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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

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handelte sich darum, eine ideale Form zu finden, in welcher die Vertreter jener
verschiedenen Lebenskreise zu bezeichnenden Gruppen sich verbinden und ihr
innerer Zusammenhang durch die Anordnung zum Ausdruck kommt. Und hier¬
für fand sich ein treffliches Vorbild! die Schule von Athen.

In dieser hat Raphael unternommen, die Hauptzüge der griechischen
Philosophie und Wissenschaft in ihren hervorragenden Repräsentanten darzu¬
stellen: diese in einem idealen Raum versammelt, erhaben gleichsam über die
Noth und den Zufall des geschichtlichen Daseins, in ihrer Größe und unver¬
gänglichen Wirksamkeit vereinigt. Der Gegenstand war ihm nicht so fremd,
als es scheinen könnte, möge ihm immerhin der Graf Castiglione oder Pietro
Bembo die leitenden Gesichtspunkte an die Hand gegeben haben; in jener
Zeit, da das Alterthum sich frisch dem Geiste erschloß, die Kunst an der Antike
groß wurde und der gebildete Italiener für Plato schwärmte, lag das Interesse
für griechische Gedanken und Anschauungen in der Atmosphäre der allgemeinen
Bildung. Daher konnte es der Meisterschaft Raphaels gelingen, jene Ge¬
stalten in ihrer großen Ursprünglichkeit aufzufassen und in der einfachen, mo¬
numentalen Anordnung ihre geistige Bedeutung wenigstens annähernd aus¬
zudrücken. Die architektonische Umgebung, eine Halle im edlen Stil des Bra-
mante, die mit der klaren Ruhe der Antike den Reichthum der Renaissance ver¬
bindet, gibt den passenden Raum ab für die ideale Versammlung. Plato und
Aristoteles, sicher und groß dastehend, nur leicht bewegt, durch einfache Ge¬
berden den Inhalt ihres Gesprächs andeutend, bilden mit dem Chor ihrer
Zuhörer den festen Mittelpunkt, zu dem der Lichtgang und die Linicnordnung
der verschiedenen Gruppen das Auge immer wieder zurückführen. In freierer
Bewegung hat sich links anschließend die sokratische Schule mit ihrem Lehrer
versammelt, rechts in bezeichnenden Stellungen und Gegensätzen die späteren
Philosophen. Zu diesen im oberen Raum Vereinigten, den eigentlichen Ver¬
tretern der Philosophie, leiten die im unteren Theil der Halle angeordneten
Gruppen in anmuthigem Flusse den Blick hinauf, links die schweigsame Gesell¬
schaft der Pythagoräer, rechts Archimedes -- Bramante mit seinen Schülern
und den Astronomen. Die Mitte des Vordergrunds ist sreigeblicben. Auf den
Stufen liegt (im Mittelgrunde) allein und selbstgenügsam Diogenes, während von
ihm weg ein vornehmer Epikuräer leichten Schrittes hinaufschreitet; auch diese
Figuren führen zum Mittelpunkte zurück. Auf das Einzelne einzugehen, ist
hier nicht der Ort: sonst ließe sich leicht zeigen, daß sich besser die Aufgabe,
ein Bild vom geistigen Leben der Griechen zu geben, nicht lösen, einfacher und
anschaulicher die Sache nicht darstellen ließ. Nicht darin zeigt sich das Ver¬
ständniß der Auffassung, daß im Detail und Kostüm das Alterthum genau
wiedergegeben, der eine und andere Kopf nach antiken Büste" gebildet ist;
sondern darin, daß der Künstler seinen Stoff in wenige klare Gruppen aus-


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handelte sich darum, eine ideale Form zu finden, in welcher die Vertreter jener
verschiedenen Lebenskreise zu bezeichnenden Gruppen sich verbinden und ihr
innerer Zusammenhang durch die Anordnung zum Ausdruck kommt. Und hier¬
für fand sich ein treffliches Vorbild! die Schule von Athen.

