Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

der mit einer Katastrophe endete, die Napoleon kategorisch verlangte, und deren
Organ Ratazzi sein mußte. Der Fall seines Ministeriums war der verdiente
Lohn, und wenn man auf seine Thätigkeit zurückblickt, so darf man sagen, daß
'der einzige Gewinn dieses Jahres, die Anerkennung Italiens von Rußland
und Preußen, Sulche sein Verdienst, sondern lediglich der französischen Für¬
sprache zuzuschreiben ist. Diese Fürsprache aber ist eben auch ein Moment der
doppelhäutigen kaiserlichen Politik, deren Widersprüche Provost-Paradol in
dem beißenden Dialog des Courier du Dimanche zusammengefaßt, welcher den
Zorn des Imperialismus so sehr erregte.

Bleibt Italien eine Quelle vielfacher Verwickelungen und Verlegenheiten
für die kaiserliche Politik, so bringt der mexicanische Handel noch weit dringen¬
dere Gefahren. Ein scharfer Beobachter Napoleons hat einmal gesagt, er kenne
den Unterschied von Träumen und Denken nicht, er führe seine Projecte zwar
mit großer Klugheit aus, aber die Projecte selbst seien die eines Enthusiasten.
Es ist sehr naheliegend, dies Wort auf die mexicanische Unternehmung anzu¬
wenden. Er ließ sich durch Almonte und dessen Freund, den französischen Ge¬
sandten in Mexico, Dubois de Saligny über die Schwierigkeiten einer Expedi¬
tion täuschen, in der er die Verwirklichung seiner frühern Plane hoffte, nämlich
die Begründung eines französischen Kolonialreiches in Amerika, die Durchstechung
des Isthmus von Panama und die erneute Herrschaft der lateinischen Race unter
Frankreichs Fahne in jener Weltgegend. Diese Ideen wurden von Michel
Chevalier im Anfang vorigen Jahres in zwei Artikeln, der Revue des deux
mondes ausgeführt; Mexico, heißt es dort, sei ein Land von unerschöpfliche"
Hülfsquellen, das durch seine Minen- und Bodenerzeugnisse alle Auslagen
des Unternehmens rasch und reichlich erstatte" werde. Diese Ideen scheinen aber
doch einigcrmaßenksanguinisch. gewiß ist das Land sehr fruchtbar, und die Minen
können einen unvergleichlich höher" Ertrag bei rationellen Bau geben. Aber vor¬
läufig fehlt es an allen Bedingungen solcher Resultate. Zunächst ist das mili¬
tärische Ziel, die Occupation des Landes, "och keineswegs erreicht. Nehmen
wir auch an, daß General Forcy bald in Mexico sein wird, so beginnen damit
erst die eigentlichen Schwierigkeiten. Mit der Hauptstadt kann er sich nicht
begnügen, schon weil er sich daselbst nicht hinreichend verproviantiren kann, er
muß also die größern Städte besetzen, und diese liegen so entfernt von einander,
daß es einer doppelt so großen Armee bedürfen wird, um zum Ziele zu ge¬
langen. Und auch wenn dies mit großen Opfern an Blut und Geld durch¬
gesetzt wird, wenn durch ein Gaukelspiel des allgemeinen Stimmrechts Napoleon
zum Protector des Landes erklärt sein sollte, so ist an einen Gewinn aus
dem Unternehmen nicht zu denken. Um den P, oductenreichthum des Bodens
wirklich productiv zu machen, müßte zuerst eine vollkommen neue Colomsation
Millionen in die Bergwerke und Felder stecken, welche durch Raubbau Verwüstet


28*

der mit einer Katastrophe endete, die Napoleon kategorisch verlangte, und deren
Organ Ratazzi sein mußte. Der Fall seines Ministeriums war der verdiente
Lohn, und wenn man auf seine Thätigkeit zurückblickt, so darf man sagen, daß
'der einzige Gewinn dieses Jahres, die Anerkennung Italiens von Rußland
und Preußen, Sulche sein Verdienst, sondern lediglich der französischen Für¬
sprache zuzuschreiben ist. Diese Fürsprache aber ist eben auch ein Moment der
doppelhäutigen kaiserlichen Politik, deren Widersprüche Provost-Paradol in
dem beißenden Dialog des Courier du Dimanche zusammengefaßt, welcher den
Zorn des Imperialismus so sehr erregte.

