Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Unter diesen Umständen, nachdem wir seit dritthalb Monaten hier tagen,
und nachdem sieben Monate seit der landesherrlichen Verkündigung verflossen
sind, ist der Antrag des Abgeordneten Oetkcr, die Wiederherstellung des gestörten
Rechtszustandes betreffend, völlig gerechtfertigt.

Der Verfassungsausschuß hat denselben geprüft und ist hinweggeschritten
über jeden Principienstreit; er hat sich nur an die Sache gehalten; gerade auf
das Ziel zugehend hat er diejenigen Bestimmungen bezeichnet, welche noth¬
wendigerweise und vor allen Dingen entfernt werden müssen, um unser Ver¬
fassungsleben wieder wach zu rufen, und darauf seinen Antrag v orerst beschränkt.

Dieser Antrag lautet, in etwas veränderter Fassung, wie folgt:

Die hohe Ständeversammlung wolle die hohe Staatsregierung dringend
um die formelle Beseitigung aller am Schlüsse des Berichts erwähnten, im
Gesetzblatt befindlichen Bestimmungen und um jede thunliche Beschleunigung
der entsprechenden Mittheilungen oder Vorlagen ersuchen.

Indem die hohe Ständeversammlung diesem Antrage ihre Zustimmung
ertheilt, liefert dieselbe wiederholt den Beweis, daß sie unerschütterlich am Rechte
festhält, dabei aber nie den Weg der Versöhnung, des Friedens und der
Mäßigung verläßt.

Mit diesen Mitteln, mit diesen Waffen kommen wir hoffentlich zum
Ziele."

Wie lange soll dieser Zustand fortdauern; wer ist berufen einzuschreiten?
Abgesehen davon, daß dem kurhessischen Volte der dünne Faden seiner viel¬
geprüften und vielgerühmten Geduld endlich reißen muß; und abgesehen von
der Möglichkeit einer formal immerhin nicht ganz gerechtfertigten Einmischung
Preußens aus eigener Machtvollkommenheit, scheinen nur zwei Wege offen zu
stehen: ein Einschreiten des Bundestages, und ein Einschreiten der Agnaten.
Allerdings können auch die Stände in dieser Beziehung eine Thätigkeit ent¬
falten; aber doch nur eine mittelbare, indem sie den Bundestag oder die Agnaten
anrufen. Der Bundestag liegt jedoch im Argen, und von ihm ist nichts zu
erwarten. Es bleiben also nur die Agnaten, übrig. Sie haben nicht allein
das Recht einzuschreiten, sondern auch die Pflicht. Die Agnaten müssen sich
die Frage vorlegen, ob nicht die dermaligen Zustände diese Pflicht zu einer un¬
abweisbaren machen. Aber wer sind die Agnaten? Im Lande weiß man von
denselben nicht viel mehr, als was der Gothaer Kalender berichtet. Was sonst
noch verlautet, klingt auch nicht erbaulich. Wohl möglich, daß absichtliche
Uebertreibungen mit unterlaufen. Aber neuerdings ist doch bekannt geworden,
daß für einen demnächst zur Erbfolge berufenen Prinzen ein Erzieher gewählt
worden ist, welcher der im Lande verhaßten und verachteten Muckcrpartei an¬
gehört. Es ist dieses geschehen durch Vermittelung des Herrn v. Bülow,
des bekannten dänischen Bundestagsgesandter in Frankfurt.


Ärcnzboten I. 1863. 25

Unter diesen Umständen, nachdem wir seit dritthalb Monaten hier tagen,
und nachdem sieben Monate seit der landesherrlichen Verkündigung verflossen
sind, ist der Antrag des Abgeordneten Oetkcr, die Wiederherstellung des gestörten
Rechtszustandes betreffend, völlig gerechtfertigt.

Der Verfassungsausschuß hat denselben geprüft und ist hinweggeschritten
über jeden Principienstreit; er hat sich nur an die Sache gehalten; gerade auf
das Ziel zugehend hat er diejenigen Bestimmungen bezeichnet, welche noth¬
wendigerweise und vor allen Dingen entfernt werden müssen, um unser Ver¬
fassungsleben wieder wach zu rufen, und darauf seinen Antrag v orerst beschränkt.

Dieser Antrag lautet, in etwas veränderter Fassung, wie folgt:

Die hohe Ständeversammlung wolle die hohe Staatsregierung dringend
um die formelle Beseitigung aller am Schlüsse des Berichts erwähnten, im
Gesetzblatt befindlichen Bestimmungen und um jede thunliche Beschleunigung
der entsprechenden Mittheilungen oder Vorlagen ersuchen.

Indem die hohe Ständeversammlung diesem Antrage ihre Zustimmung
ertheilt, liefert dieselbe wiederholt den Beweis, daß sie unerschütterlich am Rechte
festhält, dabei aber nie den Weg der Versöhnung, des Friedens und der
Mäßigung verläßt.

