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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

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agitation eingeleitet, daß in wenigen Tagen Hunderte von Unterschriften zu
dieser Erklärung veröffentlicht werden konnten, ein Beweis, wie wohlorganifirt
die Gegner waren, und über welche Mittel sie geboten.

Ein besonders geschickter Zug war es, daß sich die Führer der östreichischen
Partei dabei geflissentlich im Hintergrunde hielten. Man war seit der Ver¬
sammlung zu Eßlingen um eine Erfahrung reicher. Gewisse Namen an der
Spitze hätten von Anfang an die Agitation discreditirt. Die politische Ten¬
denz hätte gar zu offen durchgeschienen, und daß man damit kein Capital mehr
machen kann, hatte eben jene Versammlung deutlich eingeschärft. Somit siel
es zwei Männern, die in politischer Beziehung einen makellosen Namen haben,
zwei anerkannt liberalen Wortführern, den Fabrikanten Ammermüller und
Deffner zu, die Agitation zu leiten. Man war sicher, durch Moriz Mohl, der
überhaupt in den letzten Jahren einen von der östreichischen Partei in die
Demokratie eingetriebenen Keil bildet, den nöthigen Einfluß zu behalten. Mohl
fehlte denn, auch nicht bei den Vorberathungcn. An einer Stelle, die sich
gegen den Handelsvertrag erklärt, fand sich die ausdrückliche Clausel: "wie er
vorliegt". Dies war schwerlich in Mohls Sinn, aber Viele hatten die Clausel
zur Bedingung ihrer Unterschrift gemacht. Man begreift, welche Abschwächung
darin in den Augen eines Mannes liegen mußte, der überhaupt gegen die
bloße Idee eines Zollvertrags mit Frankreich sich empört. Aber auch an sich
darf diese Clausel nicht übersehen werden, um die Bedeutung eines Theils der
Unterschriften richtig zu würdigen.

Mohl hatte nicht unterzeichnet, ebensowenig -- aus den angegebenen Grün¬
den -- die Herrn vom Reformverein; die Mitglieder des oberschwäbischen ka¬
tholisch-großdeutschen Vereins hatte man sich ausdrücklich verbeten. Nach anderer
Seite war man jedoch weniger wählerisch gewesen. Zwar fehlte es durchaus
nicht an sehr respectablen Namen und Firmen, ja man wird anerkennen müssen,
daß die Mehrzahl der großen Industrie, namentlich die ganze Baumwollspinnerei
aus dieser Seite stand. Aber andrerseits wollte man zugleich durch die Menge
Eindruck machen, es ward eine Art sull'raM universal orgamsirt, und aus
den Städten und Städtchen des Landes Hunderte von Unterschriften aufgenom¬
men, deren Gewicht höchst zweifelhaft war. So ließ man über hundert
Weingärtner der Stadt Stuttgart unterzeichnen, was allerdings gleich ein gutes
Stück gab. Daß man aus einem kleinem Städtchen, dessen Gewerbverein sich
überdies für den Vertrag ausgesprochen hatte, 168 Unterschriften auszuweisen
hatte, bewies, in welche Regionen die Colporteure sich an manchen Orten
verirrten.

Gleichzeitig mit dieser Gegenagitation wurde nun in der Presse ein gro߬
artiger Sturm gegen den Handelsvertrag orgamsirt, speciell gegen die projec-
tirte Versammlung gerichtet. Denn eine Zeit lang war die Polemik sehr


agitation eingeleitet, daß in wenigen Tagen Hunderte von Unterschriften zu
dieser Erklärung veröffentlicht werden konnten, ein Beweis, wie wohlorganifirt
die Gegner waren, und über welche Mittel sie geboten.

Ein besonders geschickter Zug war es, daß sich die Führer der östreichischen
Partei dabei geflissentlich im Hintergrunde hielten. Man war seit der Ver¬
sammlung zu Eßlingen um eine Erfahrung reicher. Gewisse Namen an der
Spitze hätten von Anfang an die Agitation discreditirt. Die politische Ten¬
denz hätte gar zu offen durchgeschienen, und daß man damit kein Capital mehr
machen kann, hatte eben jene Versammlung deutlich eingeschärft. Somit siel
es zwei Männern, die in politischer Beziehung einen makellosen Namen haben,
zwei anerkannt liberalen Wortführern, den Fabrikanten Ammermüller und
Deffner zu, die Agitation zu leiten. Man war sicher, durch Moriz Mohl, der
überhaupt in den letzten Jahren einen von der östreichischen Partei in die
Demokratie eingetriebenen Keil bildet, den nöthigen Einfluß zu behalten. Mohl
fehlte denn, auch nicht bei den Vorberathungcn. An einer Stelle, die sich
gegen den Handelsvertrag erklärt, fand sich die ausdrückliche Clausel: „wie er
vorliegt". Dies war schwerlich in Mohls Sinn, aber Viele hatten die Clausel
zur Bedingung ihrer Unterschrift gemacht. Man begreift, welche Abschwächung
darin in den Augen eines Mannes liegen mußte, der überhaupt gegen die
bloße Idee eines Zollvertrags mit Frankreich sich empört. Aber auch an sich
darf diese Clausel nicht übersehen werden, um die Bedeutung eines Theils der
Unterschriften richtig zu würdigen.

Mohl hatte nicht unterzeichnet, ebensowenig — aus den angegebenen Grün¬
den — die Herrn vom Reformverein; die Mitglieder des oberschwäbischen ka¬
tholisch-großdeutschen Vereins hatte man sich ausdrücklich verbeten. Nach anderer
Seite war man jedoch weniger wählerisch gewesen. Zwar fehlte es durchaus
nicht an sehr respectablen Namen und Firmen, ja man wird anerkennen müssen,
daß die Mehrzahl der großen Industrie, namentlich die ganze Baumwollspinnerei
aus dieser Seite stand. Aber andrerseits wollte man zugleich durch die Menge
Eindruck machen, es ward eine Art sull'raM universal orgamsirt, und aus
den Städten und Städtchen des Landes Hunderte von Unterschriften aufgenom¬
men, deren Gewicht höchst zweifelhaft war. So ließ man über hundert
Weingärtner der Stadt Stuttgart unterzeichnen, was allerdings gleich ein gutes
Stück gab. Daß man aus einem kleinem Städtchen, dessen Gewerbverein sich
überdies für den Vertrag ausgesprochen hatte, 168 Unterschriften auszuweisen
hatte, bewies, in welche Regionen die Colporteure sich an manchen Orten
verirrten.

Gleichzeitig mit dieser Gegenagitation wurde nun in der Presse ein gro߬
artiger Sturm gegen den Handelsvertrag orgamsirt, speciell gegen die projec-
tirte Versammlung gerichtet. Denn eine Zeit lang war die Polemik sehr


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/104>, abgerufen am 15.05.2024.