Bleibt Italien eine Quelle vielfacher Verwickelungen und Verlegenheiten
für die kaiserliche Politik, so bringt der mexicanische Handel noch weit dringen¬
dere Gefahren. Ein scharfer Beobachter Napoleons hat einmal gesagt, er kenne
den Unterschied von Träumen und Denken nicht, er führe seine Projecte zwar
mit großer Klugheit aus, aber die Projecte selbst seien die eines Enthusiasten.
Es ist sehr naheliegend, dies Wort auf die mexicanische Unternehmung anzu¬
wenden. Er ließ sich durch Almonte und dessen Freund, den französischen Ge¬
sandten in Mexico, Dubois de Saligny über die Schwierigkeiten einer Expedi¬
tion täuschen, in der er die Verwirklichung seiner frühern Plane hoffte, nämlich
die Begründung eines französischen Kolonialreiches in Amerika, die Durchstechung
des Isthmus von Panama und die erneute Herrschaft der lateinischen Race unter
Frankreichs Fahne in jener Weltgegend. Diese Ideen wurden von Michel
Chevalier im Anfang vorigen Jahres in zwei Artikeln, der Revue des deux
mondes ausgeführt; Mexico, heißt es dort, sei ein Land von unerschöpfliche»
Hülfsquellen, das durch seine Minen- und Bodenerzeugnisse alle Auslagen
des Unternehmens rasch und reichlich erstatte» werde. Diese Ideen scheinen aber
doch einigcrmaßenksanguinisch. gewiß ist das Land sehr fruchtbar, und die Minen
können einen unvergleichlich höher» Ertrag bei rationellen Bau geben. Aber vor¬
läufig fehlt es an allen Bedingungen solcher Resultate. Zunächst ist das mili¬
tärische Ziel, die Occupation des Landes, »och keineswegs erreicht. Nehmen
wir auch an, daß General Forcy bald in Mexico sein wird, so beginnen damit
erst die eigentlichen Schwierigkeiten. Mit der Hauptstadt kann er sich nicht
begnügen, schon weil er sich daselbst nicht hinreichend verproviantiren kann, er
muß also die größern Städte besetzen, und diese liegen so entfernt von einander,
daß es einer doppelt so großen Armee bedürfen wird, um zum Ziele zu ge¬
langen. Und auch wenn dies mit großen Opfern an Blut und Geld durch¬
gesetzt wird, wenn durch ein Gaukelspiel des allgemeinen Stimmrechts Napoleon
zum Protector des Landes erklärt sein sollte, so ist an einen Gewinn aus
dem Unternehmen nicht zu denken. Um den P, oductenreichthum des Bodens
wirklich productiv zu machen, müßte zuerst eine vollkommen neue Colomsation
Millionen in die Bergwerke und Felder stecken, welche durch Raubbau Verwüstet