In dieser hat Raphael unternommen, die Hauptzüge der griechischen
Philosophie und Wissenschaft in ihren hervorragenden Repräsentanten darzu¬
stellen: diese in einem idealen Raum versammelt, erhaben gleichsam über die
Noth und den Zufall des geschichtlichen Daseins, in ihrer Größe und unver¬
gänglichen Wirksamkeit vereinigt. Der Gegenstand war ihm nicht so fremd,
als es scheinen könnte, möge ihm immerhin der Graf Castiglione oder Pietro
Bembo die leitenden Gesichtspunkte an die Hand gegeben haben; in jener
Zeit, da das Alterthum sich frisch dem Geiste erschloß, die Kunst an der Antike
groß wurde und der gebildete Italiener für Plato schwärmte, lag das Interesse
für griechische Gedanken und Anschauungen in der Atmosphäre der allgemeinen
Bildung. Daher konnte es der Meisterschaft Raphaels gelingen, jene Ge¬
stalten in ihrer großen Ursprünglichkeit aufzufassen und in der einfachen, mo¬
numentalen Anordnung ihre geistige Bedeutung wenigstens annähernd aus¬
zudrücken. Die architektonische Umgebung, eine Halle im edlen Stil des Bra-
mante, die mit der klaren Ruhe der Antike den Reichthum der Renaissance ver¬
bindet, gibt den passenden Raum ab für die ideale Versammlung. Plato und
Aristoteles, sicher und groß dastehend, nur leicht bewegt, durch einfache Ge¬
berden den Inhalt ihres Gesprächs andeutend, bilden mit dem Chor ihrer
Zuhörer den festen Mittelpunkt, zu dem der Lichtgang und die Linicnordnung
der verschiedenen Gruppen das Auge immer wieder zurückführen. In freierer
Bewegung hat sich links anschließend die sokratische Schule mit ihrem Lehrer
versammelt, rechts in bezeichnenden Stellungen und Gegensätzen die späteren
Philosophen. Zu diesen im oberen Raum Vereinigten, den eigentlichen Ver¬
tretern der Philosophie, leiten die im unteren Theil der Halle angeordneten
Gruppen in anmuthigem Flusse den Blick hinauf, links die schweigsame Gesell¬
schaft der Pythagoräer, rechts Archimedes — Bramante mit seinen Schülern
und den Astronomen. Die Mitte des Vordergrunds ist sreigeblicben. Auf den
Stufen liegt (im Mittelgrunde) allein und selbstgenügsam Diogenes, während von
ihm weg ein vornehmer Epikuräer leichten Schrittes hinaufschreitet; auch diese
Figuren führen zum Mittelpunkte zurück. Auf das Einzelne einzugehen, ist
hier nicht der Ort: sonst ließe sich leicht zeigen, daß sich besser die Aufgabe,
ein Bild vom geistigen Leben der Griechen zu geben, nicht lösen, einfacher und
anschaulicher die Sache nicht darstellen ließ. Nicht darin zeigt sich das Ver¬
ständniß der Auffassung, daß im Detail und Kostüm das Alterthum genau
wiedergegeben, der eine und andere Kopf nach antiken Büste» gebildet ist;
sondern darin, daß der Künstler seinen Stoff in wenige klare Gruppen aus-


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[0259] handelte sich darum, eine ideale Form zu finden, in welcher die Vertreter jener verschiedenen Lebenskreise zu bezeichnenden Gruppen sich verbinden und ihr innerer Zusammenhang durch die Anordnung zum Ausdruck kommt. Und hier¬ für fand sich ein treffliches Vorbild! die Schule von Athen. In dieser hat Raphael unternommen, die Hauptzüge der griechischen Philosophie und Wissenschaft in ihren hervorragenden Repräsentanten darzu¬ stellen: diese in einem idealen Raum versammelt, erhaben gleichsam über die Noth und den Zufall des geschichtlichen Daseins, in ihrer Größe und unver¬ gänglichen Wirksamkeit vereinigt. Der Gegenstand war ihm nicht so fremd, als es scheinen könnte, möge ihm immerhin der Graf Castiglione oder Pietro Bembo die leitenden Gesichtspunkte an die Hand gegeben haben; in jener Zeit, da das Alterthum sich frisch dem Geiste erschloß, die Kunst an der Antike groß wurde und der gebildete Italiener für Plato schwärmte, lag das Interesse für griechische Gedanken und Anschauungen in der Atmosphäre der allgemeinen Bildung. Daher konnte es der Meisterschaft Raphaels gelingen, jene Ge¬ stalten in ihrer großen Ursprünglichkeit aufzufassen und in der einfachen, mo¬ numentalen Anordnung ihre geistige Bedeutung wenigstens annähernd aus¬ zudrücken. Die architektonische Umgebung, eine Halle im edlen Stil des Bra- mante, die mit der klaren Ruhe der Antike den Reichthum der Renaissance ver¬ bindet, gibt den passenden Raum ab für die ideale Versammlung. Plato und Aristoteles, sicher und groß dastehend, nur leicht bewegt, durch einfache Ge¬ berden den Inhalt ihres Gesprächs andeutend, bilden mit dem Chor ihrer Zuhörer den festen Mittelpunkt, zu dem der Lichtgang und die Linicnordnung der verschiedenen Gruppen das Auge immer wieder zurückführen. In freierer Bewegung hat sich links anschließend die sokratische Schule mit ihrem Lehrer versammelt, rechts in bezeichnenden Stellungen und Gegensätzen die späteren Philosophen. Zu diesen im oberen Raum Vereinigten, den eigentlichen Ver¬ tretern der Philosophie, leiten die im unteren Theil der Halle angeordneten Gruppen in anmuthigem Flusse den Blick hinauf, links die schweigsame Gesell¬ schaft der Pythagoräer, rechts Archimedes — Bramante mit seinen Schülern und den Astronomen. Die Mitte des Vordergrunds ist sreigeblicben. Auf den Stufen liegt (im Mittelgrunde) allein und selbstgenügsam Diogenes, während von ihm weg ein vornehmer Epikuräer leichten Schrittes hinaufschreitet; auch diese Figuren führen zum Mittelpunkte zurück. Auf das Einzelne einzugehen, ist hier nicht der Ort: sonst ließe sich leicht zeigen, daß sich besser die Aufgabe, ein Bild vom geistigen Leben der Griechen zu geben, nicht lösen, einfacher und anschaulicher die Sache nicht darstellen ließ. Nicht darin zeigt sich das Ver¬ ständniß der Auffassung, daß im Detail und Kostüm das Alterthum genau wiedergegeben, der eine und andere Kopf nach antiken Büste» gebildet ist; sondern darin, daß der Künstler seinen Stoff in wenige klare Gruppen aus- 32*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/259>, abgerufen am 28.05.2024.