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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.

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Kommen und Gehen und nicht sowohl eine Vollmacht als eine edle Dreistig¬
keit und vollwichtige Gesinnung legitimirte die Eintretenden. So wurden kaum
zwei Beschlüsse von denselben Personen gesaßt. Es hätte schwerlich jemand
alle Theilnehmer an dem einen oder dem andern nennen können. Freilich bleibt
noch immer ein großer Unterschied in Zwecken und Mitteln.

Der Aufruhr hatte, versichert der Reisende weiter, anfänglich gar keine
Sympathien im Lande, als ihm in Herrn von Bismarck ein wunderlicher Bun¬
desgenosse erstand. Die preußische Convention gab den Westmächten Vorwand
zur Einmischung, und die diplomatische Action erweckte sofort die alte Hoffnung
der Polen "auf den Franzosen". Nun schlössen sich auch bessere Männer der
Bewegung an, und es gab eine Zeit, wo sie nicht für hoffnungslos galt. Diese
ist nun vorüber. Die Nationalregierung hat gar zu arg gehaust. Murawieff
hätte-noch lange zu wirthschaften, wollte er den zehnten Theil der Ermordun¬
gen auf sich nehmen, womit die Polen sich befleckt haben. Warschau seufzt
unter dem Druck der Zbijobruls, die Ihre Leser aus den "deutschen Briefen"
kennen. Es sind ihrer 5000 etwa, die sich, ohne auch nur ins Feld zu gehn,
von der Bevölkerung ernähren lassen. Man wünscht sich die Russen wieder,
und der Wunsch hat nur allzuviel Grund, nahe Erfüllung zu hoffen. Mu¬
rawieff ist ein Tyrann, "aber doch lange noch nicht so, wie es Onkel und
Neffe in Paris waren, resp, noch sind und er reussirt." Sonst ist man mit
großer Milde verfahren. Die Behandlung in der Citadelle war human; die
Verbannten, welche nicht in Sibirien schmachten, sondern nur in russischen
Gubernien internirt sind, darunter schwer Compromittirte, schreiben sehr befrie¬
digt über ihr Ergehen. Nachdem man aber neuerdings das Institut der Na¬
tionalgendarmerie entdeckt hat, dessen Unterdrückung von höchster Wichtigkeit ist
hat man den Versuch gemacht, Gefangenen durch Schläge Geständnisse abzu¬
gewinnen, und auch darin ist man glücklich gewesen.

Wenn es wahr ist, daß jetzt an'es die Transportirten, welche nach Preu¬
ßen ausgeliefert werden sollen, unterwegs Züchtigungen erfahren, so dürfen
wir hoffen, daß mancher liebenswürdige Jüngling, der schon dreimal drüben
war und nie mit leeren Händen wiederkam, sich den Genuß einer vierten Reise
versagen wird.. Vorläufig werden aber immer noch Zuzüge organisirt -- und
glücklich abgefaßt. Einen guten Fang hat eine Streifpatrouille des 49. Re¬
giments in dem Walde von Pvwidz in der Nacht vom 13. zum 14. gethan.
Es wurden fünfzig bis sechzig Mann gefangen und Pferde, Waffen confiscire.
Unter den Gefangenen waren auch Italiener und Franzosen, deren Echtheit
ich freilich nicht verbürgen kann; denn die Ausländer sind sehr oft ganz ehr¬
liche Polen; wie z. B. der vielgenannte "Franzose Fältler" ein Herr Romen-
kowski ist, wenn ich den Namen recht gehört habe. Die Patriotische Zeitung
in Bromberg, eine kleine Kreuzzeitung, deren ich schon neulich gedachte, hat


Grenzboten. III. 1863. 45

Kommen und Gehen und nicht sowohl eine Vollmacht als eine edle Dreistig¬
keit und vollwichtige Gesinnung legitimirte die Eintretenden. So wurden kaum
zwei Beschlüsse von denselben Personen gesaßt. Es hätte schwerlich jemand
alle Theilnehmer an dem einen oder dem andern nennen können. Freilich bleibt
noch immer ein großer Unterschied in Zwecken und Mitteln.

Der Aufruhr hatte, versichert der Reisende weiter, anfänglich gar keine
Sympathien im Lande, als ihm in Herrn von Bismarck ein wunderlicher Bun¬
desgenosse erstand. Die preußische Convention gab den Westmächten Vorwand
zur Einmischung, und die diplomatische Action erweckte sofort die alte Hoffnung
der Polen „auf den Franzosen". Nun schlössen sich auch bessere Männer der
Bewegung an, und es gab eine Zeit, wo sie nicht für hoffnungslos galt. Diese
ist nun vorüber. Die Nationalregierung hat gar zu arg gehaust. Murawieff
hätte-noch lange zu wirthschaften, wollte er den zehnten Theil der Ermordun¬
gen auf sich nehmen, womit die Polen sich befleckt haben. Warschau seufzt
unter dem Druck der Zbijobruls, die Ihre Leser aus den „deutschen Briefen"
kennen. Es sind ihrer 5000 etwa, die sich, ohne auch nur ins Feld zu gehn,
von der Bevölkerung ernähren lassen. Man wünscht sich die Russen wieder,
und der Wunsch hat nur allzuviel Grund, nahe Erfüllung zu hoffen. Mu¬
rawieff ist ein Tyrann, „aber doch lange noch nicht so, wie es Onkel und
Neffe in Paris waren, resp, noch sind und er reussirt." Sonst ist man mit
großer Milde verfahren. Die Behandlung in der Citadelle war human; die
Verbannten, welche nicht in Sibirien schmachten, sondern nur in russischen
Gubernien internirt sind, darunter schwer Compromittirte, schreiben sehr befrie¬
digt über ihr Ergehen. Nachdem man aber neuerdings das Institut der Na¬
tionalgendarmerie entdeckt hat, dessen Unterdrückung von höchster Wichtigkeit ist
hat man den Versuch gemacht, Gefangenen durch Schläge Geständnisse abzu¬
gewinnen, und auch darin ist man glücklich gewesen.

