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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

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und Belgien bestand kein solches Hinderniß. Sie konnten ihrem Drange nach¬
geben. Es ist also erlaubt zu schließen, daß sie ihre Stellung bereits genommen
haben. Aus den Zeichen von Theilnahme, welche vorliegen, kann mit einer
gewissen Sicherheit auf die überhaupt zu erwartende Theilnahme gefolgert wer¬
den. Unsre Flüchtlinge sind nicht mehr das gespenstisch drohende unbekannte
Etwas, als das besorgte Familienväter und Staatshämorrhoidarien sie bisher
mögen angesehen haben.

Da lassen sich nun drei Schichten ziemlich scharf unterscheiden. Die Einen
stehen der Reformpartei, die im Nationalverein ihre sichtbare Organisation hat,
am nächsten, und sind ihr entweder sofort beigetreten, wie z. B. der letzte Prä¬
sident des Parlaments, Löwe von Calbe. oder sind mehr oder weniger ge¬
neigt sich ihr anzuschließen, seit sie mit der Reichsverfassung ein formulirtes
Programm aufgestellt hat, wie Vogt in Genf, Karl Grün in Brüssel, Ludwig
Simon, Bcunberger und H. B. Oppenheim in Paris, und wie Heinrich Simon
gewesen sein würde, wenn der Wallensee ihn nicht verschlungen hätte. Zu dieser
Gruppe gehört auch Kinkel, der seinen Beitritt erklärte, als Metz und Streit im
letzten Sommer die Londoner Nationalvereinsgenossen besuchten, und Friedrich
Kapp aus Newyork, der einen Theil des letzten Sommers und Herbstes in
Deutschland zugebracht hat. Eine zweite Gruppe machen diezenigen aus, welche sich
auf den Weg der Reform schlechterdings nicht einlassen wollen, sei es aus
pessimistischen Bedenken gegen die allgemeine Gangbarkeit dieses Weges, sei es
aus Einwänden des Preußenhasses gegen das Banner, unter welchem die Re¬
formpartei marschirt. In ihr befinden sich z. B. Blind in London, Temme in
Zürich und Kolb in Frankfurt am Main (früher ebenfalls in Zürich). Ob
Freiligrath ebenfalls zu dieser Gruppe zählt oder zu einer gleich zu bezeichnen¬
den dritten, muß dahingestellt bleiben. Gewiß ist, daß er mit Kinkel ge¬
brochen hat, seit dieser dem Nationalverein beigetreten ist, was Blind nicht für
nöthig gehalten. Gewiß ist ferner, daß Freiligrath dem Haupt der dritten
Gruppe persönlich nahe steht: dem geisteskräftigen und die Seinen despotisch
regierenden Karl Marx. Nicht umsonst ist Marx ein Schwager des ehemaligen
preußischen Ministers v. Westphalen; wie dieser dem rechten Extrem, so ge¬
hört jener dem linken Extrem als Flügelmann an. Um Marx halten sich
Trümmer oder Materialien, wie man will, der "proletarischen Partei" geschart,
die es mit der Herrschaft der Mehrheit buchstäblich nimmt und gegen die
Demokraten gemeinen Schlages daher auch eine gründliche Verachtung hegt.
Daß diese Gesellschaft blos von einer Revolution etwas erwarten kann, ist klar.
Ob dagegen die Blind, Temme und Kolb nicht zuletzt doch noch zu einer der
in Deutschland kämpfenden politischen Parteien herübergezogen werden, ist eine
andere Frage. Es ist möglich, daß sie und ihresgleichen, wenn sie einmal wäh¬
len müssen, zum Nationalverein stoßen; die Wahrscheinlichkeit ist aber dafür.


und Belgien bestand kein solches Hinderniß. Sie konnten ihrem Drange nach¬
geben. Es ist also erlaubt zu schließen, daß sie ihre Stellung bereits genommen
haben. Aus den Zeichen von Theilnahme, welche vorliegen, kann mit einer
gewissen Sicherheit auf die überhaupt zu erwartende Theilnahme gefolgert wer¬
den. Unsre Flüchtlinge sind nicht mehr das gespenstisch drohende unbekannte
Etwas, als das besorgte Familienväter und Staatshämorrhoidarien sie bisher
mögen angesehen haben.

Da lassen sich nun drei Schichten ziemlich scharf unterscheiden. Die Einen
stehen der Reformpartei, die im Nationalverein ihre sichtbare Organisation hat,
am nächsten, und sind ihr entweder sofort beigetreten, wie z. B. der letzte Prä¬
sident des Parlaments, Löwe von Calbe. oder sind mehr oder weniger ge¬
neigt sich ihr anzuschließen, seit sie mit der Reichsverfassung ein formulirtes
Programm aufgestellt hat, wie Vogt in Genf, Karl Grün in Brüssel, Ludwig
Simon, Bcunberger und H. B. Oppenheim in Paris, und wie Heinrich Simon
gewesen sein würde, wenn der Wallensee ihn nicht verschlungen hätte. Zu dieser
Gruppe gehört auch Kinkel, der seinen Beitritt erklärte, als Metz und Streit im
letzten Sommer die Londoner Nationalvereinsgenossen besuchten, und Friedrich
Kapp aus Newyork, der einen Theil des letzten Sommers und Herbstes in
Deutschland zugebracht hat. Eine zweite Gruppe machen diezenigen aus, welche sich
auf den Weg der Reform schlechterdings nicht einlassen wollen, sei es aus
pessimistischen Bedenken gegen die allgemeine Gangbarkeit dieses Weges, sei es
aus Einwänden des Preußenhasses gegen das Banner, unter welchem die Re¬
formpartei marschirt. In ihr befinden sich z. B. Blind in London, Temme in
Zürich und Kolb in Frankfurt am Main (früher ebenfalls in Zürich). Ob
Freiligrath ebenfalls zu dieser Gruppe zählt oder zu einer gleich zu bezeichnen¬
den dritten, muß dahingestellt bleiben. Gewiß ist, daß er mit Kinkel ge¬
brochen hat, seit dieser dem Nationalverein beigetreten ist, was Blind nicht für
nöthig gehalten. Gewiß ist ferner, daß Freiligrath dem Haupt der dritten
Gruppe persönlich nahe steht: dem geisteskräftigen und die Seinen despotisch
regierenden Karl Marx. Nicht umsonst ist Marx ein Schwager des ehemaligen
preußischen Ministers v. Westphalen; wie dieser dem rechten Extrem, so ge¬
hört jener dem linken Extrem als Flügelmann an. Um Marx halten sich
Trümmer oder Materialien, wie man will, der „proletarischen Partei" geschart,
die es mit der Herrschaft der Mehrheit buchstäblich nimmt und gegen die
Demokraten gemeinen Schlages daher auch eine gründliche Verachtung hegt.
Daß diese Gesellschaft blos von einer Revolution etwas erwarten kann, ist klar.
Ob dagegen die Blind, Temme und Kolb nicht zuletzt doch noch zu einer der
in Deutschland kämpfenden politischen Parteien herübergezogen werden, ist eine
andere Frage. Es ist möglich, daß sie und ihresgleichen, wenn sie einmal wäh¬
len müssen, zum Nationalverein stoßen; die Wahrscheinlichkeit ist aber dafür.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/23>, abgerufen am 29.04.2024.