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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

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sichten der regierenden Kreise zu achten, und sie sind durch Temperament, Bil¬
dung und bürgerliche Stellung vorzugsweise der Versöhnung und dem Ver¬
mitteln der Gegensätze hold.

Ohne Zweifel gibt es noch jetzt in dieser Partei ehrenhafte Männer,
welche die Herrschaft des Junkerthums für ein großes Uebel halten, aber die
gegenwärtige ungemüthliche Spannung zwischen Krone und Volt für ein grö¬
ßeres. Und welche träumen, daß einige Concessionen der Regierung in der
Militärfrage, z. B. die zweijährige Dienstzeit und etwa die Vertauschung des
Herrn v. Bismark mit einem Herrn von sanfteren Wesen dem preußischen Volk
das Gefühl der Zufriedenheit und Kraft zurückgeben könnte. Die Tyrannei
und die Uebergriffe der Militär- und Administrativbehörden, die Knechtschaft,
welche jetzt dem preußischen Staatsbürger durch die übereifriger Handlanger
eines unwürdigen Systems aufgelegt wird, die schlechte Kreisordnung, der
Verfall der Bildungsanstalten, die mittelalterliche Stellung des Heeres im Staate,
endlich das persönliche Regiment und die damit zusammenhängende Schwäche
der innern und äußeren Politik, das Alles werde sich dann allmälig von selbst
geben.

Wer dergleichen glaubt, betrügt sich selbst. Aber auch wenn eine Besserung
der preußischen Zustände auf solchem Wege stiller Bekehrung an sich möglich
wäre, so ist sicher, daß sie thatsächlich nicht mehr in dieser geräuschlosen Weise
vor sich gebn wird. Und da ein Hauptmotiv unserer altliberalen Freunde ihre
warme Loyalität und der Wunsch ist, dem hohen Königsgeschlecht der Preußen
dauerhafte und glorreiche Regierung zu bewirken, so mögen sie auch erwägen,
daß jetzt der loyalste und treueste Dienst, welchen sie der Zukunft der Hohen-
zollern leisten können, der ist, wenn sie als feste Männer gegen die Regie¬
rung stehen und halben Concessionen, schwacher Vermittelung nicht ein Haar
breit nachgeben.

Denn nicht der gegenwärtige Kampf ist das Gefährlichste für Preußen und
seine Fürsten. Diesen Kampf, und wenn er auch um vieles heißer und grimmiger
wird, hält der Staat recht Wohl aus. Alle Erscheinungen des preußischen
Staatslebens, Personen und Umbildungen haben sich von je in scharfen
Gegensätzen durchgearbeitet. Das Große ist dort größer, das Gemeine schlechter
als anderswo. Tugend und Unfähigkeit, beides wandelt in nicht gemeinen
Verhältnissen. Zu einem ruhigen, bescheidenen, gemüthlichen Volk, welches
auf die Länge fünf gerade sein läßt, sind die Preußen nicht geschaffen. Die
Wogen können dort sehr hoch gehen in empörter Zeit, viel Leidenschaftliches
kann im Streit gesprochen und gethan werden, der Menschenverstand ist so
Massiv und der Volkscharakter so energisch, daß er dergleichen ohne schweren
Schaden für den Staat überwinden wird. Er hat weit schwereres durchgelitten
und durchgekämpft als den gegenwärtigen Streit mit dem alten privilegirten


sichten der regierenden Kreise zu achten, und sie sind durch Temperament, Bil¬
dung und bürgerliche Stellung vorzugsweise der Versöhnung und dem Ver¬
mitteln der Gegensätze hold.

Ohne Zweifel gibt es noch jetzt in dieser Partei ehrenhafte Männer,
welche die Herrschaft des Junkerthums für ein großes Uebel halten, aber die
gegenwärtige ungemüthliche Spannung zwischen Krone und Volt für ein grö¬
ßeres. Und welche träumen, daß einige Concessionen der Regierung in der
Militärfrage, z. B. die zweijährige Dienstzeit und etwa die Vertauschung des
Herrn v. Bismark mit einem Herrn von sanfteren Wesen dem preußischen Volk
das Gefühl der Zufriedenheit und Kraft zurückgeben könnte. Die Tyrannei
und die Uebergriffe der Militär- und Administrativbehörden, die Knechtschaft,
welche jetzt dem preußischen Staatsbürger durch die übereifriger Handlanger
eines unwürdigen Systems aufgelegt wird, die schlechte Kreisordnung, der
Verfall der Bildungsanstalten, die mittelalterliche Stellung des Heeres im Staate,
endlich das persönliche Regiment und die damit zusammenhängende Schwäche
der innern und äußeren Politik, das Alles werde sich dann allmälig von selbst
geben.

