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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

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kann vorwärts kommen, welcher etwas gelernt hat" die besten Folgen, Die
Artillerie stand darum bei dem Bürgerstande in besonderem Ansehen. Man
wußte, daß nur dem Verdienste, wenn gleich dasselbe ziemlich einseitig war,
der Weg zu einem zwar langsamen, aber sicheren Emporkommen offen stand.
Auch sah man in der Artillerie die einzige Truppe, welche in allen ihren
Schichten dem Bürger- und Bauerstande entstammte, da selbst die meisten Gene¬
rale und Stabsoffiziere Bürgerliche waren. Dafür mied auch der Adel, zumal
der höhere, die Artillerie. In dem ganzen Corps befanden sich jederzeit höch¬
stens zwei bis drei Grafen, einige wenige Barone und mehre -- gewöhnlich
blutarme -- niedere Adelige.

Es gab zwar auch in der Artillerie Eadetten, und die Zahl derselben war
sehr groß, da Geburt und Vermögen bei ihrer Aufnahme nicht maßgebend
waren; aber sie genossen auch nicht die mindeste Begünstigung, daher sie sich
fast nur aus verunglückten Studenten , und thatendurstiger Handlungscommis,
Beamten- und Offizierssöhnen rekrutirten. Jene jungen Leute dieser Kategorie,
welche nicht als Eadetten aufgenommen werden konnten, traten häufig freiwillig
als einfache Unterlanoniere ein. Daher besaß die Artillerie in ihren Elementen
weit mehr Intelligenz, als jede andere Truppe, und es hätte Großes erzielt
werden können, wenn man diese Kräfte besser auszubilden und zu verwenden
gesucht oder verstanden hätte. Manche dieser jungen Leute erlangten allerdings
mit der Zeit eine höhere Stellung; aber ein großer Theil verunglückte, oft eines
einzigen Jugendstreiches wegen, häusiger aber nicht durch eigene Schuld --
sondern erdrückt von dem nach und nach eingerissenen Systeme der engherzigsten
Pedanterie und eines verrotteten Zopfgeistcs.

Denn kleinliche Formenhascherei und aberwitziges Schulmeisterthum hatten
es endlich dahin gebracht, daß man nicht auf das Können, sondern nur
auf das Lernen Rücksicht nahm, daher das wirkliche Talent, welches die ihm
ertheilte Aufgabe spielend löste, oft schlechter fuhr als der Dummkopf,
wenn dieser einen unermüdlichen, wiewohl ganz unfruchtbaren Fleiß an den
Tag legte!

Außer dem Artillerieunterrichte wurde in den Compagnicschulen den ganz
ungebildeten Leuten Unterricht in der deutschen Sprache, dem Lesen und
Schreiben, dann in den vier Species, den Schülern der höhern Classen aber
in den Anfangsgründen der Algebra, dem Linearzeichnen und der Militärstilistik
ertheilt. Mochte es sich auch komisch ausnehmen, wenn man Leute in einem
mitunter ziemlich vorgerückten Alter, die seither nur den Spaten, den Säbel
und das Ladzeug zur Hand genommen hatten, mit Zirkel und Reißfeder Han¬
thieren und sich mit dem Ausziehen der Quadratwurzel abmühen sah; so blieb
doch bei dem beschränktesten Kopfe von dem ewigen Wiederholen etwas hängen,
und so besaß denn selbst der gemeine östreichische Artillerist in der Regel eine


kann vorwärts kommen, welcher etwas gelernt hat" die besten Folgen, Die
Artillerie stand darum bei dem Bürgerstande in besonderem Ansehen. Man
wußte, daß nur dem Verdienste, wenn gleich dasselbe ziemlich einseitig war,
der Weg zu einem zwar langsamen, aber sicheren Emporkommen offen stand.
Auch sah man in der Artillerie die einzige Truppe, welche in allen ihren
Schichten dem Bürger- und Bauerstande entstammte, da selbst die meisten Gene¬
rale und Stabsoffiziere Bürgerliche waren. Dafür mied auch der Adel, zumal
der höhere, die Artillerie. In dem ganzen Corps befanden sich jederzeit höch¬
stens zwei bis drei Grafen, einige wenige Barone und mehre — gewöhnlich
blutarme — niedere Adelige.

Es gab zwar auch in der Artillerie Eadetten, und die Zahl derselben war
sehr groß, da Geburt und Vermögen bei ihrer Aufnahme nicht maßgebend
waren; aber sie genossen auch nicht die mindeste Begünstigung, daher sie sich
fast nur aus verunglückten Studenten , und thatendurstiger Handlungscommis,
Beamten- und Offizierssöhnen rekrutirten. Jene jungen Leute dieser Kategorie,
welche nicht als Eadetten aufgenommen werden konnten, traten häufig freiwillig
als einfache Unterlanoniere ein. Daher besaß die Artillerie in ihren Elementen
weit mehr Intelligenz, als jede andere Truppe, und es hätte Großes erzielt
werden können, wenn man diese Kräfte besser auszubilden und zu verwenden
gesucht oder verstanden hätte. Manche dieser jungen Leute erlangten allerdings
mit der Zeit eine höhere Stellung; aber ein großer Theil verunglückte, oft eines
einzigen Jugendstreiches wegen, häusiger aber nicht durch eigene Schuld —
sondern erdrückt von dem nach und nach eingerissenen Systeme der engherzigsten
Pedanterie und eines verrotteten Zopfgeistcs.

Denn kleinliche Formenhascherei und aberwitziges Schulmeisterthum hatten
es endlich dahin gebracht, daß man nicht auf das Können, sondern nur
auf das Lernen Rücksicht nahm, daher das wirkliche Talent, welches die ihm
ertheilte Aufgabe spielend löste, oft schlechter fuhr als der Dummkopf,
wenn dieser einen unermüdlichen, wiewohl ganz unfruchtbaren Fleiß an den
Tag legte!

Außer dem Artillerieunterrichte wurde in den Compagnicschulen den ganz
ungebildeten Leuten Unterricht in der deutschen Sprache, dem Lesen und
Schreiben, dann in den vier Species, den Schülern der höhern Classen aber
in den Anfangsgründen der Algebra, dem Linearzeichnen und der Militärstilistik
ertheilt. Mochte es sich auch komisch ausnehmen, wenn man Leute in einem
mitunter ziemlich vorgerückten Alter, die seither nur den Spaten, den Säbel
und das Ladzeug zur Hand genommen hatten, mit Zirkel und Reißfeder Han¬
thieren und sich mit dem Ausziehen der Quadratwurzel abmühen sah; so blieb
doch bei dem beschränktesten Kopfe von dem ewigen Wiederholen etwas hängen,
und so besaß denn selbst der gemeine östreichische Artillerist in der Regel eine


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/114>, abgerufen am 15.05.2024.