28*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0227" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/187721"/>
          <p xml:id="ID_899" prev="#ID_898"> der mit einer Katastrophe endete, die Napoleon kategorisch verlangte, und deren<lb/>
Organ Ratazzi sein mußte. Der Fall seines Ministeriums war der verdiente<lb/>
Lohn, und wenn man auf seine Thätigkeit zurückblickt, so darf man sagen, daß<lb/>
'der einzige Gewinn dieses Jahres, die Anerkennung Italiens von Rußland<lb/>
und Preußen, Sulche sein Verdienst, sondern lediglich der französischen Für¬<lb/>
sprache zuzuschreiben ist. Diese Fürsprache aber ist eben auch ein Moment der<lb/>
doppelhäutigen kaiserlichen Politik, deren Widersprüche Provost-Paradol in<lb/>
dem beißenden Dialog des Courier du Dimanche zusammengefaßt, welcher den<lb/>
Zorn des Imperialismus so sehr erregte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_900" next="#ID_901"> Bleibt Italien eine Quelle vielfacher Verwickelungen und Verlegenheiten<lb/>
für die kaiserliche Politik, so bringt der mexicanische Handel noch weit dringen¬<lb/>
dere Gefahren. Ein scharfer Beobachter Napoleons hat einmal gesagt, er kenne<lb/>
den Unterschied von Träumen und Denken nicht, er führe seine Projecte zwar<lb/>
mit großer Klugheit aus, aber die Projecte selbst seien die eines Enthusiasten.<lb/>
Es ist sehr naheliegend, dies Wort auf die mexicanische Unternehmung anzu¬<lb/>
wenden. Er ließ sich durch Almonte und dessen Freund, den französischen Ge¬<lb/>
sandten in Mexico, Dubois de Saligny über die Schwierigkeiten einer Expedi¬<lb/>
tion täuschen, in der er die Verwirklichung seiner frühern Plane hoffte, nämlich<lb/>
die Begründung eines französischen Kolonialreiches in Amerika, die Durchstechung<lb/>
des Isthmus von Panama und die erneute Herrschaft der lateinischen Race unter<lb/>
Frankreichs Fahne in jener Weltgegend. Diese Ideen wurden von Michel<lb/>
Chevalier im Anfang vorigen Jahres in zwei Artikeln, der Revue des deux<lb/>
mondes ausgeführt; Mexico, heißt es dort, sei ein Land von unerschöpfliche»<lb/>
Hülfsquellen, das durch seine Minen- und Bodenerzeugnisse alle Auslagen<lb/>
des Unternehmens rasch und reichlich erstatte» werde. Diese Ideen scheinen aber<lb/>
doch einigcrmaßenksanguinisch. gewiß ist das Land sehr fruchtbar, und die Minen<lb/>
können einen unvergleichlich höher» Ertrag bei rationellen Bau geben. Aber vor¬<lb/>
läufig fehlt es an allen Bedingungen solcher Resultate. Zunächst ist das mili¬<lb/>
tärische Ziel, die Occupation des Landes, »och keineswegs erreicht. Nehmen<lb/>
wir auch an, daß General Forcy bald in Mexico sein wird, so beginnen damit<lb/>
erst die eigentlichen Schwierigkeiten. Mit der Hauptstadt kann er sich nicht<lb/>
begnügen, schon weil er sich daselbst nicht hinreichend verproviantiren kann, er<lb/>
muß also die größern Städte besetzen, und diese liegen so entfernt von einander,<lb/>
daß es einer doppelt so großen Armee bedürfen wird, um zum Ziele zu ge¬<lb/>
langen. Und auch wenn dies mit großen Opfern an Blut und Geld durch¬<lb/>
gesetzt wird, wenn durch ein Gaukelspiel des allgemeinen Stimmrechts Napoleon<lb/>
zum Protector des Landes erklärt sein sollte, so ist an einen Gewinn aus<lb/>
dem Unternehmen nicht zu denken. Um den P, oductenreichthum des Bodens<lb/>
wirklich productiv zu machen, müßte zuerst eine vollkommen neue Colomsation<lb/>
Millionen in die Bergwerke und Felder stecken, welche durch Raubbau Verwüstet</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> 28*</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0227] der mit einer Katastrophe endete, die Napoleon kategorisch verlangte, und deren Organ Ratazzi sein mußte. Der Fall seines Ministeriums war der verdiente Lohn, und wenn man auf seine Thätigkeit zurückblickt, so darf man sagen, daß 'der einzige Gewinn dieses Jahres, die Anerkennung Italiens von Rußland und Preußen, Sulche sein Verdienst, sondern lediglich der französischen Für¬ sprache zuzuschreiben ist. Diese Fürsprache aber ist eben auch ein Moment der doppelhäutigen kaiserlichen Politik, deren Widersprüche Provost-Paradol in dem beißenden Dialog des Courier du Dimanche zusammengefaßt, welcher den Zorn des Imperialismus so sehr erregte. Bleibt Italien eine Quelle vielfacher Verwickelungen und Verlegenheiten für die kaiserliche Politik, so bringt der mexicanische Handel noch weit dringen¬ dere Gefahren. Ein scharfer Beobachter Napoleons hat einmal gesagt, er kenne den Unterschied von Träumen und Denken nicht, er führe seine Projecte zwar mit großer Klugheit aus, aber die Projecte selbst seien die eines Enthusiasten. Es ist sehr naheliegend, dies Wort auf die mexicanische Unternehmung anzu¬ wenden. Er ließ sich durch Almonte und dessen Freund, den französischen Ge¬ sandten in Mexico, Dubois de Saligny über die Schwierigkeiten einer Expedi¬ tion täuschen, in der er die Verwirklichung seiner frühern Plane hoffte, nämlich die Begründung eines französischen Kolonialreiches in Amerika, die Durchstechung des Isthmus von Panama und die erneute Herrschaft der lateinischen Race unter Frankreichs Fahne in jener Weltgegend. Diese Ideen wurden von Michel Chevalier im Anfang vorigen Jahres in zwei Artikeln, der Revue des deux mondes ausgeführt; Mexico, heißt es dort, sei ein Land von unerschöpfliche» Hülfsquellen, das durch seine Minen- und Bodenerzeugnisse alle Auslagen des Unternehmens rasch und reichlich erstatte» werde. Diese Ideen scheinen aber doch einigcrmaßenksanguinisch. gewiß ist das Land sehr fruchtbar, und die Minen können einen unvergleichlich höher» Ertrag bei rationellen Bau geben. Aber vor¬ läufig fehlt es an allen Bedingungen solcher Resultate. Zunächst ist das mili¬ tärische Ziel, die Occupation des Landes, »och keineswegs erreicht. Nehmen wir auch an, daß General Forcy bald in Mexico sein wird, so beginnen damit erst die eigentlichen Schwierigkeiten. Mit der Hauptstadt kann er sich nicht begnügen, schon weil er sich daselbst nicht hinreichend verproviantiren kann, er muß also die größern Städte besetzen, und diese liegen so entfernt von einander, daß es einer doppelt so großen Armee bedürfen wird, um zum Ziele zu ge¬ langen. Und auch wenn dies mit großen Opfern an Blut und Geld durch¬ gesetzt wird, wenn durch ein Gaukelspiel des allgemeinen Stimmrechts Napoleon zum Protector des Landes erklärt sein sollte, so ist an einen Gewinn aus dem Unternehmen nicht zu denken. Um den P, oductenreichthum des Bodens wirklich productiv zu machen, müßte zuerst eine vollkommen neue Colomsation Millionen in die Bergwerke und Felder stecken, welche durch Raubbau Verwüstet 28*

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/227
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/227>, abgerufen am 14.05.2024.