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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.

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treter sind in einer Weise bestimmt, welche den realen Verhältnissen der deutschen
Staaten, zumal denen Preußens, ebensowenig entspricht als den Forderungen
der Nation Von dreihundert Stimmen einer Delegirtenversammlung, welche
zu zwei Drittheilen aus der zweiten Kammer, zu einem Drittheil aus der
ersten Kammer gewählt werden soll, haben Preußen und Oestreich jedes mit
fünfundsiebenzig die gleiche Zahl, Bayern siebenundzwanzig u. s. f. zu entsenden.
Diese Bestimmung des Plans ist nur nach einer Richtung, dem Interesse
Oestreichs, wohl überlegt. Zunächst ist in ausfallender Weise das Princip ver¬
nachlässigt, welches bei jeder Volksvertretung Berücksichtigung fordert, das Ver¬
hältniß der Einwohnerzahl. Auch hier ist Bayern und Oestreich gegen Preußen
stark bevorzugt, die Modalitäten der Wahl aber sind für Preußen unausführ¬
bar. Wo sollten in Preußen die fünfundsiebenzig Delegirten ernannt werden?
Schon der Fall, daß das Herrenhaus fünfundzwanzig, das Haus der Abge¬
ordneten fünfzig Mitglieder zu ernennen hätte, würde das preußische Volk leb¬
haft entrüsten. Aber der preußische Landtag kann überhaupt die Abgeordneten
nicht wählen, da er auch die nicht zum Bunde gehörigen Provinzen Preußen
und Posen einschließt*). Wer also soll in Preußen die Delegirten ernennen?
Etwa die Provinziallandtage, wie in Oestreich? Das preußische Volk dankt
für ein solches Geschenk.

Die unklarste Seite des östreichischen Entwurfs aber ist eine vierte Ver¬
sammlung, welche dem Direktorium, dem Bundesrath und der Bundesvertretung
angehängt ist, eine periodisch, wiederkehrende Versammlung der Fürsten und
Magistrate unserer freien Städte mit unbestimmter Competenz. Es ist eine
poetische Schöpfung, bei welcher den kaiserlichen Politikern die mittelalterlichen
Fürstenversammlungen des heiligen römischen Reichs vorgeschwebt haben mögen.
Auch hier ist ein praktischer Zweck unverkennbar, die deutschen Fürsten sollen
sich gewöhnen, als Pairs mit ihrem Kaiser in großem Ceremoniell und ver¬
traulicher Besprechung zusammenzuleben.

Dazu kommt als letzter Bestandtheil der Reformvorschläge ein Bundes¬
gericht, bei welchem der Modus, nach welchem die Mitglieder ernannt werden,
die Schattenseite einer sehr wünschenswerthen Einrichtung ist.

So ist der Totaleindruck des ganzen Reformsplanö trotz einzelner Ver¬
besserungen der bestehenden Mißverhältnisse doch der einer abenteuerlichen Bildung.
Directorium, Bundesrath. Fürstencongreß und Bundesvolksvertretung neben
einander. Ein vielköpfiges Haupt, bei welchem das Ueberwiegen der östreichi¬
schen Partei möglichst vorgesehen ist. Im Bundesrath und Fürstencongreß zwei
bald begutachtende, bald beschließende Zwischenglieder, ein Parlament, welches



") Die Säulen, Hoverbek, Forkenbeck, Henning, Sänger und andere unserer besten Pa¬
trioten sind für diese Volksvertretung gar nicht wählbar.

treter sind in einer Weise bestimmt, welche den realen Verhältnissen der deutschen
Staaten, zumal denen Preußens, ebensowenig entspricht als den Forderungen
der Nation Von dreihundert Stimmen einer Delegirtenversammlung, welche
zu zwei Drittheilen aus der zweiten Kammer, zu einem Drittheil aus der
ersten Kammer gewählt werden soll, haben Preußen und Oestreich jedes mit
fünfundsiebenzig die gleiche Zahl, Bayern siebenundzwanzig u. s. f. zu entsenden.
Diese Bestimmung des Plans ist nur nach einer Richtung, dem Interesse
Oestreichs, wohl überlegt. Zunächst ist in ausfallender Weise das Princip ver¬
nachlässigt, welches bei jeder Volksvertretung Berücksichtigung fordert, das Ver¬
hältniß der Einwohnerzahl. Auch hier ist Bayern und Oestreich gegen Preußen
stark bevorzugt, die Modalitäten der Wahl aber sind für Preußen unausführ¬
bar. Wo sollten in Preußen die fünfundsiebenzig Delegirten ernannt werden?
Schon der Fall, daß das Herrenhaus fünfundzwanzig, das Haus der Abge¬
ordneten fünfzig Mitglieder zu ernennen hätte, würde das preußische Volk leb¬
haft entrüsten. Aber der preußische Landtag kann überhaupt die Abgeordneten
nicht wählen, da er auch die nicht zum Bunde gehörigen Provinzen Preußen
und Posen einschließt*). Wer also soll in Preußen die Delegirten ernennen?
Etwa die Provinziallandtage, wie in Oestreich? Das preußische Volk dankt
für ein solches Geschenk.

Die unklarste Seite des östreichischen Entwurfs aber ist eine vierte Ver¬
sammlung, welche dem Direktorium, dem Bundesrath und der Bundesvertretung
angehängt ist, eine periodisch, wiederkehrende Versammlung der Fürsten und
Magistrate unserer freien Städte mit unbestimmter Competenz. Es ist eine
poetische Schöpfung, bei welcher den kaiserlichen Politikern die mittelalterlichen
Fürstenversammlungen des heiligen römischen Reichs vorgeschwebt haben mögen.
Auch hier ist ein praktischer Zweck unverkennbar, die deutschen Fürsten sollen
sich gewöhnen, als Pairs mit ihrem Kaiser in großem Ceremoniell und ver¬
traulicher Besprechung zusammenzuleben.

Dazu kommt als letzter Bestandtheil der Reformvorschläge ein Bundes¬
gericht, bei welchem der Modus, nach welchem die Mitglieder ernannt werden,
die Schattenseite einer sehr wünschenswerthen Einrichtung ist.

So ist der Totaleindruck des ganzen Reformsplanö trotz einzelner Ver¬
besserungen der bestehenden Mißverhältnisse doch der einer abenteuerlichen Bildung.
Directorium, Bundesrath. Fürstencongreß und Bundesvolksvertretung neben
einander. Ein vielköpfiges Haupt, bei welchem das Ueberwiegen der östreichi¬
schen Partei möglichst vorgesehen ist. Im Bundesrath und Fürstencongreß zwei
bald begutachtende, bald beschließende Zwischenglieder, ein Parlament, welches



") Die Säulen, Hoverbek, Forkenbeck, Henning, Sänger und andere unserer besten Pa¬
trioten sind für diese Volksvertretung gar nicht wählbar.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/325>, abgerufen am 16.05.2024.