Mit diesen Mitteln, mit diesen Waffen kommen wir hoffentlich zum
Ziele."

Wie lange soll dieser Zustand fortdauern; wer ist berufen einzuschreiten?
Abgesehen davon, daß dem kurhessischen Volte der dünne Faden seiner viel¬
geprüften und vielgerühmten Geduld endlich reißen muß; und abgesehen von
der Möglichkeit einer formal immerhin nicht ganz gerechtfertigten Einmischung
Preußens aus eigener Machtvollkommenheit, scheinen nur zwei Wege offen zu
stehen: ein Einschreiten des Bundestages, und ein Einschreiten der Agnaten.
Allerdings können auch die Stände in dieser Beziehung eine Thätigkeit ent¬
falten; aber doch nur eine mittelbare, indem sie den Bundestag oder die Agnaten
anrufen. Der Bundestag liegt jedoch im Argen, und von ihm ist nichts zu
erwarten. Es bleiben also nur die Agnaten, übrig. Sie haben nicht allein
das Recht einzuschreiten, sondern auch die Pflicht. Die Agnaten müssen sich
die Frage vorlegen, ob nicht die dermaligen Zustände diese Pflicht zu einer un¬
abweisbaren machen. Aber wer sind die Agnaten? Im Lande weiß man von
denselben nicht viel mehr, als was der Gothaer Kalender berichtet. Was sonst
noch verlautet, klingt auch nicht erbaulich. Wohl möglich, daß absichtliche
Uebertreibungen mit unterlaufen. Aber neuerdings ist doch bekannt geworden,
daß für einen demnächst zur Erbfolge berufenen Prinzen ein Erzieher gewählt
worden ist, welcher der im Lande verhaßten und verachteten Muckcrpartei an¬
gehört. Es ist dieses geschehen durch Vermittelung des Herrn v. Bülow,
des bekannten dänischen Bundestagsgesandter in Frankfurt.


