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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band.

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Auch Rom hatte, bevor es sich zum Weltreich ausdehnte, seine eigene
Bildung und Gesittung, und die Blüthe derselben fällt in die Periode der
Scipionen. Man kannte ein classisches Latein, bildete Feinheit des Ausdrucks
aus und erfreute sich an einem volkstümlichen Mutterwitz. In der Poesie wie
in der Literatur überhaupt aber schloß man sich an die Griechen an, doch nicht
an den Alexandrinisinus, sondern an die Meister der alten lebendigen und
volkstümlichen Dichtung und Schriftstellern, und ohne die eingeborne Art auf¬
zugeben. Erst als die beiden großen Ströme alten Lebens politisch zusammen¬
zufließen anfingen, begann die Berücksichtigung und Nachahmung der grie¬
chischen Tagesliteratur in Rom, und bald griff der römische Alexandrinis-
mus mit reißender Schnelligkeit um sich. Eine Zeit lang pflegten gewisse
Kreise die alte Blüthe nationalen Wesens als Urbanität noch, dann verbreitete
sich über Alle das Evangelium der Humanität, welche das Wesen des neuen
von Cäsar gegründeten italisch-hellenischen Reiches war. Das italische Volks-
thum erstarb völlig, an die Stelle der nationalen Literatur trat eine Reichs- oder
Weltliteratur, der gebildete Römer wurde ein zwiesprachiger Kosmopolit.

Dieses zwitterhafte Epigonenthum, in welchem zwar manches schöne Ta¬
lent auftrat, nirgends aber der frische unvermischte Quell heimischer Natur
mehr sprudelte, mit dem Namen des goldnen Zeitalters der lateinischen Poesie
zu bezeichnen, ist zwar Herkommen der Schule, aber nicht der Wahrheit ge¬
mäß. Echte Poesie quillt nur von unten herauf aus dem reinen Born der
Nationalität, sie regnet nicht von oben herab nach dem Willen der Herrschen¬
den, und so sind die ältern Dichter, namentlich Catull und Lucrez, über Ho-
raz, Virgil und andere Poeten der augusteischen Periode zu stellen.

Ist Horaz demungeachtet in vielen Kreisen höher gehalten worden als seine
Vorgänger, so beruht dies zum guten Theil darauf, daß jene Kreise in ihrem
Wesen und ihrer Auffassung der Welt mit denen, in welchen er erwuchs und
blühte, verwandt waren. Im Mittelalter zählte seine Poesie nur wenige Ver¬
ehrer; um so größer aber war ihre Wirkung in der gelehrten Welt der Re¬
naissance und des Humanismus, dieser Mischwclt aus zwei Bildungssphären,
die nur halb in eignen'Gedanken und Empfindungen lebte. Wäre es Napo¬
leon gelungen, seinen Bau eines Weltreichs zu vollenden und zu befestigen, so
wäre Horaz das geeignete Laienbrevier für die Gelehrten dieser Schöpfung ge¬
wesen, wie dieselbe ähnliche Poeten in französischer oder deutscher Sprache
hervorgebracht haben würde.

Selbstverständlich soll damit den sonstigen Verdiensten des Dichters nicht ihr
Werth abgesprochen werden. Es galt nur zu zeigen, daß er der Sohn einer
Zeit war, die nicht den Höhenpunkt lateinischer Bildung bezeichnet. Von nun an
können wir in der Charakteristik desselben in wesentlichen Stücken mit dem Ver¬
sasser der angeführten Schrift gehen, die insofern Empfehlung verdient, als sie


Auch Rom hatte, bevor es sich zum Weltreich ausdehnte, seine eigene
Bildung und Gesittung, und die Blüthe derselben fällt in die Periode der
Scipionen. Man kannte ein classisches Latein, bildete Feinheit des Ausdrucks
aus und erfreute sich an einem volkstümlichen Mutterwitz. In der Poesie wie
in der Literatur überhaupt aber schloß man sich an die Griechen an, doch nicht
an den Alexandrinisinus, sondern an die Meister der alten lebendigen und
volkstümlichen Dichtung und Schriftstellern, und ohne die eingeborne Art auf¬
zugeben. Erst als die beiden großen Ströme alten Lebens politisch zusammen¬
zufließen anfingen, begann die Berücksichtigung und Nachahmung der grie¬
chischen Tagesliteratur in Rom, und bald griff der römische Alexandrinis-
mus mit reißender Schnelligkeit um sich. Eine Zeit lang pflegten gewisse
Kreise die alte Blüthe nationalen Wesens als Urbanität noch, dann verbreitete
sich über Alle das Evangelium der Humanität, welche das Wesen des neuen
von Cäsar gegründeten italisch-hellenischen Reiches war. Das italische Volks-
thum erstarb völlig, an die Stelle der nationalen Literatur trat eine Reichs- oder
Weltliteratur, der gebildete Römer wurde ein zwiesprachiger Kosmopolit.

