein heftiges Unwetter los. Ein wüthender Windstoß fuhr staubaufwirbelnd über das Blachfeld hin. Die große Festhalte bebte, mehre ihrer buntbemalten Leinwandfenster flatterten zerrissen umher, und selbst der eine Mittelthurm ge¬ riet!) vor dem Sturm aus seinem Gefüge. Ein schwerer Regenguß rauschte hernieder, und wenn sich auch der Himmel wieder aufklärte, so kehrte doch die frühere Heiterkeit nur auf kurze Stunden zurück, und am Abend ergossen sich von Neuem die Wolken, so daß das Feuerwerk, welches den Schluß bilden sollte, vertagt werden mußte. Am Nachmittag legte man den Grundstein des neuen Kugeldenkmals vor der sogenannten Milchinsel, welches die Stelle bezeichnet, wo in der leipziger Schlacht die Landwehr und die freiwilligen Jäger Preußens in gewaltigem Ansturm das erste Haus der Stadt eroberten. Dann weihte man die marmorne Gedenktafel ein, weiche die deutschen Turner neben dem Thore des Rathhauses als Dankeszeichen hatten einmauern lassen. Endlich fand auf dem alten Friedhof hinter der Johanniskirche eine dritte Feier statt. Dort liegt nicht fern von Gellerts Grabe Hauptmann Mothcrby begraben, der in der Schlacht, als Friccius' junge Helden das äußere grimmaische Thor stürmten, den Tod fand. Ein Veteran jener Zeit, Obertcibunalrath und Turner Ulrich aus Königsberg, versammelte seine Ostpreußen und zog mit ihnen, die umflorte Fahne voran, hinaus zu der Gruft des gefallenen Waffenbruders. Eine einfache Rede mahnte die Turn- gcnosscn, dem Beispiel des Todten nachzuleben. Dann commandirte der alte Herr: „Flor von der Fahne, wie sechs für rechte Soldaten geziemt, und vor¬ wärts zurück ins frische Leben!" Dies die Schilderung des großen Nationalfestcs von Leipzig, dessen Ge¬ dächtniß nicht so leicht aus den Seelen verschwinden wird. Und nun zum erbaulichen Vergleich daneben ein Bild der Art und Weise, wie der Particu- larismus in denselben Tagen seine Feste feierte. In der „Süddeutschen Zeitung" lesen wir „Aus Bayern, 5. August" Folgendes: „Vor einigen Tagen ist unser bayerisches Schützenfest ohne Sang und Klang, wie es begonnen hatte, zu Ende gegangen. Als sich am Sonn¬ tag, den 26. Juli, der stattliche Schützenzug durch die Straßen bewegte, war das neugierige Publicum zahlreich genug herangekommen, aber stumm und still drängte es sich zu dem ungewohnten Schauspiel. Keine Erregung in den ver¬ sammelten Massen, kein Zuruf, welcher Zeugniß dafür abgelegt hätte, daß das Volk in diesem Fest den Ausdruck eines höhern Gedankens erkannte und mit-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/280>, abgerufen am 29.05.2024.