Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Küche, Keller, Stall nöthig wird. Ilasäulc (Diener), pisar-i (Schreiber), Ku-
ekar/ (Koch), Jo>öl<ze (Jäger), ogroÄiüK (Gärtner), stÄirgret. (Kutscher), der
ganze Hofstaat (eMliM) ist natürlich nicht in je einem Manne vertreten; vielmehr
haben die meisten von diesen ihr eigen Hauswesen und manche von ihnen sogar
noch ihr besonderes Gesinde. Das Alles zehrte an dem einen Manne. Ich sing an
zu begreifen, daß auch eine tägliche Einnahme von zweihundert Thaler für gewisse
Ansprüche zu gering sein könne. Sinnend blickte ich nach der in verschiedenen
Farben glänzenden Krystalldecke des Saales, durch welche das Licht hineinfiel.

Was hast Du?*) fragte mich der Graf. -- Ich überlege mir, gnädiger Herr,
ob ich Ihre Herrschaft annehmen würde, wenn ich alle Lasten derselben tragen
sollte. -- Schwachkopf, Murrkopf, man muß leben und genießen.

Ich war über Nacht geblieben und früh auf, um den Hof, den schönen
Garten zu besehen, indem etwa eines der Kinder verdrossen mit dem noch
verdrossenen Lehrer promenirte. Der Park ist eine Provinzialberühmtheit und
wurde früher meilenweit aufgesucht. Der Graf und seine Gäste hatten keine
Freude an ihm. Sie hatten bis tief in die Nacht Karten gespielt und den
Morgen verschlafen. Es sah noch um zehn Uhr überall wüst aus. Gegen
Mittag spielten und tranken sie wieder. Mir war wohl, als ich das prächtige
Schloß im Rücken hatte."

So sprach der Alte. Und nun möge dem trüben Bilde ein heiteres fol¬
gen. Frau Kukasinska, die Gattin eines früheren Amtmannes, der sich ein
kleines Gütchen erworben, hat eben ein sehr günstiges Geschäft gemacht. Sie
hat dem Herschel 30 Garnier. Spiritus verkauft, die sie stark mit Wasser ver¬
mischt hatte. Da aber die Gesäße mit "Alkoran", so nennt sie den Alkohol,
aufgeschmiert waren, hatte der "Jude" nichts gemerkt. Auf Grund dessen schmei¬
chelt sie ihrem Manne den Ankauf einer Kutsche ab, ohne deren Besitz der Pole
sich für ein gar zu geringes Geschöpf ansehn würde. Am ersten Weihnachts¬
tage fährt Frau Kukasinska darin zur Kirche. Als Haiduk wird Jürge der
Kühjunge ausgeputzt, indem man ihm die Kleider anzieht, die der Krüger
(Schänkwirth) einem betrunkenen Herumtreiber abgenommen hat. Unter dem
lauten Jubel ihrer Leute und des ganzen Dorfes beginnt die Reise; unter
noch lauterem Höhnen und Schimpfen der Kirchgänger erreicht sie ihre End¬
schaft. Warum? Mag es August Wilkoüski, dessen "Schmieralien" (Mave^ i
KamoIKi) ich den Schwank entnommen habe, selbst berieten. Als man den
Jürge zum Lakaiendienst ankleidete, hatte man ihm eine Weste und einen Frack
angezogen und ein Kleidungsstück, zu welchem der Schneider zwei Ellen Tuch



Der Pole hat nur zwei Anreden - das Du und das ?an mit der ö. Person, wie un¬
ser: Herr Präsident haben u, s, w.; deshalb braucht der Pole das Du noch, wo es der hoch,
wüthigste Deutsche nicht mehr wagen dürfte.
Greiijbotctt I. 1S6S, 22

