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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

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Gericht persönlich führte, wodurch die Uebernahme der Processe von Seiten
juristisch gebildeter Sachwalter ein Ding der Unmöglichkeit wurde. Nur in
Krankheitsfällen gestattete man eine Ausnahme von dieser Regel, wie z, B.
für den an seinen Wunden darniederliegenden, des Hochverrates angeklagten
Miltiades, dessen Bruder Tisagvras, und für den kranken Jsolrates, dessen
Sohn Aphareus plaidirte; natürlich galt es auch als Entschuldigung, wenn
man, wie des Jsol'rades Freund Niklas, notorisch unfähig war, im Zusammen-
hange zu sprechen. Wiewohl sich nun voraussetzen läßt, daß bei einem Volke,
das in allen Stücken an die Oeffentlichkeit und an das mündliche Verfahren
so , gewöhnt war, wie das ätherische, die Nedefertigteit nicht so dünn gesäet
gewesen sein wird, wie bei uns, so mag doch manches Herzklopfen und Kopf¬
zerbrechen den ersten Redevcrsuchcn vorausgegangen sein. Darauf deutet auch
Aristophanes hin, wenn er in seinen "Rittern" Kleon zum Wursthändler
sagen läßt: "Es geht Dir wie den meisten Menschen. Wenn Du einmal
gegen einen fremden Schutzgenossen ein Proceßchen wohl führtest, dabei die Nacht
durch schwatzend und Selbstgespräche auf den Straßen haltend, und Wasser
trinkend und prahlend und die Freunde belästigend, so würdest Du wohl gar
für einen tüchtigen Redner gehalten." Doch half man sich bei eigener Un-
geübtheit dadurch, daß man selbst nur einen kurzen Vortrag an die Richter
hielt und dann mit Erlaubniß derselben die Beistände aus der Zahl seiner
Freunde, welche man mitbringen durfte, die eigentliche Anklage- und Verthei-
digungsrede halten ließ.

Ferner lag es auch sehr nahe, sich dadurch aus der Verlegenheit zu ret¬
ten, daß man sich von einem sachkundigen Manne eine Rede ausarbeiten
ließ und dieselbe seinem Gedächtniß einprägte, und wenn auch der streng
gesetzliche Sokrates darin eine Umgehung des Gesetzes erblicken wollte, die
ihm von Lysias angebotene Vertheidigungsrede deshalb zurückwies und seinem
treuen Schüler Aeschines, der aus Armuth für Andere gerichtliche Reben
verfertigte, riech, doch lieber dadurch von sich selbst zu borgen, daß er sich
im Genusse der Speisen beschränkte, so war man doch damals längst über
derartige Scrupel hinweg. Der erste Meister in der tunstmäßigcn politischen
Rede, Antiphon, soll zuerst solche Reden für Geld ausgearbeitet haben, und da
seine Geschicklichkeit und die Unwiderstehlich^ seiner Worte bekannt waren,
so erhielt er auch die hohen Preise, die er stellte. Und trotzdem, daß die
komischen Dichter den neuen Erwerbszweig mit ihrem Spotte geißelten, fand
AntiPhon viele Nachfolger. So sah sich auch Jsokrates durch schwächliche
Constitution und eingeborne Schüchternheit genöthigt, auf die politische Lauf¬
bahn zu verzichten, gründete eine berühmte Schule und fertigte gerichtliche
Reden für Andere. In der einzigen Rede, die er, und zwar für sich selbst
gehalten hat, erwähnt er geradezu, daß es eine große Menge Leute gäbe, die si


Gericht persönlich führte, wodurch die Uebernahme der Processe von Seiten
juristisch gebildeter Sachwalter ein Ding der Unmöglichkeit wurde. Nur in
Krankheitsfällen gestattete man eine Ausnahme von dieser Regel, wie z, B.
für den an seinen Wunden darniederliegenden, des Hochverrates angeklagten
Miltiades, dessen Bruder Tisagvras, und für den kranken Jsolrates, dessen
Sohn Aphareus plaidirte; natürlich galt es auch als Entschuldigung, wenn
man, wie des Jsol'rades Freund Niklas, notorisch unfähig war, im Zusammen-
hange zu sprechen. Wiewohl sich nun voraussetzen läßt, daß bei einem Volke,
das in allen Stücken an die Oeffentlichkeit und an das mündliche Verfahren
so , gewöhnt war, wie das ätherische, die Nedefertigteit nicht so dünn gesäet
gewesen sein wird, wie bei uns, so mag doch manches Herzklopfen und Kopf¬
zerbrechen den ersten Redevcrsuchcn vorausgegangen sein. Darauf deutet auch
Aristophanes hin, wenn er in seinen „Rittern" Kleon zum Wursthändler
sagen läßt: „Es geht Dir wie den meisten Menschen. Wenn Du einmal
gegen einen fremden Schutzgenossen ein Proceßchen wohl führtest, dabei die Nacht
durch schwatzend und Selbstgespräche auf den Straßen haltend, und Wasser
trinkend und prahlend und die Freunde belästigend, so würdest Du wohl gar
für einen tüchtigen Redner gehalten." Doch half man sich bei eigener Un-
geübtheit dadurch, daß man selbst nur einen kurzen Vortrag an die Richter
hielt und dann mit Erlaubniß derselben die Beistände aus der Zahl seiner
Freunde, welche man mitbringen durfte, die eigentliche Anklage- und Verthei-
digungsrede halten ließ.

