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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

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eine große Anzahl Europäer in das Land geführt, aber wir werden bald sehen,
tap dies ein sehr zweifelhafter Gewinn ist. Durch die Verproviantirung
der Arbeitercolonnen, die im Wadi Tumcilat beschäftigt sind, werden nam¬
hafte Geldsummen unter das Volt der benachbarten Provinzen gebracht,
aber wir werden finden, daß auch darin kein Vortheil für das Land im All¬
gemeinen liegt.

Die commerzielle Bedeutung Aegyptens besteht heutzutage fast ausschließlich
in seiner Ausfuhr von Landeöerzeugnissen und i" seiner Einfuhr europäischer
Fabrikwaaren. Für den europäisch-ostasiatischen Verkehr ist es nur als Durch-
gangspunkt wichtig, aber der Transithandel ist schon jetzt, wo ihn die Eisen¬
bahn von Alexandrie" nach Suez vermittelt, keineswegs noch so ergiebig für
das Land als früher, wo die Waarcnströmung sich langsam und wiederholt
aufgehalten zwischen den beiden Meeren hin und her bewegte, während sie jetzt
mit Dampfeseile herüber und hinüberrauscht. Damals gewannen alle für den
Verkehr Arbeitenden, namentlich Spediteure, Kameelführer, Schiffer und Gastwiithe
Erhebliches, und die verschiedenen Zölle und Steuern waren für die Regierung
eine sehr ergiebige Einnahmequelle. Alles das würde ganz wegfallen, wenn
der Hauptkanal wirklich fertig würde und erhalten werden könnte. Die Schiff/
würden dann eben durchfahren, ohne ägyptischen Boden zu berühren, das ägyp¬
tische Volk würde höchstens von der Verproviantirung derselben einigen Nutzen,
die ägyptische Regierung nur von den Gebühren, die beim Eintritt der Fahr¬
zeuge in den Kanal zu zahlen wären, eine Einnahme haben. Letztere sind in¬
deß bereits auf 99 Jahre von Vollendung des Kanals an der Actiengesellschaft
vorbehalten, und erst nach Ablauf dieser Frist tritt die Regierung in deren
Genuß. In der Zwischenzeit bekommt sie nur fünfzehn Procent vom Rein¬
ertrage, der, wie oben gezeigt, ein sehr problematischer sein würde. Dafür
aber hat sie laut der Eoncessionsurtundc erstens der Gesellschaft alle herrenlosen
Gründe, welche für die Kanalbauten erforderlich sein konnten, und die Nutz--
nießung aller der Strecken, welche jene bewässert und anbaut, letztere mit zehn¬
jähriger Steuerbefreiung, zu überlassen und außerdem der Gesellschaft die ab¬
gabenfreie Einführung aller nothwendigen Werkzeuge und Maschinen vom
Ausland sowie die unentgeltliche Ausbeutung der ägyptischen Steinbrüche zu
gestatten.

Ferner liefert die Regierung dem Herrn v. Lesseps die achttausend Ar¬
beiter, die'er bei seinen Bauten bedarf. Diese Arbeiter müssen, da sie, schlecht
genährt und über die Gebühr angestrengt, massenweise sterben, oft ergänzt wer¬
den. Aegyptens Nerv aber ist der Ackerbau, und es liegt auf der Hand, daß
ein jährlicher Abgang von 8000 Bauern, von denen sichern Nachrichten zufolge
ein Viertel nickt wiederkehrt, auf die Wohlfahrt des Landes nachtheilig wirken
muß. Veistet die ägyptische Regierung somit hierdurch schon mit Aufopferung


Greiijbote" I. 18W. 29

eine große Anzahl Europäer in das Land geführt, aber wir werden bald sehen,
tap dies ein sehr zweifelhafter Gewinn ist. Durch die Verproviantirung
der Arbeitercolonnen, die im Wadi Tumcilat beschäftigt sind, werden nam¬
hafte Geldsummen unter das Volt der benachbarten Provinzen gebracht,
aber wir werden finden, daß auch darin kein Vortheil für das Land im All¬
gemeinen liegt.

Die commerzielle Bedeutung Aegyptens besteht heutzutage fast ausschließlich
in seiner Ausfuhr von Landeöerzeugnissen und i» seiner Einfuhr europäischer
Fabrikwaaren. Für den europäisch-ostasiatischen Verkehr ist es nur als Durch-
gangspunkt wichtig, aber der Transithandel ist schon jetzt, wo ihn die Eisen¬
bahn von Alexandrie« nach Suez vermittelt, keineswegs noch so ergiebig für
das Land als früher, wo die Waarcnströmung sich langsam und wiederholt
aufgehalten zwischen den beiden Meeren hin und her bewegte, während sie jetzt
mit Dampfeseile herüber und hinüberrauscht. Damals gewannen alle für den
Verkehr Arbeitenden, namentlich Spediteure, Kameelführer, Schiffer und Gastwiithe
Erhebliches, und die verschiedenen Zölle und Steuern waren für die Regierung
eine sehr ergiebige Einnahmequelle. Alles das würde ganz wegfallen, wenn
der Hauptkanal wirklich fertig würde und erhalten werden könnte. Die Schiff/
würden dann eben durchfahren, ohne ägyptischen Boden zu berühren, das ägyp¬
tische Volk würde höchstens von der Verproviantirung derselben einigen Nutzen,
die ägyptische Regierung nur von den Gebühren, die beim Eintritt der Fahr¬
zeuge in den Kanal zu zahlen wären, eine Einnahme haben. Letztere sind in¬
deß bereits auf 99 Jahre von Vollendung des Kanals an der Actiengesellschaft
vorbehalten, und erst nach Ablauf dieser Frist tritt die Regierung in deren
Genuß. In der Zwischenzeit bekommt sie nur fünfzehn Procent vom Rein¬
ertrage, der, wie oben gezeigt, ein sehr problematischer sein würde. Dafür
aber hat sie laut der Eoncessionsurtundc erstens der Gesellschaft alle herrenlosen
Gründe, welche für die Kanalbauten erforderlich sein konnten, und die Nutz--
nießung aller der Strecken, welche jene bewässert und anbaut, letztere mit zehn¬
jähriger Steuerbefreiung, zu überlassen und außerdem der Gesellschaft die ab¬
gabenfreie Einführung aller nothwendigen Werkzeuge und Maschinen vom
Ausland sowie die unentgeltliche Ausbeutung der ägyptischen Steinbrüche zu
gestatten.

