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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

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Hand war unzweifelhaft ächt, der Inhalt der ersten wurde von Professor
W. Dindorf trotz dringender äußerer Verdachtsgründe ebenfalls für ächt gehalten
und das Manuscript dem Simonides für z w el tausend Thaler abgekauft. Herr
Dindorf, in der gelehrten Welt als Herausgeber alter Autoren, an der Leipziger
Börse als speculativer Geschäftsmann bekannt, beeilte sich, das Manuscript der
Berliner Akademie für fünftausend Thaler anzubieten. Diese Körperschaft ließ
durch eine Anzahl ihrer Mitglieder eine Untersuchung vornehmen. Zwei große Na¬
men zerlegten die Sache chemisch, ein großer Name mikroskopisch, mehre sehr
große Gelehrte kritisch, und das Ergebniß war -- die Fälschung war auch gar
zu geschickt gemacht -- die Akademie erklärte die Handschrift für ächt und be¬
schloß, deren Ankauf zu befürworten. Da die hierzu nöthige Geldbewilligung
nicht sofort zu erlangen war, und Dindorf wenigstens auf eine Anzahlung
drang, so schoß Lepsius, der unter den Prüfern der Akademie gewesen war
und das kostbare Manuscript herauszugeben gedachte, die erforderliche Summe
vor und empfing dafür den Uranios. Bei näherer Betrachtung desselben ent¬
deckte er jetzt verschiedene bedenkliche Stellen. Namentlich war eine kühne
Muthmaßung Bunsens, die eine Lücke in unsrer Kenntniß Urägyptens ergänzen
sollte, von dem alten Griechen Uranios wörtlich in seine Geschichte ausgenommen
worden. Der so entstandene Verdacht erhielt von Leipzig aus Bestätigung, indem
Professor Tischendorf, der schon früher Zweifel an dem Werth des paläogra-
phischen Schatzes geäußert und in diesen jetzt durch Briefe des Simonides be¬
stärkt worden, verdrießlich darüber, daß sein früheres Votum für irrelevant
gegolten, an die "maßgebende Stelle" telegraphirtc, die Handschrift sei un¬
ächt, und seine Beweise folgen ließ*). Der Schluß der Geschichte ist kurz:
Lepsius mit Polizei in Leipzig -- Haussuchung bei Simonides -- Entdeckung
eines Apparats zur Verfertigung alter Manuscripte in dessen Wohnung --
Wiedereroberung der Dindorfschen zweitausend Thaler von dem schon zur Ab¬
reise gestiefelten Griechenjüngling -- großes Gelächter des nicht betheiligten
Publicums und, nachdem dies verhallt, die ernste Lehre:

Es gibt viel Betrug in der Welt, und anch die Besten können
irren!

Simonides war nach kurzer Haft entlassen worden und nach England ge¬
gangen, wo er für uns verschollen schien, bis er am 3. September vorigen
Jahres plötzlich in einer Nummer des Blattes "(Zruki-Mu" wieder auftauchte
und zwar mit nichts Geringerem als einem Protest gegen die Aechtheit der sinaiti¬
schen Handschrift seines Namensvetters Konstantin Tischendorf. in welchem Protest



") Die Briefe, welche den Ausschlag gaben, waren Tischendorf von dem Landsmann,
Freund und Mitstrebenden des Simonides, Alexander ?yknrgos verschafft worden, der mit
jenem eine Zeit lang gewissen paläogrnphischen - Studien obgelegen, sich aber dann aus nicht
genügend aufgehellten Gründen mit ihm entzweit hatte.

Hand war unzweifelhaft ächt, der Inhalt der ersten wurde von Professor
W. Dindorf trotz dringender äußerer Verdachtsgründe ebenfalls für ächt gehalten
und das Manuscript dem Simonides für z w el tausend Thaler abgekauft. Herr
Dindorf, in der gelehrten Welt als Herausgeber alter Autoren, an der Leipziger
Börse als speculativer Geschäftsmann bekannt, beeilte sich, das Manuscript der
Berliner Akademie für fünftausend Thaler anzubieten. Diese Körperschaft ließ
durch eine Anzahl ihrer Mitglieder eine Untersuchung vornehmen. Zwei große Na¬
men zerlegten die Sache chemisch, ein großer Name mikroskopisch, mehre sehr
große Gelehrte kritisch, und das Ergebniß war — die Fälschung war auch gar
zu geschickt gemacht — die Akademie erklärte die Handschrift für ächt und be¬
schloß, deren Ankauf zu befürworten. Da die hierzu nöthige Geldbewilligung
nicht sofort zu erlangen war, und Dindorf wenigstens auf eine Anzahlung
drang, so schoß Lepsius, der unter den Prüfern der Akademie gewesen war
und das kostbare Manuscript herauszugeben gedachte, die erforderliche Summe
vor und empfing dafür den Uranios. Bei näherer Betrachtung desselben ent¬
deckte er jetzt verschiedene bedenkliche Stellen. Namentlich war eine kühne
Muthmaßung Bunsens, die eine Lücke in unsrer Kenntniß Urägyptens ergänzen
sollte, von dem alten Griechen Uranios wörtlich in seine Geschichte ausgenommen
worden. Der so entstandene Verdacht erhielt von Leipzig aus Bestätigung, indem
Professor Tischendorf, der schon früher Zweifel an dem Werth des paläogra-
phischen Schatzes geäußert und in diesen jetzt durch Briefe des Simonides be¬
stärkt worden, verdrießlich darüber, daß sein früheres Votum für irrelevant
gegolten, an die „maßgebende Stelle" telegraphirtc, die Handschrift sei un¬
ächt, und seine Beweise folgen ließ*). Der Schluß der Geschichte ist kurz:
Lepsius mit Polizei in Leipzig — Haussuchung bei Simonides — Entdeckung
eines Apparats zur Verfertigung alter Manuscripte in dessen Wohnung —
Wiedereroberung der Dindorfschen zweitausend Thaler von dem schon zur Ab¬
reise gestiefelten Griechenjüngling — großes Gelächter des nicht betheiligten
Publicums und, nachdem dies verhallt, die ernste Lehre:

Es gibt viel Betrug in der Welt, und anch die Besten können
irren!

Simonides war nach kurzer Haft entlassen worden und nach England ge¬
gangen, wo er für uns verschollen schien, bis er am 3. September vorigen
Jahres plötzlich in einer Nummer des Blattes „(Zruki-Mu" wieder auftauchte
und zwar mit nichts Geringerem als einem Protest gegen die Aechtheit der sinaiti¬
schen Handschrift seines Namensvetters Konstantin Tischendorf. in welchem Protest



") Die Briefe, welche den Ausschlag gaben, waren Tischendorf von dem Landsmann,
Freund und Mitstrebenden des Simonides, Alexander ?yknrgos verschafft worden, der mit
jenem eine Zeit lang gewissen paläogrnphischen - Studien obgelegen, sich aber dann aus nicht
genügend aufgehellten Gründen mit ihm entzweit hatte.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/213>, abgerufen am 13.05.2024.