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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

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klärung ein die Hand gibt, als daß sein Oheim Benedict, früher Abt des
Klosters Se. Pantelimon auf dem Berge Athos, es an einigen (Simonides
sagt --- vgl. das Obige -- zweimal: "an vielen") Stellen verbes¬
sert habe.

4. Das Manuscript soll dem Se. Katharinenkloster vor -- aber anscheinend
nicht lange vor -- dem Jahr 1846 übersandt worden sein. 1832 besuchte
Simonides selbst das Kloster und sah dort die Handschrift. Er fragte den
Bibliothekar, wie das Kloster dieselbe erlangt, eine Frage, die jener Beamte
nicht beantworten konnte, obwohl die Zeit zwischen der Absendung des Manu-
scripts und jener Frage weniger als zehn Jahre betragen zu haben scheint.
Simonides gibt zu, damals keinen Anspruch darauf gemacht zu haben, daß er
das Manuscript geschrieben.

5. Im Jahr 1844 scheint Tischendorf im Katharinenkloster einen Theil
der Handschrift gesehen zu haben, welche, wenn dies wahr wäre, damals in
Bruchstücke zerrissen gewesen sein müßte. Simonides gibt an, daß er 1852
das Manuscript im Kloster ganz, aber "sehr verändert" gefunden, "indem es
ein älteres Aussehen hatte, als es haben sollte;" denn es war ursprünglich
auf die Blätter eines Pergamentbuchs geschrieben, welches "außerordentlich rein
und schön gearbeitet war". 1859 will Tischendorf den Nest des Manuscripts
"in einen Lappen eingewickelt" gefunden haben. Hier haben wir nur sich
widersprechende Aussagen und (soweit wir mit bloßen Behauptungen zu thun
haben) bin ich geneigt, dem Einen nicht mehr als dem Andern zu glauben.

6. Das Manuscript ist in Unzialen geschrieben, von denen die besten Pa-
läographen zugeben, daß sie trefflich ausgeführt sind, und welche sie auf ein
Datum nicht jünger als das vierte Jahrhundert zurückführen.

7. Die Tinte -- eine sehr wichtige Sache , bei paläographischcn Entschei¬
dungen -- scheint von hohem Alter zu sein, und dieser Schein kann, wie man
meint, durch keine der jetzt bekannten chemischen Agentien mitgetheilt werden."

"Nachdem wir die Gründe, aus denen sich auf Unredlichkeit auf Seiten
des Simonides schließen läßt, erörtert haben, betrachten wir, um unsre Unpar¬
teilichkeit zu wahren, die Möglichkeit einer Täuschung (Causidicus braucht
ein unzweideutigeres Wort, welches wir nicht adoptiren) auf Seiten Tischen¬
dorfs. Die Versuchung war ungeheuer. Der Name eines vorher unbekannten
Mannes ohne hervorragendes Talent und Wissen ( ? vgl. Volbeding) mußte
sofort in ganz Europa bekannt werden. Würden wir nicht in einer so hoch
wichtigen Angelegenheit feige handeln, wenn wir uns, von dem Geschrei mehrer
hundert Bibelkriiiker übertäubt, die Tischendorf verschlungen haben, wie einige
von ihnen (Anspielung auf Ewald) früher CKwolson verschlangen, von der Unter¬
suchung dieses möglichen Standes der Sache zurückschrecken ließen?"

Der Kritiker weist zunächst auf die vielen achtungswerthen Reisenden hin,
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klärung ein die Hand gibt, als daß sein Oheim Benedict, früher Abt des
Klosters Se. Pantelimon auf dem Berge Athos, es an einigen (Simonides
sagt —- vgl. das Obige — zweimal: „an vielen") Stellen verbes¬
sert habe.

4. Das Manuscript soll dem Se. Katharinenkloster vor — aber anscheinend
nicht lange vor — dem Jahr 1846 übersandt worden sein. 1832 besuchte
Simonides selbst das Kloster und sah dort die Handschrift. Er fragte den
Bibliothekar, wie das Kloster dieselbe erlangt, eine Frage, die jener Beamte
nicht beantworten konnte, obwohl die Zeit zwischen der Absendung des Manu-
scripts und jener Frage weniger als zehn Jahre betragen zu haben scheint.
Simonides gibt zu, damals keinen Anspruch darauf gemacht zu haben, daß er
das Manuscript geschrieben.

5. Im Jahr 1844 scheint Tischendorf im Katharinenkloster einen Theil
der Handschrift gesehen zu haben, welche, wenn dies wahr wäre, damals in
Bruchstücke zerrissen gewesen sein müßte. Simonides gibt an, daß er 1852
das Manuscript im Kloster ganz, aber „sehr verändert" gefunden, „indem es
ein älteres Aussehen hatte, als es haben sollte;" denn es war ursprünglich
auf die Blätter eines Pergamentbuchs geschrieben, welches „außerordentlich rein
und schön gearbeitet war". 1859 will Tischendorf den Nest des Manuscripts
„in einen Lappen eingewickelt" gefunden haben. Hier haben wir nur sich
widersprechende Aussagen und (soweit wir mit bloßen Behauptungen zu thun
haben) bin ich geneigt, dem Einen nicht mehr als dem Andern zu glauben.