Ferner lag es auch sehr nahe, sich dadurch aus der Verlegenheit zu ret¬
ten, daß man sich von einem sachkundigen Manne eine Rede ausarbeiten
ließ und dieselbe seinem Gedächtniß einprägte, und wenn auch der streng
gesetzliche Sokrates darin eine Umgehung des Gesetzes erblicken wollte, die
ihm von Lysias angebotene Vertheidigungsrede deshalb zurückwies und seinem
treuen Schüler Aeschines, der aus Armuth für Andere gerichtliche Reben
verfertigte, riech, doch lieber dadurch von sich selbst zu borgen, daß er sich
im Genusse der Speisen beschränkte, so war man doch damals längst über
derartige Scrupel hinweg. Der erste Meister in der tunstmäßigcn politischen
Rede, Antiphon, soll zuerst solche Reden für Geld ausgearbeitet haben, und da
seine Geschicklichkeit und die Unwiderstehlich^ seiner Worte bekannt waren,
so erhielt er auch die hohen Preise, die er stellte. Und trotzdem, daß die
komischen Dichter den neuen Erwerbszweig mit ihrem Spotte geißelten, fand
AntiPhon viele Nachfolger. So sah sich auch Jsokrates durch schwächliche
Constitution und eingeborne Schüchternheit genöthigt, auf die politische Lauf¬
bahn zu verzichten, gründete eine berühmte Schule und fertigte gerichtliche
Reden für Andere. In der einzigen Rede, die er, und zwar für sich selbst
gehalten hat, erwähnt er geradezu, daß es eine große Menge Leute gäbe, die si


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[0026] Gericht persönlich führte, wodurch die Uebernahme der Processe von Seiten juristisch gebildeter Sachwalter ein Ding der Unmöglichkeit wurde. Nur in Krankheitsfällen gestattete man eine Ausnahme von dieser Regel, wie z, B. für den an seinen Wunden darniederliegenden, des Hochverrates angeklagten Miltiades, dessen Bruder Tisagvras, und für den kranken Jsolrates, dessen Sohn Aphareus plaidirte; natürlich galt es auch als Entschuldigung, wenn man, wie des Jsol'rades Freund Niklas, notorisch unfähig war, im Zusammen- hange zu sprechen. Wiewohl sich nun voraussetzen läßt, daß bei einem Volke, das in allen Stücken an die Oeffentlichkeit und an das mündliche Verfahren so , gewöhnt war, wie das ätherische, die Nedefertigteit nicht so dünn gesäet gewesen sein wird, wie bei uns, so mag doch manches Herzklopfen und Kopf¬ zerbrechen den ersten Redevcrsuchcn vorausgegangen sein. Darauf deutet auch Aristophanes hin, wenn er in seinen „Rittern" Kleon zum Wursthändler sagen läßt: „Es geht Dir wie den meisten Menschen. Wenn Du einmal gegen einen fremden Schutzgenossen ein Proceßchen wohl führtest, dabei die Nacht durch schwatzend und Selbstgespräche auf den Straßen haltend, und Wasser trinkend und prahlend und die Freunde belästigend, so würdest Du wohl gar für einen tüchtigen Redner gehalten." Doch half man sich bei eigener Un- geübtheit dadurch, daß man selbst nur einen kurzen Vortrag an die Richter hielt und dann mit Erlaubniß derselben die Beistände aus der Zahl seiner Freunde, welche man mitbringen durfte, die eigentliche Anklage- und Verthei- digungsrede halten ließ. Ferner lag es auch sehr nahe, sich dadurch aus der Verlegenheit zu ret¬ ten, daß man sich von einem sachkundigen Manne eine Rede ausarbeiten ließ und dieselbe seinem Gedächtniß einprägte, und wenn auch der streng gesetzliche Sokrates darin eine Umgehung des Gesetzes erblicken wollte, die ihm von Lysias angebotene Vertheidigungsrede deshalb zurückwies und seinem treuen Schüler Aeschines, der aus Armuth für Andere gerichtliche Reben verfertigte, riech, doch lieber dadurch von sich selbst zu borgen, daß er sich im Genusse der Speisen beschränkte, so war man doch damals längst über derartige Scrupel hinweg. Der erste Meister in der tunstmäßigcn politischen Rede, Antiphon, soll zuerst solche Reden für Geld ausgearbeitet haben, und da seine Geschicklichkeit und die Unwiderstehlich^ seiner Worte bekannt waren, so erhielt er auch die hohen Preise, die er stellte. Und trotzdem, daß die komischen Dichter den neuen Erwerbszweig mit ihrem Spotte geißelten, fand AntiPhon viele Nachfolger. So sah sich auch Jsokrates durch schwächliche Constitution und eingeborne Schüchternheit genöthigt, auf die politische Lauf¬ bahn zu verzichten, gründete eine berühmte Schule und fertigte gerichtliche Reden für Andere. In der einzigen Rede, die er, und zwar für sich selbst gehalten hat, erwähnt er geradezu, daß es eine große Menge Leute gäbe, die si

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/26>, abgerufen am 29.04.2024.