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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.

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Wer das ganze Vorgehen Oestreichs unbefangen betrachtet, der wird mit
Verwunderung sehen, wie unkundig der deutschen Verhältnisse die Männer wa¬
ren, welche dem Kaiser diesen Weg moralischer Eroberungen vorgeschlagen haben.
Und erstaunt fragt man, wo ist die altbewährte östreichische Diplomatie, die
Vorsicht, die Schonung in den Formen, die kluge Rücksichtnahme? Das ganze
Vorgehen ist nicht frei von einer kecken Waghalsigkeit, welche die Zukunft auf
eine unsichre Karte setzt. Wir haben die östreichische Negierung so lange auf
vorsichtiger Defensive gesehen, daß da, wo plötzlich auf die selbstbewußte Ruhe
ein kräftiges Angreifen der Gegner folgte, zunächst die Kühnheit des Schrittes
imponirte. Jetzt sehen wir wohl, welch ein Unterschied ist zwischen der kühlen
Ueberlegung. welche in passiver Stellung geschickt die Schwächen des Gegners zu
erspähen weiß und zwischen der festen und sichern Größe, welche zu Eroberungen
befähigt. So lange das wiener Cabinet sich darauf beschränkte, sich abwehrend
gegen die halben und ungeschickten Versuche Preußens verhalten, so lange war es
in befestigter Stellung der Ueberlegcnen. Jetzt tritt ein ganz anderes Wesen her¬
vor, eine Hast und Eile, welche nicht verhandeln, sondern fortreißen möchte, eine
kecke und übermüthige Eroberungslust und ein jugendliches vstentiöses Wesen, wie
es in der östreichischen Politik ganz unerhört ist. Nie ist auffallender gewor¬
den, daß die Oestreicher in Deutschland fremd sind, als an dem Tage, wo der
Kaiser die deutschen Fürsten so würdevoll und brüderlich als seine Pairs be¬
grüßte.

Zunächst ist unbegreiflich, wie man Preußen vor der Zusammenkunft so
behandeln konnte. Es ist wahr, die gegenwärtige Regierung hat Vieles ge¬
than, um Mißachtung in dem eigenen Lande und in Europa gegen sich zu er¬
regen. Nie ist die Regierung dieses Staates so gänzlich verlassen gewesen als
gerade jetzt. Aber ein Staat von achtzehn Millionen, voll von gesunder, wenn
auch ungeübter Kraft, ist doch noch etwas Anderes, als seine augenblickliche
Regierung. Meint man in Wien einen ganz zerrütteten, dem Verfall nahen
Staatskörper sich gegenüber zu haben, einen politischen Schwächling, dessen
Existenz von der Gnade Oestreichs und Frankreichs abhinge? Glaubt man
in der nationalen Partei Preußens deshalb Patriotismus, Stolz und Ver¬
trauen zu der Zukunft Preußens erloschen, weil die Vertreter des preußischen
Volkes erklärt haben, einer Negierung. welcher man mißtraut, kein Geld im
Kriegsfall zu bewilligen? Hat man keine Ahnung davon, welche Wirkung in
Preußen der Umstand gemacht hat, daß man von Wien aus durch einige be¬
hende Schritte einen großen und aufstrebenden Staat zu der Stellung Herab¬
drücken will, welche die Fürsten des Rheinbundes in der deutschen Koalition
einnehmen? Solche Behandlung hat nur dann einen Sinn, wenn man den
Gegner reizen wollte, mit dem Entschluß und der Kraft, ihn für immer zu be¬
seitigen. --


Wer das ganze Vorgehen Oestreichs unbefangen betrachtet, der wird mit
Verwunderung sehen, wie unkundig der deutschen Verhältnisse die Männer wa¬
ren, welche dem Kaiser diesen Weg moralischer Eroberungen vorgeschlagen haben.
Und erstaunt fragt man, wo ist die altbewährte östreichische Diplomatie, die
Vorsicht, die Schonung in den Formen, die kluge Rücksichtnahme? Das ganze
Vorgehen ist nicht frei von einer kecken Waghalsigkeit, welche die Zukunft auf
eine unsichre Karte setzt. Wir haben die östreichische Negierung so lange auf
vorsichtiger Defensive gesehen, daß da, wo plötzlich auf die selbstbewußte Ruhe
ein kräftiges Angreifen der Gegner folgte, zunächst die Kühnheit des Schrittes
imponirte. Jetzt sehen wir wohl, welch ein Unterschied ist zwischen der kühlen
Ueberlegung. welche in passiver Stellung geschickt die Schwächen des Gegners zu
erspähen weiß und zwischen der festen und sichern Größe, welche zu Eroberungen
befähigt. So lange das wiener Cabinet sich darauf beschränkte, sich abwehrend
gegen die halben und ungeschickten Versuche Preußens verhalten, so lange war es
in befestigter Stellung der Ueberlegcnen. Jetzt tritt ein ganz anderes Wesen her¬
vor, eine Hast und Eile, welche nicht verhandeln, sondern fortreißen möchte, eine
kecke und übermüthige Eroberungslust und ein jugendliches vstentiöses Wesen, wie
es in der östreichischen Politik ganz unerhört ist. Nie ist auffallender gewor¬
den, daß die Oestreicher in Deutschland fremd sind, als an dem Tage, wo der
Kaiser die deutschen Fürsten so würdevoll und brüderlich als seine Pairs be¬
grüßte.

Zunächst ist unbegreiflich, wie man Preußen vor der Zusammenkunft so
behandeln konnte. Es ist wahr, die gegenwärtige Regierung hat Vieles ge¬
than, um Mißachtung in dem eigenen Lande und in Europa gegen sich zu er¬
regen. Nie ist die Regierung dieses Staates so gänzlich verlassen gewesen als
gerade jetzt. Aber ein Staat von achtzehn Millionen, voll von gesunder, wenn
auch ungeübter Kraft, ist doch noch etwas Anderes, als seine augenblickliche
Regierung. Meint man in Wien einen ganz zerrütteten, dem Verfall nahen
Staatskörper sich gegenüber zu haben, einen politischen Schwächling, dessen
Existenz von der Gnade Oestreichs und Frankreichs abhinge? Glaubt man
in der nationalen Partei Preußens deshalb Patriotismus, Stolz und Ver¬
trauen zu der Zukunft Preußens erloschen, weil die Vertreter des preußischen
Volkes erklärt haben, einer Negierung. welcher man mißtraut, kein Geld im
Kriegsfall zu bewilligen? Hat man keine Ahnung davon, welche Wirkung in
Preußen der Umstand gemacht hat, daß man von Wien aus durch einige be¬
hende Schritte einen großen und aufstrebenden Staat zu der Stellung Herab¬
drücken will, welche die Fürsten des Rheinbundes in der deutschen Koalition
einnehmen? Solche Behandlung hat nur dann einen Sinn, wenn man den
Gegner reizen wollte, mit dem Entschluß und der Kraft, ihn für immer zu be¬
seitigen. —


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/363>, abgerufen am 15.05.2024.