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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

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Hirschen im Hellefelder Forste erzählt zu haben. Freuen^ wir uns, daß der deutsche
Name bei uns noch andre und Gott Lob bessere Vertreter hat als diese Bayern,
und daß der fürstliche Garten in Krotoschin nicht viele seines Gleichen findet. Die
alte polnische Stadt ist schlecht gebaut, weite Straßen, niedrige Häuser auf nach¬
mals trocken gelegten Sümpfen, ohne Plan und Ordnung, "Dunker", "Plane"
u. f. f. find die Namen der weitgedehnten polnischen Stadttheile, wo sich viel
Elend birgt, wo wie in den großen Städten zwei Familien ein Zimmer theilen
und woher sich bei Suppenvertheilungen u. tgi. die Armen zu Hunderten
ergießen, denn in Krotoschin ist fast aller Wohlstand bei den Juden und bei
den Deutschen. Die westliche Seite der Stadt ist wohlgebaut, an Gärten
reich und hat an ihrer, der Dresdner Frauenkirche nachgebildeten, evangelischen
Kirche einen schönen Schmuck, während die katholische Kirche versteckt und schwer
zugänglich ist. Der eigentliche Stolz der Stadt sind ihre Schulen; die städtische
höhere Töchterschule ist eine der besten in der Provinz. Das Gymnasium ist
langsam und sicher aus einer Mittelschule herausgewachsen, welche Rector
Monski zu einer tüchtigen Realschule (1848) erhob. Director Gladisch, ein
Mann, der mit stillem Fleiße das Gebiet der Geschichtsphilosophie nicht ohne
Erfolge bebaut hat, verwandelte die Realschule in den Jahren 1854 bis 1857
in ein Gymnasium. Der ruheliebende Mann ließ es über sich ergehen, im
Interesse seiner Sache selbst Landbote zu werden.

Jüngst gab auch dies Gymnasium den Polen Anlaß zur Klage. Rasch
nach einander war die Stelle des polnischen Sprachlehrers zweimal erledigt
worden. Es war schwer einen dritten Mann zu finden. In dieser Verlegen¬
heit wandte man sich an den katholischen Hülfsgeistlichen und Gymnasial-
Neligivnslehrer. Dieser stellte außer einer enormen Honvrarforderung, in die
man zu willigen geneigt war, die Bedingung, daß der dritte Theil des zur
Vermehrung der Bibliothek festgesetzten Betrages zur Anschaffung polnisch
geschriebener Bücher nach seiner Auswahl verwandt würde. Das war unmög¬
lich, und es blieb kein anderer Rath, als den polnischen Unterricht (wie dem
französischen ja auch geschieht) einem deutschen Manne zu übertragen, der ihn
gewissenhaft ertheilt. . Kaum aber hatte der ihn begonnen, als die polnischen
Blätter von Klagen über diese neue Verletzung ihrer Rechte, dieses Attentat
wider ihre Sprache und ihren Glauben widerhallten.

Weiter gen Norden! Kv^min empfängt uns mit seinen 3,300 Seelen;
es ist schlecht gebaut; aber ein Knotenpunkt von vier Chausseen, Sitz einer
Gefangenanstalt und zu dem eines Schullehrcrseminars bestimmt, hat es Zukunft.
Das Seminar soll in das alte Sapichaschloß kommen, wo sich eine Geschichte
zutrug, welche das Gegenstück zu der Mühle von Sanssouci bildet. Fürst
Marcin Sapieha, ein Glied jener Familie, die einst in Eroßpvlen die reichste
und angesehenste war, und die bei uus nur noch in dem Namen des Sapieha-


Hirschen im Hellefelder Forste erzählt zu haben. Freuen^ wir uns, daß der deutsche
Name bei uns noch andre und Gott Lob bessere Vertreter hat als diese Bayern,
und daß der fürstliche Garten in Krotoschin nicht viele seines Gleichen findet. Die
alte polnische Stadt ist schlecht gebaut, weite Straßen, niedrige Häuser auf nach¬
mals trocken gelegten Sümpfen, ohne Plan und Ordnung, „Dunker", „Plane"
u. f. f. find die Namen der weitgedehnten polnischen Stadttheile, wo sich viel
Elend birgt, wo wie in den großen Städten zwei Familien ein Zimmer theilen
und woher sich bei Suppenvertheilungen u. tgi. die Armen zu Hunderten
ergießen, denn in Krotoschin ist fast aller Wohlstand bei den Juden und bei
den Deutschen. Die westliche Seite der Stadt ist wohlgebaut, an Gärten
reich und hat an ihrer, der Dresdner Frauenkirche nachgebildeten, evangelischen
Kirche einen schönen Schmuck, während die katholische Kirche versteckt und schwer
zugänglich ist. Der eigentliche Stolz der Stadt sind ihre Schulen; die städtische
höhere Töchterschule ist eine der besten in der Provinz. Das Gymnasium ist
langsam und sicher aus einer Mittelschule herausgewachsen, welche Rector
Monski zu einer tüchtigen Realschule (1848) erhob. Director Gladisch, ein
Mann, der mit stillem Fleiße das Gebiet der Geschichtsphilosophie nicht ohne
Erfolge bebaut hat, verwandelte die Realschule in den Jahren 1854 bis 1857
in ein Gymnasium. Der ruheliebende Mann ließ es über sich ergehen, im
Interesse seiner Sache selbst Landbote zu werden.