Wer dergleichen glaubt, betrügt sich selbst. Aber auch wenn eine Besserung
der preußischen Zustände auf solchem Wege stiller Bekehrung an sich möglich
wäre, so ist sicher, daß sie thatsächlich nicht mehr in dieser geräuschlosen Weise
vor sich gebn wird. Und da ein Hauptmotiv unserer altliberalen Freunde ihre
warme Loyalität und der Wunsch ist, dem hohen Königsgeschlecht der Preußen
dauerhafte und glorreiche Regierung zu bewirken, so mögen sie auch erwägen,
daß jetzt der loyalste und treueste Dienst, welchen sie der Zukunft der Hohen-
zollern leisten können, der ist, wenn sie als feste Männer gegen die Regie¬
rung stehen und halben Concessionen, schwacher Vermittelung nicht ein Haar
breit nachgeben.

Denn nicht der gegenwärtige Kampf ist das Gefährlichste für Preußen und
seine Fürsten. Diesen Kampf, und wenn er auch um vieles heißer und grimmiger
wird, hält der Staat recht Wohl aus. Alle Erscheinungen des preußischen
Staatslebens, Personen und Umbildungen haben sich von je in scharfen
Gegensätzen durchgearbeitet. Das Große ist dort größer, das Gemeine schlechter
als anderswo. Tugend und Unfähigkeit, beides wandelt in nicht gemeinen
Verhältnissen. Zu einem ruhigen, bescheidenen, gemüthlichen Volk, welches
auf die Länge fünf gerade sein läßt, sind die Preußen nicht geschaffen. Die
Wogen können dort sehr hoch gehen in empörter Zeit, viel Leidenschaftliches
kann im Streit gesprochen und gethan werden, der Menschenverstand ist so
Massiv und der Volkscharakter so energisch, daß er dergleichen ohne schweren
Schaden für den Staat überwinden wird. Er hat weit schwereres durchgelitten
und durchgekämpft als den gegenwärtigen Streit mit dem alten privilegirten


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[0127] sichten der regierenden Kreise zu achten, und sie sind durch Temperament, Bil¬ dung und bürgerliche Stellung vorzugsweise der Versöhnung und dem Ver¬ mitteln der Gegensätze hold. Ohne Zweifel gibt es noch jetzt in dieser Partei ehrenhafte Männer, welche die Herrschaft des Junkerthums für ein großes Uebel halten, aber die gegenwärtige ungemüthliche Spannung zwischen Krone und Volt für ein grö¬ ßeres. Und welche träumen, daß einige Concessionen der Regierung in der Militärfrage, z. B. die zweijährige Dienstzeit und etwa die Vertauschung des Herrn v. Bismark mit einem Herrn von sanfteren Wesen dem preußischen Volk das Gefühl der Zufriedenheit und Kraft zurückgeben könnte. Die Tyrannei und die Uebergriffe der Militär- und Administrativbehörden, die Knechtschaft, welche jetzt dem preußischen Staatsbürger durch die übereifriger Handlanger eines unwürdigen Systems aufgelegt wird, die schlechte Kreisordnung, der Verfall der Bildungsanstalten, die mittelalterliche Stellung des Heeres im Staate, endlich das persönliche Regiment und die damit zusammenhängende Schwäche der innern und äußeren Politik, das Alles werde sich dann allmälig von selbst geben. Wer dergleichen glaubt, betrügt sich selbst. Aber auch wenn eine Besserung der preußischen Zustände auf solchem Wege stiller Bekehrung an sich möglich wäre, so ist sicher, daß sie thatsächlich nicht mehr in dieser geräuschlosen Weise vor sich gebn wird. Und da ein Hauptmotiv unserer altliberalen Freunde ihre warme Loyalität und der Wunsch ist, dem hohen Königsgeschlecht der Preußen dauerhafte und glorreiche Regierung zu bewirken, so mögen sie auch erwägen, daß jetzt der loyalste und treueste Dienst, welchen sie der Zukunft der Hohen- zollern leisten können, der ist, wenn sie als feste Männer gegen die Regie¬ rung stehen und halben Concessionen, schwacher Vermittelung nicht ein Haar breit nachgeben. Denn nicht der gegenwärtige Kampf ist das Gefährlichste für Preußen und seine Fürsten. Diesen Kampf, und wenn er auch um vieles heißer und grimmiger wird, hält der Staat recht Wohl aus. Alle Erscheinungen des preußischen Staatslebens, Personen und Umbildungen haben sich von je in scharfen Gegensätzen durchgearbeitet. Das Große ist dort größer, das Gemeine schlechter als anderswo. Tugend und Unfähigkeit, beides wandelt in nicht gemeinen Verhältnissen. Zu einem ruhigen, bescheidenen, gemüthlichen Volk, welches auf die Länge fünf gerade sein läßt, sind die Preußen nicht geschaffen. Die Wogen können dort sehr hoch gehen in empörter Zeit, viel Leidenschaftliches kann im Streit gesprochen und gethan werden, der Menschenverstand ist so Massiv und der Volkscharakter so energisch, daß er dergleichen ohne schweren Schaden für den Staat überwinden wird. Er hat weit schwereres durchgelitten und durchgekämpft als den gegenwärtigen Streit mit dem alten privilegirten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/127>, abgerufen am 15.05.2024.