Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

in Schwaben Ausdruck zu geben, der Hauptgrund, warum von Seite der national
Gesinnten und namentlich auch von Seite der Landbevölkerung die Berufung
einer Landesversammlung verlangt wurde.

Auch dies ist nun freilich wieder specifisch schwäbisch, und so zu sagen lands¬
mannschaftlich, daß eine Meinungsverschiedenheit zwischen den Führern dem
Lande selbst zur Entscheidung vorgelegt, daß der Streit zwischen Groß- und
Kleindcutschland gleichsam zu einer Landesangclegenheit gemacht wurde. Denn
an eine eigentliche Unterwerfung der Minderheit unter die Mehrheit war ja
doch in keinem Falle zu denken. Allein die Traditionen jener Zeit, wo die
demokratische Partei wirtlich noch ihre geschlossene Einheit bewahrte, lassen sich
nicht so leicht beseitigen. und die Nachwirkung derselben hat in jedem Falle das
Gute, daß wenn eine Schwenkung unter diesen Umständen sich nur äußerst
schwerfällig vollzieht, sie dafür, wenn sie vollzogen ist, um so mehr zu bedeuten
hat. Denn bei der Zähigkeit, mit welcher die demokratischen Elemente zu¬
sammenhalten, wird doch allmälig nach dem Gesetz der Schwere die ganze
Masse dem Punkte sich zu bewegen, wo einmal die Mehrheit Fuß gefaßt hat.
Zugleich erhält eine solche Debatte einen gewissen dramatischen Reiz. Es ist
eine wirkliche Debatte, öffentlich vor dem ganzen Lande messen sich die Kräfte
von hüben und drüben, und in diesem offenen Kampfe wird ebenso die unter¬
liegende Partei der Schranken sich bewußt, welche ihr innerlich und äußerlich
gezogen sind, als die siegreiche zu gesteigertem Selbstgefühl angeregt werden muß.

So trafen denn am 14. December Vormittags aus verschiedenen Gegenden
des Landes dreihundert Männer in Eßlingen ein, unter ihnen der Kern der
schwäbischen Demokratie, Männer, die zum Theil in den parlamentarischen
Kämpfen vor dem Jahr 1848 geschult, zum Theil erst seit dieser Zeit ins öf¬
fentliche Leben eingetreten sind. Wenige nur der altliberalen Partei angehörig.
Indem sich die Reihen allmälig füllen, gewinnen wir Zeit, uns die Gruppen,
die sich im Vordergrund bewegen, näher zu betrachten. Die Ehre des Vorsitzes
ist heute jenem silberhaarigen Manne zugedacht, dessen Persönlichkeit ebenso ver¬
söhnlich ist, als er im Kampf für die Volksrechte sich hartnäckig und unerbittlich
gezeigt hat, Gottlob Tafel, vor Zeiten ein Opfer der Burschenschaftsverfolgungen,
dann lange Jahre in den Reihen der würtembergischen Opposition, wie in
Frankfurt auf den Bänken der Linken, eine weithin unter den Gesinnungs¬
genossen bekannte Persönlichkeit durch räh gastliche Haus, das jederzeit den
politischen Freunden geöffnet ist; ihm am nächsten stehend an politischer Ge¬
sinnung Nödinger, der wie er in den Gefängnissen des Hohenasbcrg den ersten
Traum der deutschen Einheit verbüßte und ebenso in vieljähriger parlamenta¬
rischer Laufbahn sein unzertrennlicher Gefährte war; dann Fetzer, der vor zwei
Jahren erklärte, an dem Tage, da der Nativnalverein die Reichsverfassung aufs
Panier schreibe, werde er beitreten, und Wort hielt, ein lebendiges Nachschlage-


in Schwaben Ausdruck zu geben, der Hauptgrund, warum von Seite der national
Gesinnten und namentlich auch von Seite der Landbevölkerung die Berufung
einer Landesversammlung verlangt wurde.

Auch dies ist nun freilich wieder specifisch schwäbisch, und so zu sagen lands¬
mannschaftlich, daß eine Meinungsverschiedenheit zwischen den Führern dem
Lande selbst zur Entscheidung vorgelegt, daß der Streit zwischen Groß- und
Kleindcutschland gleichsam zu einer Landesangclegenheit gemacht wurde. Denn
an eine eigentliche Unterwerfung der Minderheit unter die Mehrheit war ja
doch in keinem Falle zu denken. Allein die Traditionen jener Zeit, wo die
demokratische Partei wirtlich noch ihre geschlossene Einheit bewahrte, lassen sich
nicht so leicht beseitigen. und die Nachwirkung derselben hat in jedem Falle das
Gute, daß wenn eine Schwenkung unter diesen Umständen sich nur äußerst
schwerfällig vollzieht, sie dafür, wenn sie vollzogen ist, um so mehr zu bedeuten
hat. Denn bei der Zähigkeit, mit welcher die demokratischen Elemente zu¬
sammenhalten, wird doch allmälig nach dem Gesetz der Schwere die ganze
Masse dem Punkte sich zu bewegen, wo einmal die Mehrheit Fuß gefaßt hat.
Zugleich erhält eine solche Debatte einen gewissen dramatischen Reiz. Es ist
eine wirkliche Debatte, öffentlich vor dem ganzen Lande messen sich die Kräfte
von hüben und drüben, und in diesem offenen Kampfe wird ebenso die unter¬
liegende Partei der Schranken sich bewußt, welche ihr innerlich und äußerlich
gezogen sind, als die siegreiche zu gesteigertem Selbstgefühl angeregt werden muß.