Ärcnzboten I. 1863. 25
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0201" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/187695"/>
            <p xml:id="ID_795"> Unter diesen Umständen, nachdem wir seit dritthalb Monaten hier tagen,<lb/>
und nachdem sieben Monate seit der landesherrlichen Verkündigung verflossen<lb/>
sind, ist der Antrag des Abgeordneten Oetkcr, die Wiederherstellung des gestörten<lb/>
Rechtszustandes betreffend, völlig gerechtfertigt.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_796"> Der Verfassungsausschuß hat denselben geprüft und ist hinweggeschritten<lb/>
über jeden Principienstreit; er hat sich nur an die Sache gehalten; gerade auf<lb/>
das Ziel zugehend hat er diejenigen Bestimmungen bezeichnet, welche noth¬<lb/>
wendigerweise und vor allen Dingen entfernt werden müssen, um unser Ver¬<lb/>
fassungsleben wieder wach zu rufen, und darauf seinen Antrag v orerst beschränkt.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_797"> Dieser Antrag lautet, in etwas veränderter Fassung, wie folgt:</p><lb/>
            <p xml:id="ID_798"> Die hohe Ständeversammlung wolle die hohe Staatsregierung dringend<lb/>
um die formelle Beseitigung aller am Schlüsse des Berichts erwähnten, im<lb/>
Gesetzblatt befindlichen Bestimmungen und um jede thunliche Beschleunigung<lb/>
der entsprechenden Mittheilungen oder Vorlagen ersuchen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_799"> Indem die hohe Ständeversammlung diesem Antrage ihre Zustimmung<lb/>
ertheilt, liefert dieselbe wiederholt den Beweis, daß sie unerschütterlich am Rechte<lb/>
festhält, dabei aber nie den Weg der Versöhnung, des Friedens und der<lb/>
Mäßigung verläßt.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_800"> Mit diesen Mitteln, mit diesen Waffen kommen wir hoffentlich zum<lb/>
Ziele."</p><lb/>
            <p xml:id="ID_801"> Wie lange soll dieser Zustand fortdauern; wer ist berufen einzuschreiten?<lb/>
Abgesehen davon, daß dem kurhessischen Volte der dünne Faden seiner viel¬<lb/>
geprüften und vielgerühmten Geduld endlich reißen muß; und abgesehen von<lb/>
der Möglichkeit einer formal immerhin nicht ganz gerechtfertigten Einmischung<lb/>
Preußens aus eigener Machtvollkommenheit, scheinen nur zwei Wege offen zu<lb/>
stehen: ein Einschreiten des Bundestages, und ein Einschreiten der Agnaten.<lb/>
Allerdings können auch die Stände in dieser Beziehung eine Thätigkeit ent¬<lb/>
falten; aber doch nur eine mittelbare, indem sie den Bundestag oder die Agnaten<lb/>
anrufen. Der Bundestag liegt jedoch im Argen, und von ihm ist nichts zu<lb/>
erwarten. Es bleiben also nur die Agnaten, übrig. Sie haben nicht allein<lb/>
das Recht einzuschreiten, sondern auch die Pflicht. Die Agnaten müssen sich<lb/>
die Frage vorlegen, ob nicht die dermaligen Zustände diese Pflicht zu einer un¬<lb/>
abweisbaren machen. Aber wer sind die Agnaten? Im Lande weiß man von<lb/>
denselben nicht viel mehr, als was der Gothaer Kalender berichtet. Was sonst<lb/>
noch verlautet, klingt auch nicht erbaulich. Wohl möglich, daß absichtliche<lb/>
Uebertreibungen mit unterlaufen. Aber neuerdings ist doch bekannt geworden,<lb/>
daß für einen demnächst zur Erbfolge berufenen Prinzen ein Erzieher gewählt<lb/>
worden ist, welcher der im Lande verhaßten und verachteten Muckcrpartei an¬<lb/>
gehört. Es ist dieses geschehen durch Vermittelung des Herrn v. Bülow,<lb/>
des bekannten dänischen Bundestagsgesandter in Frankfurt.</p><lb/>
            <fw type="sig" place="bottom"> Ärcnzboten I. 1863. 25</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0201] Unter diesen Umständen, nachdem wir seit dritthalb Monaten hier tagen, und nachdem sieben Monate seit der landesherrlichen Verkündigung verflossen sind, ist der Antrag des Abgeordneten Oetkcr, die Wiederherstellung des gestörten Rechtszustandes betreffend, völlig gerechtfertigt. Der Verfassungsausschuß hat denselben geprüft und ist hinweggeschritten über jeden Principienstreit; er hat sich nur an die Sache gehalten; gerade auf das Ziel zugehend hat er diejenigen Bestimmungen bezeichnet, welche noth¬ wendigerweise und vor allen Dingen entfernt werden müssen, um unser Ver¬ fassungsleben wieder wach zu rufen, und darauf seinen Antrag v orerst beschränkt. Dieser Antrag lautet, in etwas veränderter Fassung, wie folgt: Die hohe Ständeversammlung wolle die hohe Staatsregierung dringend um die formelle Beseitigung aller am Schlüsse des Berichts erwähnten, im Gesetzblatt befindlichen Bestimmungen und um jede thunliche Beschleunigung der entsprechenden Mittheilungen oder Vorlagen ersuchen. Indem die hohe Ständeversammlung diesem Antrage ihre Zustimmung ertheilt, liefert dieselbe wiederholt den Beweis, daß sie unerschütterlich am Rechte festhält, dabei aber nie den Weg der Versöhnung, des Friedens und der Mäßigung verläßt. Mit diesen Mitteln, mit diesen Waffen kommen wir hoffentlich zum Ziele." Wie lange soll dieser Zustand fortdauern; wer ist berufen einzuschreiten? Abgesehen davon, daß dem kurhessischen Volte der dünne Faden seiner viel¬ geprüften und vielgerühmten Geduld endlich reißen muß; und abgesehen von der Möglichkeit einer formal immerhin nicht ganz gerechtfertigten Einmischung Preußens aus eigener Machtvollkommenheit, scheinen nur zwei Wege offen zu stehen: ein Einschreiten des Bundestages, und ein Einschreiten der Agnaten. Allerdings können auch die Stände in dieser Beziehung eine Thätigkeit ent¬ falten; aber doch nur eine mittelbare, indem sie den Bundestag oder die Agnaten anrufen. Der Bundestag liegt jedoch im Argen, und von ihm ist nichts zu erwarten. Es bleiben also nur die Agnaten, übrig. Sie haben nicht allein das Recht einzuschreiten, sondern auch die Pflicht. Die Agnaten müssen sich die Frage vorlegen, ob nicht die dermaligen Zustände diese Pflicht zu einer un¬ abweisbaren machen. Aber wer sind die Agnaten? Im Lande weiß man von denselben nicht viel mehr, als was der Gothaer Kalender berichtet. Was sonst noch verlautet, klingt auch nicht erbaulich. Wohl möglich, daß absichtliche Uebertreibungen mit unterlaufen. Aber neuerdings ist doch bekannt geworden, daß für einen demnächst zur Erbfolge berufenen Prinzen ein Erzieher gewählt worden ist, welcher der im Lande verhaßten und verachteten Muckcrpartei an¬ gehört. Es ist dieses geschehen durch Vermittelung des Herrn v. Bülow, des bekannten dänischen Bundestagsgesandter in Frankfurt. Ärcnzboten I. 1863. 25

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/201
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/201>, abgerufen am 14.05.2024.