Jüngst gab auch dies Gymnasium den Polen Anlaß zur Klage. Rasch
nach einander war die Stelle des polnischen Sprachlehrers zweimal erledigt
worden. Es war schwer einen dritten Mann zu finden. In dieser Verlegen¬
heit wandte man sich an den katholischen Hülfsgeistlichen und Gymnasial-
Neligivnslehrer. Dieser stellte außer einer enormen Honvrarforderung, in die
man zu willigen geneigt war, die Bedingung, daß der dritte Theil des zur
Vermehrung der Bibliothek festgesetzten Betrages zur Anschaffung polnisch
geschriebener Bücher nach seiner Auswahl verwandt würde. Das war unmög¬
lich, und es blieb kein anderer Rath, als den polnischen Unterricht (wie dem
französischen ja auch geschieht) einem deutschen Manne zu übertragen, der ihn
gewissenhaft ertheilt. . Kaum aber hatte der ihn begonnen, als die polnischen
Blätter von Klagen über diese neue Verletzung ihrer Rechte, dieses Attentat
wider ihre Sprache und ihren Glauben widerhallten.

Weiter gen Norden! Kv^min empfängt uns mit seinen 3,300 Seelen;
es ist schlecht gebaut; aber ein Knotenpunkt von vier Chausseen, Sitz einer
Gefangenanstalt und zu dem eines Schullehrcrseminars bestimmt, hat es Zukunft.
Das Seminar soll in das alte Sapichaschloß kommen, wo sich eine Geschichte
zutrug, welche das Gegenstück zu der Mühle von Sanssouci bildet. Fürst
Marcin Sapieha, ein Glied jener Familie, die einst in Eroßpvlen die reichste
und angesehenste war, und die bei uus nur noch in dem Namen des Sapieha-


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[0170] Hirschen im Hellefelder Forste erzählt zu haben. Freuen^ wir uns, daß der deutsche Name bei uns noch andre und Gott Lob bessere Vertreter hat als diese Bayern, und daß der fürstliche Garten in Krotoschin nicht viele seines Gleichen findet. Die alte polnische Stadt ist schlecht gebaut, weite Straßen, niedrige Häuser auf nach¬ mals trocken gelegten Sümpfen, ohne Plan und Ordnung, „Dunker", „Plane" u. f. f. find die Namen der weitgedehnten polnischen Stadttheile, wo sich viel Elend birgt, wo wie in den großen Städten zwei Familien ein Zimmer theilen und woher sich bei Suppenvertheilungen u. tgi. die Armen zu Hunderten ergießen, denn in Krotoschin ist fast aller Wohlstand bei den Juden und bei den Deutschen. Die westliche Seite der Stadt ist wohlgebaut, an Gärten reich und hat an ihrer, der Dresdner Frauenkirche nachgebildeten, evangelischen Kirche einen schönen Schmuck, während die katholische Kirche versteckt und schwer zugänglich ist. Der eigentliche Stolz der Stadt sind ihre Schulen; die städtische höhere Töchterschule ist eine der besten in der Provinz. Das Gymnasium ist langsam und sicher aus einer Mittelschule herausgewachsen, welche Rector Monski zu einer tüchtigen Realschule (1848) erhob. Director Gladisch, ein Mann, der mit stillem Fleiße das Gebiet der Geschichtsphilosophie nicht ohne Erfolge bebaut hat, verwandelte die Realschule in den Jahren 1854 bis 1857 in ein Gymnasium. Der ruheliebende Mann ließ es über sich ergehen, im Interesse seiner Sache selbst Landbote zu werden. Jüngst gab auch dies Gymnasium den Polen Anlaß zur Klage. Rasch nach einander war die Stelle des polnischen Sprachlehrers zweimal erledigt worden. Es war schwer einen dritten Mann zu finden. In dieser Verlegen¬ heit wandte man sich an den katholischen Hülfsgeistlichen und Gymnasial- Neligivnslehrer. Dieser stellte außer einer enormen Honvrarforderung, in die man zu willigen geneigt war, die Bedingung, daß der dritte Theil des zur Vermehrung der Bibliothek festgesetzten Betrages zur Anschaffung polnisch geschriebener Bücher nach seiner Auswahl verwandt würde. Das war unmög¬ lich, und es blieb kein anderer Rath, als den polnischen Unterricht (wie dem französischen ja auch geschieht) einem deutschen Manne zu übertragen, der ihn gewissenhaft ertheilt. . Kaum aber hatte der ihn begonnen, als die polnischen Blätter von Klagen über diese neue Verletzung ihrer Rechte, dieses Attentat wider ihre Sprache und ihren Glauben widerhallten. Weiter gen Norden! Kv^min empfängt uns mit seinen 3,300 Seelen; es ist schlecht gebaut; aber ein Knotenpunkt von vier Chausseen, Sitz einer Gefangenanstalt und zu dem eines Schullehrcrseminars bestimmt, hat es Zukunft. Das Seminar soll in das alte Sapichaschloß kommen, wo sich eine Geschichte zutrug, welche das Gegenstück zu der Mühle von Sanssouci bildet. Fürst Marcin Sapieha, ein Glied jener Familie, die einst in Eroßpvlen die reichste und angesehenste war, und die bei uus nur noch in dem Namen des Sapieha-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/170>, abgerufen am 04.05.2024.