Dieses zwitterhafte Epigonenthum, in welchem zwar manches schöne Ta¬
lent auftrat, nirgends aber der frische unvermischte Quell heimischer Natur
mehr sprudelte, mit dem Namen des goldnen Zeitalters der lateinischen Poesie
zu bezeichnen, ist zwar Herkommen der Schule, aber nicht der Wahrheit ge¬
mäß. Echte Poesie quillt nur von unten herauf aus dem reinen Born der
Nationalität, sie regnet nicht von oben herab nach dem Willen der Herrschen¬
den, und so sind die ältern Dichter, namentlich Catull und Lucrez, über Ho-
raz, Virgil und andere Poeten der augusteischen Periode zu stellen.

Ist Horaz demungeachtet in vielen Kreisen höher gehalten worden als seine
Vorgänger, so beruht dies zum guten Theil darauf, daß jene Kreise in ihrem
Wesen und ihrer Auffassung der Welt mit denen, in welchen er erwuchs und
blühte, verwandt waren. Im Mittelalter zählte seine Poesie nur wenige Ver¬
ehrer; um so größer aber war ihre Wirkung in der gelehrten Welt der Re¬
naissance und des Humanismus, dieser Mischwclt aus zwei Bildungssphären,
die nur halb in eignen'Gedanken und Empfindungen lebte. Wäre es Napo¬
leon gelungen, seinen Bau eines Weltreichs zu vollenden und zu befestigen, so
wäre Horaz das geeignete Laienbrevier für die Gelehrten dieser Schöpfung ge¬
wesen, wie dieselbe ähnliche Poeten in französischer oder deutscher Sprache
hervorgebracht haben würde.

Selbstverständlich soll damit den sonstigen Verdiensten des Dichters nicht ihr
Werth abgesprochen werden. Es galt nur zu zeigen, daß er der Sohn einer
Zeit war, die nicht den Höhenpunkt lateinischer Bildung bezeichnet. Von nun an
können wir in der Charakteristik desselben in wesentlichen Stücken mit dem Ver¬
sasser der angeführten Schrift gehen, die insofern Empfehlung verdient, als sie


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[0510] Auch Rom hatte, bevor es sich zum Weltreich ausdehnte, seine eigene Bildung und Gesittung, und die Blüthe derselben fällt in die Periode der Scipionen. Man kannte ein classisches Latein, bildete Feinheit des Ausdrucks aus und erfreute sich an einem volkstümlichen Mutterwitz. In der Poesie wie in der Literatur überhaupt aber schloß man sich an die Griechen an, doch nicht an den Alexandrinisinus, sondern an die Meister der alten lebendigen und volkstümlichen Dichtung und Schriftstellern, und ohne die eingeborne Art auf¬ zugeben. Erst als die beiden großen Ströme alten Lebens politisch zusammen¬ zufließen anfingen, begann die Berücksichtigung und Nachahmung der grie¬ chischen Tagesliteratur in Rom, und bald griff der römische Alexandrinis- mus mit reißender Schnelligkeit um sich. Eine Zeit lang pflegten gewisse Kreise die alte Blüthe nationalen Wesens als Urbanität noch, dann verbreitete sich über Alle das Evangelium der Humanität, welche das Wesen des neuen von Cäsar gegründeten italisch-hellenischen Reiches war. Das italische Volks- thum erstarb völlig, an die Stelle der nationalen Literatur trat eine Reichs- oder Weltliteratur, der gebildete Römer wurde ein zwiesprachiger Kosmopolit. Dieses zwitterhafte Epigonenthum, in welchem zwar manches schöne Ta¬ lent auftrat, nirgends aber der frische unvermischte Quell heimischer Natur mehr sprudelte, mit dem Namen des goldnen Zeitalters der lateinischen Poesie zu bezeichnen, ist zwar Herkommen der Schule, aber nicht der Wahrheit ge¬ mäß. Echte Poesie quillt nur von unten herauf aus dem reinen Born der Nationalität, sie regnet nicht von oben herab nach dem Willen der Herrschen¬ den, und so sind die ältern Dichter, namentlich Catull und Lucrez, über Ho- raz, Virgil und andere Poeten der augusteischen Periode zu stellen. Ist Horaz demungeachtet in vielen Kreisen höher gehalten worden als seine Vorgänger, so beruht dies zum guten Theil darauf, daß jene Kreise in ihrem Wesen und ihrer Auffassung der Welt mit denen, in welchen er erwuchs und blühte, verwandt waren. Im Mittelalter zählte seine Poesie nur wenige Ver¬ ehrer; um so größer aber war ihre Wirkung in der gelehrten Welt der Re¬ naissance und des Humanismus, dieser Mischwclt aus zwei Bildungssphären, die nur halb in eignen'Gedanken und Empfindungen lebte. Wäre es Napo¬ leon gelungen, seinen Bau eines Weltreichs zu vollenden und zu befestigen, so wäre Horaz das geeignete Laienbrevier für die Gelehrten dieser Schöpfung ge¬ wesen, wie dieselbe ähnliche Poeten in französischer oder deutscher Sprache hervorgebracht haben würde. Selbstverständlich soll damit den sonstigen Verdiensten des Dichters nicht ihr Werth abgesprochen werden. Es galt nur zu zeigen, daß er der Sohn einer Zeit war, die nicht den Höhenpunkt lateinischer Bildung bezeichnet. Von nun an können wir in der Charakteristik desselben in wesentlichen Stücken mit dem Ver¬ sasser der angeführten Schrift gehen, die insofern Empfehlung verdient, als sie

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_115393/510>, abgerufen am 15.05.2024.