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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.

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der Regierung ganz zu entziehen, denn "ob die Staatsverwaltung dieses Recht
der Gemeinde anerkennen will oder nicht, darf unsere Beurtheilung nicht be¬
irren." Die Beamten des Ministers v. Schmerling könnten ja Mischehen er¬
lauben und Fremden, vielleicht gar Protestanten, "gegen den Willen und die
Beschwerde der Gemeinde", wie v. Zallinger bemerkte, die Ausübung von Ge¬
werben gestatten. Um den Bauer ganz in der Hand zu behalten und alle
Neuerungslust schon im Keime zu ersticken, war es jedenfalls am gerathensten,
keine großen Kreistage zuzulassen, für das kleine Land Tirol nicht weniger
als fünfundsechzig Bezirksvertretungen mit kaum nennenswerthen Befugnissen
einzusetzen und die endgiltige Entscheidung in allen wichtigern Recurssällen dem
Landtag vorzubehalten, bei dem die Meinung der Geistlichen maßgebend war.

Die heftigsten Reibungen in der Gemeindeangelegenheit entspannen sich
über die Rechte "der Gemeindegenossen". Darunter waren jene Besitzer von
liegenden Gründen, Häusern oder Gewerben in den Landgemeinden zu ver¬
stehen, die nach den bisher giltigen Gesetzen ein Bürger- oder Heimathsrecht
noch nicht erworben hatten. Nach dem in der Verfassung aufgestellten Grund¬
satz der Interessenvertretung ließ sich unschwer annehmen, daß es in der Absicht
der Negierung liege, den "Genossen", wenn auch nicht das Heimathsrecht, wo¬
mit der Anspruch auf Benutzung des Gcmcindegutes und der Wohlthätigkeits-
anstalren verbunden, doch die Wahlberechtigung und Wählbarkeit bei den der
Gemeinde zustehenden Wahlen zu gewähren. Auch der Reichsrath schien dadurch,
daß er nur zwischen "Auswärtigen" und "Gemeindegliedern" unterschied, die
"Genossen" zu den letzteren zu zählen. Nur die "Auswärtigen" dürfen nämlich
nach Artikel 3 des von ihm beschlossenen und vom Kaiser sanctionirten Grund¬
gesetzes wegen schlechten Lebenswandels oder nothwendig gewordner Unter¬
stützung ausgewiesen werden. Sollte nun, bemerkte Dr. v. Grebmer, den "Ge¬
nossen" ebenfalls der ungestörte Aufenthalt in der Gemeinde verweigert wer¬
den, da ihnen doch das Gewerbegcsetz die Ausübung ihres Jndustriezweiges
verbürgt und sie dafür die Steuer entrichten? Sollte man den Besitzern lie¬
gender Gründe, die in gleicher Weise auch zu den Gemeindelasten beitragen,
die zu deren Bewirthschaftung nöthige Anwesenheit untersagen dürfen? Ge¬
hörten sie aber zu den "Gemeindegliedern", so waren sie nach dem Wortlaut
des Artikels 9 des vorerwähnten Grundgesetzes "zur Wahl sür die Gemeinde¬
vertretung oder zur Theilnahme an derselben berechtigt." Die Anschauungen
von 1862 standen eben nicht mehr auf dem Punkte von 1849. Dagegen erhob
sich Dr. Haßlwanter, der die "Gemeindegenossen" zu den "Auswärtigen" zählte,
und dabei wohl im Auge hatte, daß ansässige oder gewerbtreibende Protestan¬
ten, die noch kein Heimathsrecht erlangt, von allen Gemeindewahlen und dem
Rechte auf ungestörten Aufenthalt ausgeschlossen sein sollen. Umsonst erinnerte
der Statthalter Fürst Lobkowitz, daß eine Abänderung des Artikels 9 die aller-


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der Regierung ganz zu entziehen, denn „ob die Staatsverwaltung dieses Recht
der Gemeinde anerkennen will oder nicht, darf unsere Beurtheilung nicht be¬
irren." Die Beamten des Ministers v. Schmerling könnten ja Mischehen er¬
lauben und Fremden, vielleicht gar Protestanten, „gegen den Willen und die
Beschwerde der Gemeinde", wie v. Zallinger bemerkte, die Ausübung von Ge¬
werben gestatten. Um den Bauer ganz in der Hand zu behalten und alle
Neuerungslust schon im Keime zu ersticken, war es jedenfalls am gerathensten,
keine großen Kreistage zuzulassen, für das kleine Land Tirol nicht weniger
als fünfundsechzig Bezirksvertretungen mit kaum nennenswerthen Befugnissen
einzusetzen und die endgiltige Entscheidung in allen wichtigern Recurssällen dem
Landtag vorzubehalten, bei dem die Meinung der Geistlichen maßgebend war.

Die heftigsten Reibungen in der Gemeindeangelegenheit entspannen sich
über die Rechte „der Gemeindegenossen". Darunter waren jene Besitzer von
liegenden Gründen, Häusern oder Gewerben in den Landgemeinden zu ver¬
stehen, die nach den bisher giltigen Gesetzen ein Bürger- oder Heimathsrecht
noch nicht erworben hatten. Nach dem in der Verfassung aufgestellten Grund¬
satz der Interessenvertretung ließ sich unschwer annehmen, daß es in der Absicht
der Negierung liege, den „Genossen", wenn auch nicht das Heimathsrecht, wo¬
mit der Anspruch auf Benutzung des Gcmcindegutes und der Wohlthätigkeits-
anstalren verbunden, doch die Wahlberechtigung und Wählbarkeit bei den der
Gemeinde zustehenden Wahlen zu gewähren. Auch der Reichsrath schien dadurch,
daß er nur zwischen „Auswärtigen" und „Gemeindegliedern" unterschied, die
„Genossen" zu den letzteren zu zählen. Nur die „Auswärtigen" dürfen nämlich
nach Artikel 3 des von ihm beschlossenen und vom Kaiser sanctionirten Grund¬
gesetzes wegen schlechten Lebenswandels oder nothwendig gewordner Unter¬
stützung ausgewiesen werden. Sollte nun, bemerkte Dr. v. Grebmer, den „Ge¬
nossen" ebenfalls der ungestörte Aufenthalt in der Gemeinde verweigert wer¬
den, da ihnen doch das Gewerbegcsetz die Ausübung ihres Jndustriezweiges
verbürgt und sie dafür die Steuer entrichten? Sollte man den Besitzern lie¬
gender Gründe, die in gleicher Weise auch zu den Gemeindelasten beitragen,
die zu deren Bewirthschaftung nöthige Anwesenheit untersagen dürfen? Ge¬
hörten sie aber zu den „Gemeindegliedern", so waren sie nach dem Wortlaut
des Artikels 9 des vorerwähnten Grundgesetzes „zur Wahl sür die Gemeinde¬
vertretung oder zur Theilnahme an derselben berechtigt." Die Anschauungen
von 1862 standen eben nicht mehr auf dem Punkte von 1849. Dagegen erhob
sich Dr. Haßlwanter, der die „Gemeindegenossen" zu den „Auswärtigen" zählte,
und dabei wohl im Auge hatte, daß ansässige oder gewerbtreibende Protestan¬
ten, die noch kein Heimathsrecht erlangt, von allen Gemeindewahlen und dem
Rechte auf ungestörten Aufenthalt ausgeschlossen sein sollen. Umsonst erinnerte
der Statthalter Fürst Lobkowitz, daß eine Abänderung des Artikels 9 die aller-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/291>, abgerufen am 29.05.2024.