Küche, Keller, Stall nöthig wird. Ilasäulc (Diener), pisar-i (Schreiber), Ku-
ekar/ (Koch), Jo>öl<ze (Jäger), ogroÄiüK (Gärtner), stÄirgret. (Kutscher), der
ganze Hofstaat (eMliM) ist natürlich nicht in je einem Manne vertreten; vielmehr
haben die meisten von diesen ihr eigen Hauswesen und manche von ihnen sogar
noch ihr besonderes Gesinde. Das Alles zehrte an dem einen Manne. Ich sing an
zu begreifen, daß auch eine tägliche Einnahme von zweihundert Thaler für gewisse
Ansprüche zu gering sein könne. Sinnend blickte ich nach der in verschiedenen
Farben glänzenden Krystalldecke des Saales, durch welche das Licht hineinfiel.

Was hast Du?*) fragte mich der Graf. — Ich überlege mir, gnädiger Herr,
ob ich Ihre Herrschaft annehmen würde, wenn ich alle Lasten derselben tragen
sollte. — Schwachkopf, Murrkopf, man muß leben und genießen.

Ich war über Nacht geblieben und früh auf, um den Hof, den schönen
Garten zu besehen, indem etwa eines der Kinder verdrossen mit dem noch
verdrossenen Lehrer promenirte. Der Park ist eine Provinzialberühmtheit und
wurde früher meilenweit aufgesucht. Der Graf und seine Gäste hatten keine
Freude an ihm. Sie hatten bis tief in die Nacht Karten gespielt und den
Morgen verschlafen. Es sah noch um zehn Uhr überall wüst aus. Gegen
Mittag spielten und tranken sie wieder. Mir war wohl, als ich das prächtige
Schloß im Rücken hatte."

So sprach der Alte. Und nun möge dem trüben Bilde ein heiteres fol¬
gen. Frau Kukasinska, die Gattin eines früheren Amtmannes, der sich ein
kleines Gütchen erworben, hat eben ein sehr günstiges Geschäft gemacht. Sie
hat dem Herschel 30 Garnier. Spiritus verkauft, die sie stark mit Wasser ver¬
mischt hatte. Da aber die Gesäße mit „Alkoran", so nennt sie den Alkohol,
aufgeschmiert waren, hatte der „Jude" nichts gemerkt. Auf Grund dessen schmei¬
chelt sie ihrem Manne den Ankauf einer Kutsche ab, ohne deren Besitz der Pole
sich für ein gar zu geringes Geschöpf ansehn würde. Am ersten Weihnachts¬
tage fährt Frau Kukasinska darin zur Kirche. Als Haiduk wird Jürge der
Kühjunge ausgeputzt, indem man ihm die Kleider anzieht, die der Krüger
(Schänkwirth) einem betrunkenen Herumtreiber abgenommen hat. Unter dem
lauten Jubel ihrer Leute und des ganzen Dorfes beginnt die Reise; unter
noch lauterem Höhnen und Schimpfen der Kirchgänger erreicht sie ihre End¬
schaft. Warum? Mag es August Wilkoüski, dessen „Schmieralien" (Mave^ i
KamoIKi) ich den Schwank entnommen habe, selbst berieten. Als man den
Jürge zum Lakaiendienst ankleidete, hatte man ihm eine Weste und einen Frack
angezogen und ein Kleidungsstück, zu welchem der Schneider zwei Ellen Tuch