Wenn es wahr ist, daß jetzt an'es die Transportirten, welche nach Preu¬
ßen ausgeliefert werden sollen, unterwegs Züchtigungen erfahren, so dürfen
wir hoffen, daß mancher liebenswürdige Jüngling, der schon dreimal drüben
war und nie mit leeren Händen wiederkam, sich den Genuß einer vierten Reise
versagen wird.. Vorläufig werden aber immer noch Zuzüge organisirt — und
glücklich abgefaßt. Einen guten Fang hat eine Streifpatrouille des 49. Re¬
giments in dem Walde von Pvwidz in der Nacht vom 13. zum 14. gethan.
Es wurden fünfzig bis sechzig Mann gefangen und Pferde, Waffen confiscire.
Unter den Gefangenen waren auch Italiener und Franzosen, deren Echtheit
ich freilich nicht verbürgen kann; denn die Ausländer sind sehr oft ganz ehr¬
liche Polen; wie z. B. der vielgenannte „Franzose Fältler" ein Herr Romen-
kowski ist, wenn ich den Namen recht gehört habe. Die Patriotische Zeitung
in Bromberg, eine kleine Kreuzzeitung, deren ich schon neulich gedachte, hat


Grenzboten. III. 1863. 45
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[0368] Kommen und Gehen und nicht sowohl eine Vollmacht als eine edle Dreistig¬ keit und vollwichtige Gesinnung legitimirte die Eintretenden. So wurden kaum zwei Beschlüsse von denselben Personen gesaßt. Es hätte schwerlich jemand alle Theilnehmer an dem einen oder dem andern nennen können. Freilich bleibt noch immer ein großer Unterschied in Zwecken und Mitteln. Der Aufruhr hatte, versichert der Reisende weiter, anfänglich gar keine Sympathien im Lande, als ihm in Herrn von Bismarck ein wunderlicher Bun¬ desgenosse erstand. Die preußische Convention gab den Westmächten Vorwand zur Einmischung, und die diplomatische Action erweckte sofort die alte Hoffnung der Polen „auf den Franzosen". Nun schlössen sich auch bessere Männer der Bewegung an, und es gab eine Zeit, wo sie nicht für hoffnungslos galt. Diese ist nun vorüber. Die Nationalregierung hat gar zu arg gehaust. Murawieff hätte-noch lange zu wirthschaften, wollte er den zehnten Theil der Ermordun¬ gen auf sich nehmen, womit die Polen sich befleckt haben. Warschau seufzt unter dem Druck der Zbijobruls, die Ihre Leser aus den „deutschen Briefen" kennen. Es sind ihrer 5000 etwa, die sich, ohne auch nur ins Feld zu gehn, von der Bevölkerung ernähren lassen. Man wünscht sich die Russen wieder, und der Wunsch hat nur allzuviel Grund, nahe Erfüllung zu hoffen. Mu¬ rawieff ist ein Tyrann, „aber doch lange noch nicht so, wie es Onkel und Neffe in Paris waren, resp, noch sind und er reussirt." Sonst ist man mit großer Milde verfahren. Die Behandlung in der Citadelle war human; die Verbannten, welche nicht in Sibirien schmachten, sondern nur in russischen Gubernien internirt sind, darunter schwer Compromittirte, schreiben sehr befrie¬ digt über ihr Ergehen. Nachdem man aber neuerdings das Institut der Na¬ tionalgendarmerie entdeckt hat, dessen Unterdrückung von höchster Wichtigkeit ist hat man den Versuch gemacht, Gefangenen durch Schläge Geständnisse abzu¬ gewinnen, und auch darin ist man glücklich gewesen. Wenn es wahr ist, daß jetzt an'es die Transportirten, welche nach Preu¬ ßen ausgeliefert werden sollen, unterwegs Züchtigungen erfahren, so dürfen wir hoffen, daß mancher liebenswürdige Jüngling, der schon dreimal drüben war und nie mit leeren Händen wiederkam, sich den Genuß einer vierten Reise versagen wird.. Vorläufig werden aber immer noch Zuzüge organisirt — und glücklich abgefaßt. Einen guten Fang hat eine Streifpatrouille des 49. Re¬ giments in dem Walde von Pvwidz in der Nacht vom 13. zum 14. gethan. Es wurden fünfzig bis sechzig Mann gefangen und Pferde, Waffen confiscire. Unter den Gefangenen waren auch Italiener und Franzosen, deren Echtheit ich freilich nicht verbürgen kann; denn die Ausländer sind sehr oft ganz ehr¬ liche Polen; wie z. B. der vielgenannte „Franzose Fältler" ein Herr Romen- kowski ist, wenn ich den Namen recht gehört habe. Die Patriotische Zeitung in Bromberg, eine kleine Kreuzzeitung, deren ich schon neulich gedachte, hat Grenzboten. III. 1863. 45

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/368>, abgerufen am 04.06.2024.