Ferner liefert die Regierung dem Herrn v. Lesseps die achttausend Ar¬
beiter, die'er bei seinen Bauten bedarf. Diese Arbeiter müssen, da sie, schlecht
genährt und über die Gebühr angestrengt, massenweise sterben, oft ergänzt wer¬
den. Aegyptens Nerv aber ist der Ackerbau, und es liegt auf der Hand, daß
ein jährlicher Abgang von 8000 Bauern, von denen sichern Nachrichten zufolge
ein Viertel nickt wiederkehrt, auf die Wohlfahrt des Landes nachtheilig wirken
muß. Veistet die ägyptische Regierung somit hierdurch schon mit Aufopferung


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[0233] eine große Anzahl Europäer in das Land geführt, aber wir werden bald sehen, tap dies ein sehr zweifelhafter Gewinn ist. Durch die Verproviantirung der Arbeitercolonnen, die im Wadi Tumcilat beschäftigt sind, werden nam¬ hafte Geldsummen unter das Volt der benachbarten Provinzen gebracht, aber wir werden finden, daß auch darin kein Vortheil für das Land im All¬ gemeinen liegt. Die commerzielle Bedeutung Aegyptens besteht heutzutage fast ausschließlich in seiner Ausfuhr von Landeöerzeugnissen und i» seiner Einfuhr europäischer Fabrikwaaren. Für den europäisch-ostasiatischen Verkehr ist es nur als Durch- gangspunkt wichtig, aber der Transithandel ist schon jetzt, wo ihn die Eisen¬ bahn von Alexandrie« nach Suez vermittelt, keineswegs noch so ergiebig für das Land als früher, wo die Waarcnströmung sich langsam und wiederholt aufgehalten zwischen den beiden Meeren hin und her bewegte, während sie jetzt mit Dampfeseile herüber und hinüberrauscht. Damals gewannen alle für den Verkehr Arbeitenden, namentlich Spediteure, Kameelführer, Schiffer und Gastwiithe Erhebliches, und die verschiedenen Zölle und Steuern waren für die Regierung eine sehr ergiebige Einnahmequelle. Alles das würde ganz wegfallen, wenn der Hauptkanal wirklich fertig würde und erhalten werden könnte. Die Schiff/ würden dann eben durchfahren, ohne ägyptischen Boden zu berühren, das ägyp¬ tische Volk würde höchstens von der Verproviantirung derselben einigen Nutzen, die ägyptische Regierung nur von den Gebühren, die beim Eintritt der Fahr¬ zeuge in den Kanal zu zahlen wären, eine Einnahme haben. Letztere sind in¬ deß bereits auf 99 Jahre von Vollendung des Kanals an der Actiengesellschaft vorbehalten, und erst nach Ablauf dieser Frist tritt die Regierung in deren Genuß. In der Zwischenzeit bekommt sie nur fünfzehn Procent vom Rein¬ ertrage, der, wie oben gezeigt, ein sehr problematischer sein würde. Dafür aber hat sie laut der Eoncessionsurtundc erstens der Gesellschaft alle herrenlosen Gründe, welche für die Kanalbauten erforderlich sein konnten, und die Nutz-- nießung aller der Strecken, welche jene bewässert und anbaut, letztere mit zehn¬ jähriger Steuerbefreiung, zu überlassen und außerdem der Gesellschaft die ab¬ gabenfreie Einführung aller nothwendigen Werkzeuge und Maschinen vom Ausland sowie die unentgeltliche Ausbeutung der ägyptischen Steinbrüche zu gestatten. Ferner liefert die Regierung dem Herrn v. Lesseps die achttausend Ar¬ beiter, die'er bei seinen Bauten bedarf. Diese Arbeiter müssen, da sie, schlecht genährt und über die Gebühr angestrengt, massenweise sterben, oft ergänzt wer¬ den. Aegyptens Nerv aber ist der Ackerbau, und es liegt auf der Hand, daß ein jährlicher Abgang von 8000 Bauern, von denen sichern Nachrichten zufolge ein Viertel nickt wiederkehrt, auf die Wohlfahrt des Landes nachtheilig wirken muß. Veistet die ägyptische Regierung somit hierdurch schon mit Aufopferung Greiijbote» I. 18W. 29

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/233>, abgerufen am 14.05.2024.