Der Pole hat nur zwei Anreden - das Du und das ?an mit der ö. Person, wie un¬
ser: Herr Präsident haben u, s, w.; deshalb braucht der Pole das Du noch, wo es der hoch,
wüthigste Deutsche nicht mehr wagen dürfte.
Greiijbotctt I. 1S6S, 22
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0177" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/187671"/>
            <p xml:id="ID_708" prev="#ID_707"> Küche, Keller, Stall nöthig wird. Ilasäulc (Diener), pisar-i (Schreiber), Ku-<lb/>
ekar/ (Koch), Jo&gt;öl&lt;ze (Jäger), ogroÄiüK (Gärtner), stÄirgret. (Kutscher), der<lb/>
ganze Hofstaat (eMliM) ist natürlich nicht in je einem Manne vertreten; vielmehr<lb/>
haben die meisten von diesen ihr eigen Hauswesen und manche von ihnen sogar<lb/>
noch ihr besonderes Gesinde. Das Alles zehrte an dem einen Manne. Ich sing an<lb/>
zu begreifen, daß auch eine tägliche Einnahme von zweihundert Thaler für gewisse<lb/>
Ansprüche zu gering sein könne. Sinnend blickte ich nach der in verschiedenen<lb/>
Farben glänzenden Krystalldecke des Saales, durch welche das Licht hineinfiel.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_709"> Was hast Du?*) fragte mich der Graf. &#x2014; Ich überlege mir, gnädiger Herr,<lb/>
ob ich Ihre Herrschaft annehmen würde, wenn ich alle Lasten derselben tragen<lb/>
sollte. &#x2014; Schwachkopf, Murrkopf, man muß leben und genießen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_710"> Ich war über Nacht geblieben und früh auf, um den Hof, den schönen<lb/>
Garten zu besehen, indem etwa eines der Kinder verdrossen mit dem noch<lb/>
verdrossenen Lehrer promenirte. Der Park ist eine Provinzialberühmtheit und<lb/>
wurde früher meilenweit aufgesucht. Der Graf und seine Gäste hatten keine<lb/>
Freude an ihm. Sie hatten bis tief in die Nacht Karten gespielt und den<lb/>
Morgen verschlafen. Es sah noch um zehn Uhr überall wüst aus. Gegen<lb/>
Mittag spielten und tranken sie wieder. Mir war wohl, als ich das prächtige<lb/>
Schloß im Rücken hatte."</p><lb/>
            <p xml:id="ID_711" next="#ID_712"> So sprach der Alte. Und nun möge dem trüben Bilde ein heiteres fol¬<lb/>
gen. Frau Kukasinska, die Gattin eines früheren Amtmannes, der sich ein<lb/>
kleines Gütchen erworben, hat eben ein sehr günstiges Geschäft gemacht. Sie<lb/>
hat dem Herschel 30 Garnier. Spiritus verkauft, die sie stark mit Wasser ver¬<lb/>
mischt hatte. Da aber die Gesäße mit &#x201E;Alkoran", so nennt sie den Alkohol,<lb/>
aufgeschmiert waren, hatte der &#x201E;Jude" nichts gemerkt. Auf Grund dessen schmei¬<lb/>
chelt sie ihrem Manne den Ankauf einer Kutsche ab, ohne deren Besitz der Pole<lb/>
sich für ein gar zu geringes Geschöpf ansehn würde. Am ersten Weihnachts¬<lb/>
tage fährt Frau Kukasinska darin zur Kirche. Als Haiduk wird Jürge der<lb/>
Kühjunge ausgeputzt, indem man ihm die Kleider anzieht, die der Krüger<lb/>
(Schänkwirth) einem betrunkenen Herumtreiber abgenommen hat. Unter dem<lb/>
lauten Jubel ihrer Leute und des ganzen Dorfes beginnt die Reise; unter<lb/>
noch lauterem Höhnen und Schimpfen der Kirchgänger erreicht sie ihre End¬<lb/>
schaft. Warum? Mag es August Wilkoüski, dessen &#x201E;Schmieralien" (Mave^ i<lb/>
KamoIKi) ich den Schwank entnommen habe, selbst berieten. Als man den<lb/>
Jürge zum Lakaiendienst ankleidete, hatte man ihm eine Weste und einen Frack<lb/>
angezogen und ein Kleidungsstück, zu welchem der Schneider zwei Ellen Tuch</p><lb/>
