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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.

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der begünstigte Kammerdiener des Papstes. Das Lustspiel "I Luppositi" war
von Ariost verfaßt und von Rafael decorirt worden, ein Cardinal machte den
Regisseur, ein Papst vergnügte sich damit.

Im vierzehnten Jahrhundert war in Italien der religiöse Sinn von neuem
lebendig geworden. neubegründete Mönchsorden nährten und pflegten ihn.
Ein fanatisches und grausames Jahrhundert, dem man aber den Vorwurf
kindischen oder bestialischer Wesens nicht machen kann. Sein Dichter war
Dante, sein Maler Giotto. Durch das ganze fünfzehnte Jahrhundert zieht
sich dann wieder ein immer tieferes Herabsinken, dem sowohl das Gefühl
für Religion als auch das für die Kunst erlag, und das immer mehr in
Aberglauben und Gemeinheit verfiel. Daneben bildete sich bei Malern und
Bildhauern, was gewöhnlich die naturalistische Schule genannt worden
ist, und das eifrige Studium des Classicismus aus. Die Morgenröthe des
sechzehnten Jahrhunderts sah die italienische Gesellschaft in tiefster sittlicher
Entartung und Verkommenheit. Unser Brief ist ein Beispiel derselben. Das
also war der Zeitvertreib des Papstes, den man als Beschützer und Förderer von
Wissenschaft und schöner Kunst pries! Allerdings wußten wir, daß dieser heilige
Vater eine große Vorliebe für Lustspiele hegte, aber wir erröthen bei dem Gedanken,
daß das Haupt der Familie Medici und das geistige Oberhaupt der christlichen
Welt im Jahr 1518 an dem Eingang eines Theaters steht und die Eintreten¬
den beaufsichtigt; daß er Possen und Späße von einer Sorte mit anhört, die
selbst französischen Herren von damals, die sicher am Hofe Franz des Ersten
etwas vertragen gelernt hatten, zu stark ist; daß Se. Heiligkeit sich mit blutigen
Stiergefechten ergötzt; daß der Vorstand der Geistlichkeit sich mit Mönchsprellen
vergnügt. Und doch ist damit noch nicht Alles erschöpft. Pauluzzo schreibt noch
einmal, 13. Mai, an den Herzog, daß er sich in das Haus Pietro Bau-
hof begeben habe, um die Procession der Masken, das Ringstechen und als
Fremder cruch die Wettrennen nackter Menschen mit anzusehen. Die
Unterhaltung hätte sich um Masken und um das Arrangement Rafaels für ein
neues Lustspiel gedreht, von dem nächsten Sonntag beim Cardinal Cibo die
erste Probe stattfinden solle.

Späterhin verkündigt dann Pauluzzo dem Herzog, daß er dies Lustspiel
eines Abends im Castel S. Angelo habe aufführen sehe".

Das Wettrennen nackter Männer bildet den Kulminationspunkt in dieser
Erzählung der verschiedenen Belustigungen. Für uns klingt es fremdartig, daß
inmitten dieser Bloßstellung des gesellschaftlichen Treibens in Rom der Name
Rafaels hörbar wird, und mehr oder minder fremdartig wird es bleiben, daß
trotz aller dieser Korruption sein göttlicher Pinsel die vollendet schönen Madon¬
nen hervorbringen konnte -- jene wunderbaren Emanationen der reinsten Kunst.


Joseph Archer Crowe.


der begünstigte Kammerdiener des Papstes. Das Lustspiel „I Luppositi" war
von Ariost verfaßt und von Rafael decorirt worden, ein Cardinal machte den
Regisseur, ein Papst vergnügte sich damit.

Im vierzehnten Jahrhundert war in Italien der religiöse Sinn von neuem
lebendig geworden. neubegründete Mönchsorden nährten und pflegten ihn.
Ein fanatisches und grausames Jahrhundert, dem man aber den Vorwurf
kindischen oder bestialischer Wesens nicht machen kann. Sein Dichter war
Dante, sein Maler Giotto. Durch das ganze fünfzehnte Jahrhundert zieht
sich dann wieder ein immer tieferes Herabsinken, dem sowohl das Gefühl
für Religion als auch das für die Kunst erlag, und das immer mehr in
Aberglauben und Gemeinheit verfiel. Daneben bildete sich bei Malern und
Bildhauern, was gewöhnlich die naturalistische Schule genannt worden
ist, und das eifrige Studium des Classicismus aus. Die Morgenröthe des
sechzehnten Jahrhunderts sah die italienische Gesellschaft in tiefster sittlicher
Entartung und Verkommenheit. Unser Brief ist ein Beispiel derselben. Das
also war der Zeitvertreib des Papstes, den man als Beschützer und Förderer von
Wissenschaft und schöner Kunst pries! Allerdings wußten wir, daß dieser heilige
Vater eine große Vorliebe für Lustspiele hegte, aber wir erröthen bei dem Gedanken,
daß das Haupt der Familie Medici und das geistige Oberhaupt der christlichen
Welt im Jahr 1518 an dem Eingang eines Theaters steht und die Eintreten¬
den beaufsichtigt; daß er Possen und Späße von einer Sorte mit anhört, die
selbst französischen Herren von damals, die sicher am Hofe Franz des Ersten
etwas vertragen gelernt hatten, zu stark ist; daß Se. Heiligkeit sich mit blutigen
Stiergefechten ergötzt; daß der Vorstand der Geistlichkeit sich mit Mönchsprellen
vergnügt. Und doch ist damit noch nicht Alles erschöpft. Pauluzzo schreibt noch
einmal, 13. Mai, an den Herzog, daß er sich in das Haus Pietro Bau-
hof begeben habe, um die Procession der Masken, das Ringstechen und als
Fremder cruch die Wettrennen nackter Menschen mit anzusehen. Die
Unterhaltung hätte sich um Masken und um das Arrangement Rafaels für ein
neues Lustspiel gedreht, von dem nächsten Sonntag beim Cardinal Cibo die
erste Probe stattfinden solle.

Späterhin verkündigt dann Pauluzzo dem Herzog, daß er dies Lustspiel
eines Abends im Castel S. Angelo habe aufführen sehe».

Das Wettrennen nackter Männer bildet den Kulminationspunkt in dieser
Erzählung der verschiedenen Belustigungen. Für uns klingt es fremdartig, daß
inmitten dieser Bloßstellung des gesellschaftlichen Treibens in Rom der Name
Rafaels hörbar wird, und mehr oder minder fremdartig wird es bleiben, daß
trotz aller dieser Korruption sein göttlicher Pinsel die vollendet schönen Madon¬
nen hervorbringen konnte — jene wunderbaren Emanationen der reinsten Kunst.


Joseph Archer Crowe.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/40>, abgerufen am 15.05.2024.