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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

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Wirkung äußerte, wenn auch hier allmälig der Gedanke Eingang fand, daß
man -- wie ungern immer -- vorläufig auf Deutschöstreich verzichten müsse.
Das Programm einer refvrmfeindlichen Partei, welche eben den Beitritt Oest¬
reichs zur ersten und hauptsächlichsten Bedingung, vom Willen Oestreichs also
die Reform geradezu abhängig machte, konnte diese Ansicht nur bestärken.

Sodann aber die Dinge in Preußen. Wollten die Feinde der Reform
über die preußische Reaction triumphiren, welche dem Gedanken des preußisch-
deutschen Bundesstaats vollends den Todesstoß geben werde, so trat gerade das
Gegentheil ein. Vor dem einmüthigen herrlichen Widerstande, welchen das
preußische Volk der Reaction entgegensetzte, begannen die festgewurzelten Anti¬
pathien der Süddeutschen sich zu legen. Die Haltung des Abgeordnetenhauses
flößte zum mindesten Achtung ein, und wie jene Prüfung in Preußen selbst
dazu diente, nicht nur das Bewußtsein vom Gut der Verfassung, sondern auch
das Bewußtsein von der Zusammengehörigkeit mit dem Gesammtvaterland
mächtig zu heben, so trat sie zugleich versöhnend zwischen die Antipathien des
Südens gegen den Norden. Es kam aus vollster Ueberzeugung, wenn die Eß-
linger Versammlung ihren Präsidenten beauftragte, dem Abgeordnetenhaus und
Volk in Preußen ihre Anerkennung für deren unerschütterliche Haltung in dem
obschwebenden Verfassungsconflict auszudrücken. In einer Zeit, da die Wun¬
den so tief empfunden werden, welche jene überaus traurige Wendung in
Berlin der deutschen Sache schlägt, mag es am Platze sein, auch diese einigermaßen
tröstliche Wirkung nicht zu übersehen.

Solches war die Stimmung der Eßlinger Versammlung, die nicht etwa eine
Nationalvereinsversammlung war, die vielmehr die schwäbische Demokratie repräsen-
tirte, welche mit Recht bis jetzt als wesentlich grvßdeutsch gegolten hat. Aber die
Versammlung lieferte den Beweis, daß theils durch den Gang der Politik über¬
haupt, theils durch die Anstrengungen der Resormfcindc, theils endlich durch die
Reibungen im eigenen Schoß die schwäbische Fortschrittspartei sich wesentlich den
Anschauungen der deutschen Nationalpartei genähert hat. In hartnäckiger Aus¬
einandersetzung mit einer extrem grvßdeutschcn Fraction ist sie in ihrer weit
überwiegenden Mehrheit immer entschiedener auf einen Standpunkt gedrängt
worden, aus welchem sie den Liberalen in Mittel- und Norddeutschland die Hand
reicht. Mögen die großdeutschen Sympathien immerhin nachwirken, mag auch
nach Eßlingen vielleicht der Nationalvercin keine glänzende Zukunft in Schwa¬
ben haben, die Partei hat es wenigstens unzweideutig ausgesprochen, daß sie
mit den nationalen Bestrebungen im übrigen Deutschland im Zusammenhang,
mit ihnen zu gemeinsamem Wirken verbunden bleiben will, -- und dies ist die
eigentliche Bedeutung der Eßlinger Versammlung. Die Würzburger Regie¬
rungen und ihre Freunde haben bisher den Rückhalt, den sie an den süddeut¬
schen Sympathien und Antipathien hatten, weit überschätzt. Die Versammlung,


Wirkung äußerte, wenn auch hier allmälig der Gedanke Eingang fand, daß
man — wie ungern immer — vorläufig auf Deutschöstreich verzichten müsse.
Das Programm einer refvrmfeindlichen Partei, welche eben den Beitritt Oest¬
reichs zur ersten und hauptsächlichsten Bedingung, vom Willen Oestreichs also
die Reform geradezu abhängig machte, konnte diese Ansicht nur bestärken.

Sodann aber die Dinge in Preußen. Wollten die Feinde der Reform
über die preußische Reaction triumphiren, welche dem Gedanken des preußisch-
deutschen Bundesstaats vollends den Todesstoß geben werde, so trat gerade das
Gegentheil ein. Vor dem einmüthigen herrlichen Widerstande, welchen das
preußische Volk der Reaction entgegensetzte, begannen die festgewurzelten Anti¬
pathien der Süddeutschen sich zu legen. Die Haltung des Abgeordnetenhauses
flößte zum mindesten Achtung ein, und wie jene Prüfung in Preußen selbst
dazu diente, nicht nur das Bewußtsein vom Gut der Verfassung, sondern auch
das Bewußtsein von der Zusammengehörigkeit mit dem Gesammtvaterland
mächtig zu heben, so trat sie zugleich versöhnend zwischen die Antipathien des
Südens gegen den Norden. Es kam aus vollster Ueberzeugung, wenn die Eß-
linger Versammlung ihren Präsidenten beauftragte, dem Abgeordnetenhaus und
Volk in Preußen ihre Anerkennung für deren unerschütterliche Haltung in dem
obschwebenden Verfassungsconflict auszudrücken. In einer Zeit, da die Wun¬
den so tief empfunden werden, welche jene überaus traurige Wendung in
Berlin der deutschen Sache schlägt, mag es am Platze sein, auch diese einigermaßen
tröstliche Wirkung nicht zu übersehen.

Solches war die Stimmung der Eßlinger Versammlung, die nicht etwa eine
Nationalvereinsversammlung war, die vielmehr die schwäbische Demokratie repräsen-
tirte, welche mit Recht bis jetzt als wesentlich grvßdeutsch gegolten hat. Aber die
Versammlung lieferte den Beweis, daß theils durch den Gang der Politik über¬
haupt, theils durch die Anstrengungen der Resormfcindc, theils endlich durch die
Reibungen im eigenen Schoß die schwäbische Fortschrittspartei sich wesentlich den
Anschauungen der deutschen Nationalpartei genähert hat. In hartnäckiger Aus¬
einandersetzung mit einer extrem grvßdeutschcn Fraction ist sie in ihrer weit
überwiegenden Mehrheit immer entschiedener auf einen Standpunkt gedrängt
worden, aus welchem sie den Liberalen in Mittel- und Norddeutschland die Hand
reicht. Mögen die großdeutschen Sympathien immerhin nachwirken, mag auch
nach Eßlingen vielleicht der Nationalvercin keine glänzende Zukunft in Schwa¬
ben haben, die Partei hat es wenigstens unzweideutig ausgesprochen, daß sie
mit den nationalen Bestrebungen im übrigen Deutschland im Zusammenhang,
mit ihnen zu gemeinsamem Wirken verbunden bleiben will, — und dies ist die
eigentliche Bedeutung der Eßlinger Versammlung. Die Würzburger Regie¬
rungen und ihre Freunde haben bisher den Rückhalt, den sie an den süddeut¬
schen Sympathien und Antipathien hatten, weit überschätzt. Die Versammlung,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/21>, abgerufen am 29.04.2024.