            <note xml:id="FID_10" place="foot"> Der Pole hat nur zwei Anreden - das Du und das ?an mit der ö. Person, wie un¬<lb/>
ser: Herr Präsident haben u, s, w.; deshalb braucht der Pole das Du noch, wo es der hoch,<lb/>
wüthigste Deutsche nicht mehr wagen dürfte.</note><lb/>
            <fw type="sig" place="bottom"> Greiijbotctt I. 1S6S, 22</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0177] Küche, Keller, Stall nöthig wird. Ilasäulc (Diener), pisar-i (Schreiber), Ku- ekar/ (Koch), Jo>öl<ze (Jäger), ogroÄiüK (Gärtner), stÄirgret. (Kutscher), der ganze Hofstaat (eMliM) ist natürlich nicht in je einem Manne vertreten; vielmehr haben die meisten von diesen ihr eigen Hauswesen und manche von ihnen sogar noch ihr besonderes Gesinde. Das Alles zehrte an dem einen Manne. Ich sing an zu begreifen, daß auch eine tägliche Einnahme von zweihundert Thaler für gewisse Ansprüche zu gering sein könne. Sinnend blickte ich nach der in verschiedenen Farben glänzenden Krystalldecke des Saales, durch welche das Licht hineinfiel. Was hast Du?*) fragte mich der Graf. — Ich überlege mir, gnädiger Herr, ob ich Ihre Herrschaft annehmen würde, wenn ich alle Lasten derselben tragen sollte. — Schwachkopf, Murrkopf, man muß leben und genießen. Ich war über Nacht geblieben und früh auf, um den Hof, den schönen Garten zu besehen, indem etwa eines der Kinder verdrossen mit dem noch verdrossenen Lehrer promenirte. Der Park ist eine Provinzialberühmtheit und wurde früher meilenweit aufgesucht. Der Graf und seine Gäste hatten keine Freude an ihm. Sie hatten bis tief in die Nacht Karten gespielt und den Morgen verschlafen. Es sah noch um zehn Uhr überall wüst aus. Gegen Mittag spielten und tranken sie wieder. Mir war wohl, als ich das prächtige Schloß im Rücken hatte." So sprach der Alte. Und nun möge dem trüben Bilde ein heiteres fol¬ gen. Frau Kukasinska, die Gattin eines früheren Amtmannes, der sich ein kleines Gütchen erworben, hat eben ein sehr günstiges Geschäft gemacht. Sie hat dem Herschel 30 Garnier. Spiritus verkauft, die sie stark mit Wasser ver¬ mischt hatte. Da aber die Gesäße mit „Alkoran", so nennt sie den Alkohol, aufgeschmiert waren, hatte der „Jude" nichts gemerkt. Auf Grund dessen schmei¬ chelt sie ihrem Manne den Ankauf einer Kutsche ab, ohne deren Besitz der Pole sich für ein gar zu geringes Geschöpf ansehn würde. Am ersten Weihnachts¬ tage fährt Frau Kukasinska darin zur Kirche. Als Haiduk wird Jürge der Kühjunge ausgeputzt, indem man ihm die Kleider anzieht, die der Krüger (Schänkwirth) einem betrunkenen Herumtreiber abgenommen hat. Unter dem lauten Jubel ihrer Leute und des ganzen Dorfes beginnt die Reise; unter noch lauterem Höhnen und Schimpfen der Kirchgänger erreicht sie ihre End¬ schaft. Warum? Mag es August Wilkoüski, dessen „Schmieralien" (Mave^ i KamoIKi) ich den Schwank entnommen habe, selbst berieten. Als man den Jürge zum Lakaiendienst ankleidete, hatte man ihm eine Weste und einen Frack angezogen und ein Kleidungsstück, zu welchem der Schneider zwei Ellen Tuch Der Pole hat nur zwei Anreden - das Du und das ?an mit der ö. Person, wie un¬ ser: Herr Präsident haben u, s, w.; deshalb braucht der Pole das Du noch, wo es der hoch, wüthigste Deutsche nicht mehr wagen dürfte. Greiijbotctt I. 1S6S, 22

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/177
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/177>, abgerufen am 15.05.2024.