So trafen denn am 14. December Vormittags aus verschiedenen Gegenden
des Landes dreihundert Männer in Eßlingen ein, unter ihnen der Kern der
schwäbischen Demokratie, Männer, die zum Theil in den parlamentarischen
Kämpfen vor dem Jahr 1848 geschult, zum Theil erst seit dieser Zeit ins öf¬
fentliche Leben eingetreten sind. Wenige nur der altliberalen Partei angehörig.
Indem sich die Reihen allmälig füllen, gewinnen wir Zeit, uns die Gruppen,
die sich im Vordergrund bewegen, näher zu betrachten. Die Ehre des Vorsitzes
ist heute jenem silberhaarigen Manne zugedacht, dessen Persönlichkeit ebenso ver¬
söhnlich ist, als er im Kampf für die Volksrechte sich hartnäckig und unerbittlich
gezeigt hat, Gottlob Tafel, vor Zeiten ein Opfer der Burschenschaftsverfolgungen,
dann lange Jahre in den Reihen der würtembergischen Opposition, wie in
Frankfurt auf den Bänken der Linken, eine weithin unter den Gesinnungs¬
genossen bekannte Persönlichkeit durch räh gastliche Haus, das jederzeit den
politischen Freunden geöffnet ist; ihm am nächsten stehend an politischer Ge¬
sinnung Nödinger, der wie er in den Gefängnissen des Hohenasbcrg den ersten
Traum der deutschen Einheit verbüßte und ebenso in vieljähriger parlamenta¬
rischer Laufbahn sein unzertrennlicher Gefährte war; dann Fetzer, der vor zwei
Jahren erklärte, an dem Tage, da der Nativnalverein die Reichsverfassung aufs
Panier schreibe, werde er beitreten, und Wort hielt, ein lebendiges Nachschlage-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0016" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/187510"/>
          <p xml:id="ID_33" prev="#ID_32"> in Schwaben Ausdruck zu geben, der Hauptgrund, warum von Seite der national<lb/>
Gesinnten und namentlich auch von Seite der Landbevölkerung die Berufung<lb/>
einer Landesversammlung verlangt wurde.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_34"> Auch dies ist nun freilich wieder specifisch schwäbisch, und so zu sagen lands¬<lb/>
mannschaftlich, daß eine Meinungsverschiedenheit zwischen den Führern dem<lb/>
Lande selbst zur Entscheidung vorgelegt, daß der Streit zwischen Groß- und<lb/>
Kleindcutschland gleichsam zu einer Landesangclegenheit gemacht wurde. Denn<lb/>
an eine eigentliche Unterwerfung der Minderheit unter die Mehrheit war ja<lb/>
doch in keinem Falle zu denken. Allein die Traditionen jener Zeit, wo die<lb/>
demokratische Partei wirtlich noch ihre geschlossene Einheit bewahrte, lassen sich<lb/>
nicht so leicht beseitigen. und die Nachwirkung derselben hat in jedem Falle das<lb/>
Gute, daß wenn eine Schwenkung unter diesen Umständen sich nur äußerst<lb/>
schwerfällig vollzieht, sie dafür, wenn sie vollzogen ist, um so mehr zu bedeuten<lb/>
hat. Denn bei der Zähigkeit, mit welcher die demokratischen Elemente zu¬<lb/>
sammenhalten, wird doch allmälig nach dem Gesetz der Schwere die ganze<lb/>
Masse dem Punkte sich zu bewegen, wo einmal die Mehrheit Fuß gefaßt hat.<lb/>
Zugleich erhält eine solche Debatte einen gewissen dramatischen Reiz. Es ist<lb/>
eine wirkliche Debatte, öffentlich vor dem ganzen Lande messen sich die Kräfte<lb/>
von hüben und drüben, und in diesem offenen Kampfe wird ebenso die unter¬<lb/>
liegende Partei der Schranken sich bewußt, welche ihr innerlich und äußerlich<lb/>
gezogen sind, als die siegreiche zu gesteigertem Selbstgefühl angeregt werden muß.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_35" next="#ID_36"> So trafen denn am 14. December Vormittags aus verschiedenen Gegenden<lb/>
des Landes dreihundert Männer in Eßlingen ein, unter ihnen der Kern der<lb/>
schwäbischen Demokratie, Männer, die zum Theil in den parlamentarischen<lb/>
Kämpfen vor dem Jahr 1848 geschult, zum Theil erst seit dieser Zeit ins öf¬<lb/>
fentliche Leben eingetreten sind. Wenige nur der altliberalen Partei angehörig.<lb/>
Indem sich die Reihen allmälig füllen, gewinnen wir Zeit, uns die Gruppen,<lb/>
die sich im Vordergrund bewegen, näher zu betrachten. Die Ehre des Vorsitzes<lb/>
ist heute jenem silberhaarigen Manne zugedacht, dessen Persönlichkeit ebenso ver¬<lb/>
