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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

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sie ihn stets auf solche Art in die Oeffentlichkeit stoßen. In stiller Zurück¬
gezogenheit vernarben seine Wunden gewiß eher.

Zu Innsbruck behielt schließlich die liberale Partei das Oberwasser, obwohl
die Klerikalen alle Mittel erschöpften und ihre letzte Reserve in das Treffen
führten. Dieser Sieg, doppelt wichtig, weil er in der Landeshauptstadt errungen
wurde, zeigt, daß auch in Tirol der Fortschritt wesentlich auf dem Bürger-
thum beruht.

Was die Verhandlungen des Landtages betrifft, so sind die ersten Zu¬
ckungen unserer italienischen Frage von allgemeinem Interesse. Aus Wälsch-
tirol erschienen nur fünf Abgeordnete, und diese legten Verwahrung ein, daß
man aus ihrer Theilnahme am Landtag zu Innsbruck nicht etwa auf die Ab¬
sicht schließen möge, als ob sie sich der Majorität in Bezug der Vereinigung
mit Deutschtirol fügten. Wcilschtirol strebe die Trennung an und müsse sie an¬
streben, es hoffe übrigens die Erfüllung seiner gerechten Wünsche. Elf Ab¬
geordnete, welche dem Ruf nach Innsbruck nicht gefolgt waren, schickten die Er¬
klärung ein, daß das Trentino und die wälschen Cousinen bis zur Säcularisation
1803 nie zu Tirol gehört und daher das Recht auf einen eigenen Landtag hät¬
ten. Sie könnten sich daher nicht bestimmt fühlen, aus dem Landtage zu Inns¬
bruck zu erscheinen. Uebrigens sind beide Parteien der Deutschtiroler darin
einig, den Malscher jede mögliche Rücksicht in Bezug auf Selbständigkeit zu
gewähren, jedoch nie und nimmer für das Ausscheiden eines so wichtigen Ge¬
bietes wie das Trentino aus dem deutschen Bunde zu stimmen. Wenn man
übrigens die Parole der Wälschtiroler offen aussprechen soll, so lautet sie auf
Anschluß an Italien. Sie werden dabei wahrlich nicht durch die Aussicht auf
materiellen Gewinn bestimmt; denn es läßt sich statistisch beweisen, daß ihnen
durch die Trennung von Tirol sehr beträchtliche Vortheile entschlüpfen. Es ist das
"Nationalitätsficbcr". wie sich unsere officiellen Blätter ausdrücken; dieses spornt
sie, daß sie den Fleischtöpfen Aegyptens entsagen wollen. Wir müssen sie des¬
wegen nur um so höher achten, obwohl wir andrerseits die Zumuthung lächer¬
lich finden, daß Deutschland und Tirol ihre unzweideutigen Rechte mir nichts
dir nichts aufgeben sollen.

Ein interessantes Zwischenspiel führte die Jnterpellation Goldeggs herbei:
"warum man Depretis kein Wahlcertificat ausgestellt habe, so daß es ihm un¬
möglich gewesen, auf dem Landtage 1861 zu erscheinen." Depretis ist ein
iwlianissimo, den die Regierung wegen seiner entschiedenen Parteifarbe nach
Grecs internirt hatte. Daß unseren Staatsmännern seine Theilnahme am Land¬
tag wenig Freude verursacht hätte, begreift sich daher leicht. Der Statthalter
erwiderte Goldegg: "Man habe den Aufenthalt des Depretis nicht gewußt, und
ihm daher das Wahlcertificat nicht ausfolgen lassen können." Das Beste kommt
nun Hintennach. Soeben theilt man uns aus Innsbruck mit, Depretis habe


sie ihn stets auf solche Art in die Oeffentlichkeit stoßen. In stiller Zurück¬
gezogenheit vernarben seine Wunden gewiß eher.

Zu Innsbruck behielt schließlich die liberale Partei das Oberwasser, obwohl
die Klerikalen alle Mittel erschöpften und ihre letzte Reserve in das Treffen
führten. Dieser Sieg, doppelt wichtig, weil er in der Landeshauptstadt errungen
wurde, zeigt, daß auch in Tirol der Fortschritt wesentlich auf dem Bürger-
thum beruht.

Was die Verhandlungen des Landtages betrifft, so sind die ersten Zu¬
ckungen unserer italienischen Frage von allgemeinem Interesse. Aus Wälsch-
tirol erschienen nur fünf Abgeordnete, und diese legten Verwahrung ein, daß
man aus ihrer Theilnahme am Landtag zu Innsbruck nicht etwa auf die Ab¬
sicht schließen möge, als ob sie sich der Majorität in Bezug der Vereinigung
mit Deutschtirol fügten. Wcilschtirol strebe die Trennung an und müsse sie an¬
streben, es hoffe übrigens die Erfüllung seiner gerechten Wünsche. Elf Ab¬
geordnete, welche dem Ruf nach Innsbruck nicht gefolgt waren, schickten die Er¬
klärung ein, daß das Trentino und die wälschen Cousinen bis zur Säcularisation
1803 nie zu Tirol gehört und daher das Recht auf einen eigenen Landtag hät¬
ten. Sie könnten sich daher nicht bestimmt fühlen, aus dem Landtage zu Inns¬
bruck zu erscheinen. Uebrigens sind beide Parteien der Deutschtiroler darin
einig, den Malscher jede mögliche Rücksicht in Bezug auf Selbständigkeit zu
gewähren, jedoch nie und nimmer für das Ausscheiden eines so wichtigen Ge¬
bietes wie das Trentino aus dem deutschen Bunde zu stimmen. Wenn man
übrigens die Parole der Wälschtiroler offen aussprechen soll, so lautet sie auf
Anschluß an Italien. Sie werden dabei wahrlich nicht durch die Aussicht auf
materiellen Gewinn bestimmt; denn es läßt sich statistisch beweisen, daß ihnen
durch die Trennung von Tirol sehr beträchtliche Vortheile entschlüpfen. Es ist das
„Nationalitätsficbcr". wie sich unsere officiellen Blätter ausdrücken; dieses spornt
sie, daß sie den Fleischtöpfen Aegyptens entsagen wollen. Wir müssen sie des¬
wegen nur um so höher achten, obwohl wir andrerseits die Zumuthung lächer¬
lich finden, daß Deutschland und Tirol ihre unzweideutigen Rechte mir nichts
dir nichts aufgeben sollen.

Ein interessantes Zwischenspiel führte die Jnterpellation Goldeggs herbei:
„warum man Depretis kein Wahlcertificat ausgestellt habe, so daß es ihm un¬
möglich gewesen, auf dem Landtage 1861 zu erscheinen." Depretis ist ein
iwlianissimo, den die Regierung wegen seiner entschiedenen Parteifarbe nach
Grecs internirt hatte. Daß unseren Staatsmännern seine Theilnahme am Land¬
tag wenig Freude verursacht hätte, begreift sich daher leicht. Der Statthalter
erwiderte Goldegg: „Man habe den Aufenthalt des Depretis nicht gewußt, und
ihm daher das Wahlcertificat nicht ausfolgen lassen können." Das Beste kommt
nun Hintennach. Soeben theilt man uns aus Innsbruck mit, Depretis habe


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/238>, abgerufen am 28.04.2024.