6. Das Manuscript ist in Unzialen geschrieben, von denen die besten Pa-
läographen zugeben, daß sie trefflich ausgeführt sind, und welche sie auf ein
Datum nicht jünger als das vierte Jahrhundert zurückführen.

7. Die Tinte — eine sehr wichtige Sache , bei paläographischcn Entschei¬
dungen — scheint von hohem Alter zu sein, und dieser Schein kann, wie man
meint, durch keine der jetzt bekannten chemischen Agentien mitgetheilt werden."

„Nachdem wir die Gründe, aus denen sich auf Unredlichkeit auf Seiten
des Simonides schließen läßt, erörtert haben, betrachten wir, um unsre Unpar¬
teilichkeit zu wahren, die Möglichkeit einer Täuschung (Causidicus braucht
ein unzweideutigeres Wort, welches wir nicht adoptiren) auf Seiten Tischen¬
dorfs. Die Versuchung war ungeheuer. Der Name eines vorher unbekannten
Mannes ohne hervorragendes Talent und Wissen ( ? vgl. Volbeding) mußte
sofort in ganz Europa bekannt werden. Würden wir nicht in einer so hoch
wichtigen Angelegenheit feige handeln, wenn wir uns, von dem Geschrei mehrer
hundert Bibelkriiiker übertäubt, die Tischendorf verschlungen haben, wie einige
von ihnen (Anspielung auf Ewald) früher CKwolson verschlangen, von der Unter¬
suchung dieses möglichen Standes der Sache zurückschrecken ließen?"

Der Kritiker weist zunächst auf die vielen achtungswerthen Reisenden hin,
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[0219] klärung ein die Hand gibt, als daß sein Oheim Benedict, früher Abt des Klosters Se. Pantelimon auf dem Berge Athos, es an einigen (Simonides sagt —- vgl. das Obige — zweimal: „an vielen") Stellen verbes¬ sert habe. 4. Das Manuscript soll dem Se. Katharinenkloster vor — aber anscheinend nicht lange vor — dem Jahr 1846 übersandt worden sein. 1832 besuchte Simonides selbst das Kloster und sah dort die Handschrift. Er fragte den Bibliothekar, wie das Kloster dieselbe erlangt, eine Frage, die jener Beamte nicht beantworten konnte, obwohl die Zeit zwischen der Absendung des Manu- scripts und jener Frage weniger als zehn Jahre betragen zu haben scheint. Simonides gibt zu, damals keinen Anspruch darauf gemacht zu haben, daß er das Manuscript geschrieben. 5. Im Jahr 1844 scheint Tischendorf im Katharinenkloster einen Theil der Handschrift gesehen zu haben, welche, wenn dies wahr wäre, damals in Bruchstücke zerrissen gewesen sein müßte. Simonides gibt an, daß er 1852 das Manuscript im Kloster ganz, aber „sehr verändert" gefunden, „indem es ein älteres Aussehen hatte, als es haben sollte;" denn es war ursprünglich auf die Blätter eines Pergamentbuchs geschrieben, welches „außerordentlich rein und schön gearbeitet war". 1859 will Tischendorf den Nest des Manuscripts „in einen Lappen eingewickelt" gefunden haben. Hier haben wir nur sich widersprechende Aussagen und (soweit wir mit bloßen Behauptungen zu thun haben) bin ich geneigt, dem Einen nicht mehr als dem Andern zu glauben. 6. Das Manuscript ist in Unzialen geschrieben, von denen die besten Pa- läographen zugeben, daß sie trefflich ausgeführt sind, und welche sie auf ein Datum nicht jünger als das vierte Jahrhundert zurückführen. 7. Die Tinte — eine sehr wichtige Sache , bei paläographischcn Entschei¬ dungen — scheint von hohem Alter zu sein, und dieser Schein kann, wie man meint, durch keine der jetzt bekannten chemischen Agentien mitgetheilt werden." „Nachdem wir die Gründe, aus denen sich auf Unredlichkeit auf Seiten des Simonides schließen läßt, erörtert haben, betrachten wir, um unsre Unpar¬ teilichkeit zu wahren, die Möglichkeit einer Täuschung (Causidicus braucht ein unzweideutigeres Wort, welches wir nicht adoptiren) auf Seiten Tischen¬ dorfs. Die Versuchung war ungeheuer. Der Name eines vorher unbekannten Mannes ohne hervorragendes Talent und Wissen ( ? vgl. Volbeding) mußte sofort in ganz Europa bekannt werden. Würden wir nicht in einer so hoch wichtigen Angelegenheit feige handeln, wenn wir uns, von dem Geschrei mehrer hundert Bibelkriiiker übertäubt, die Tischendorf verschlungen haben, wie einige von ihnen (Anspielung auf Ewald) früher CKwolson verschlangen, von der Unter¬ suchung dieses möglichen Standes der Sache zurückschrecken ließen?" Der Kritiker weist zunächst auf die vielen achtungswerthen Reisenden hin, * 27

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/219>, abgerufen am 14.05.2024.