söhnlich ist, als er im Kampf für die Volksrechte sich hartnäckig und unerbittlich<lb/>
gezeigt hat, Gottlob Tafel, vor Zeiten ein Opfer der Burschenschaftsverfolgungen,<lb/>
dann lange Jahre in den Reihen der würtembergischen Opposition, wie in<lb/>
Frankfurt auf den Bänken der Linken, eine weithin unter den Gesinnungs¬<lb/>
genossen bekannte Persönlichkeit durch räh gastliche Haus, das jederzeit den<lb/>
politischen Freunden geöffnet ist; ihm am nächsten stehend an politischer Ge¬<lb/>
sinnung Nödinger, der wie er in den Gefängnissen des Hohenasbcrg den ersten<lb/>
Traum der deutschen Einheit verbüßte und ebenso in vieljähriger parlamenta¬<lb/>
rischer Laufbahn sein unzertrennlicher Gefährte war; dann Fetzer, der vor zwei<lb/>
Jahren erklärte, an dem Tage, da der Nativnalverein die Reichsverfassung aufs<lb/>
Panier schreibe, werde er beitreten, und Wort hielt, ein lebendiges Nachschlage-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0016] in Schwaben Ausdruck zu geben, der Hauptgrund, warum von Seite der national Gesinnten und namentlich auch von Seite der Landbevölkerung die Berufung einer Landesversammlung verlangt wurde. Auch dies ist nun freilich wieder specifisch schwäbisch, und so zu sagen lands¬ mannschaftlich, daß eine Meinungsverschiedenheit zwischen den Führern dem Lande selbst zur Entscheidung vorgelegt, daß der Streit zwischen Groß- und Kleindcutschland gleichsam zu einer Landesangclegenheit gemacht wurde. Denn an eine eigentliche Unterwerfung der Minderheit unter die Mehrheit war ja doch in keinem Falle zu denken. Allein die Traditionen jener Zeit, wo die demokratische Partei wirtlich noch ihre geschlossene Einheit bewahrte, lassen sich nicht so leicht beseitigen. und die Nachwirkung derselben hat in jedem Falle das Gute, daß wenn eine Schwenkung unter diesen Umständen sich nur äußerst schwerfällig vollzieht, sie dafür, wenn sie vollzogen ist, um so mehr zu bedeuten hat. Denn bei der Zähigkeit, mit welcher die demokratischen Elemente zu¬ sammenhalten, wird doch allmälig nach dem Gesetz der Schwere die ganze Masse dem Punkte sich zu bewegen, wo einmal die Mehrheit Fuß gefaßt hat. Zugleich erhält eine solche Debatte einen gewissen dramatischen Reiz. Es ist eine wirkliche Debatte, öffentlich vor dem ganzen Lande messen sich die Kräfte von hüben und drüben, und in diesem offenen Kampfe wird ebenso die unter¬ liegende Partei der Schranken sich bewußt, welche ihr innerlich und äußerlich gezogen sind, als die siegreiche zu gesteigertem Selbstgefühl angeregt werden muß. So trafen denn am 14. December Vormittags aus verschiedenen Gegenden des Landes dreihundert Männer in Eßlingen ein, unter ihnen der Kern der schwäbischen Demokratie, Männer, die zum Theil in den parlamentarischen Kämpfen vor dem Jahr 1848 geschult, zum Theil erst seit dieser Zeit ins öf¬ fentliche Leben eingetreten sind. Wenige nur der altliberalen Partei angehörig. Indem sich die Reihen allmälig füllen, gewinnen wir Zeit, uns die Gruppen, die sich im Vordergrund bewegen, näher zu betrachten. Die Ehre des Vorsitzes ist heute jenem silberhaarigen Manne zugedacht, dessen Persönlichkeit ebenso ver¬ söhnlich ist, als er im Kampf für die Volksrechte sich hartnäckig und unerbittlich gezeigt hat, Gottlob Tafel, vor Zeiten ein Opfer der Burschenschaftsverfolgungen, dann lange Jahre in den Reihen der würtembergischen Opposition, wie in Frankfurt auf den Bänken der Linken, eine weithin unter den Gesinnungs¬ genossen bekannte Persönlichkeit durch räh gastliche Haus, das jederzeit den politischen Freunden geöffnet ist; ihm am nächsten stehend an politischer Ge¬ sinnung Nödinger, der wie er in den Gefängnissen des Hohenasbcrg den ersten Traum der deutschen Einheit verbüßte und ebenso in vieljähriger parlamenta¬ rischer Laufbahn sein unzertrennlicher Gefährte war; dann Fetzer, der vor zwei Jahren erklärte, an dem Tage, da der Nativnalverein die Reichsverfassung aufs Panier schreibe, werde er beitreten, und Wort hielt, ein lebendiges Nachschlage-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/16
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/16>, abgerufen am 28.04.2024.