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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

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größere Wohlthat erwies wie nachmals Johann Svbiesti den Mienern. Doch
ist hier nicht der Ort, die Verdienste des deutschen Ritterordens um die
europäische Cultur herzuzählen.

Wenden wir uns lieber zur genauern Beachtung der Art, wie die Ein¬
wanderung vor sich ging.

Gewöhnlich wurde, um ein neues Dorf zu begründen, nach vorgängiger
Genehmigung des Landesherrn ein dazu geeigneter Unternehmer, "Locator"
engagirt und diesem die dazu bestimmte Landstrecke nach Hufen in drei Feldern
zugemessen und durch eine Urkunde mit der Verpflichtung verschrieben, sie mit
neuen Bewohnern zu besetzen und eine Dorfgemeinde daraus zu bilden. Für
das Schulzenamt, welches in der Regel der Unternehmer, meist als erbliches
Recht, überkam, wurden einige Hufen, ebenso für.den Krüger und zwar erstere
jeder Zeit abgabenfrei, angewiesen. Dem Schulzen lag es ob, die Dorfordnung
aufrecht zu erhalten, Streitigkeiten unter den Bauern zu schlichten und zu ent¬
scheiden, für die Sicherheit zu sorgen, kurz die Polizei und die niedre Gerichtsbar¬
keit zu verwalten, wo bei ihm Schöffen zur Seite standen. Nur die höhere Ge¬
richtsbarkeit verblieb dem Grundherrn. Der Schulze zog die diesem zustehenden
Abgaben ein und führte sie ab. Die Ansiedler hatten persönliche Freiheit, waren
von der Gerichtsbarkeit der Kastellane und anderer fürstlichen Beamten eximirt,
Eigenthümer ihres Landes und Bodens und erfreuten sich auch anderer Vorrechte,
so daß ihre Dörfer, wie Oasen in der Wüste, mitten unter den gedrückten und
geknechteten, der adligen Willkür rechtlos preisgegebenen Wohnungen der polnischen
Bauern lagen. Freilich waren alle diese Vortheile nur eine billige Ausgleichung
gegen die Beschwerden und Gefahren, welche die Einwanderer in einem von innern
und äußern Kämpfen zerrütteten Lande, dessen Sprache und Sitten ihnen fremd
waren, zu bestehen hatten, und der Gewinn, den sie durch Vermehrung der
Bevölkerung, erhöhte Cultur und gesteigerten Verkehr ihrer neuen Heimath
brachten, war größer als ihr eigener Vortheil.

Aber die Reaction, die Verletzung verbriefter Rechte begann zeitig, sobald
die Macht des polnischen Adels über die der Landesregierung emporstieg, und
gerade die Exemtion der Deutschen von den fürstlichen Gerichien gab sie einer
Willkür preis, gegen welche Urkunden und landesherrliche Privilegien leinen
ausreichenden Schutz gewährten. Unter den polnischen Fürsten traten nameur-
lieh Easimir der Große von 1333--1370 und Wladislaw Iagiellv warm für
die Deutschen ein. Letzterer gab 1406 dem Erzbischof von Gnesen ein Patent,
neue Städte und Dörfer zu deutschen Rechten anzulegen, frei "von allen polnischen
Rechte", Weisen und Gewohnheiten, welche meistentheils das deutsche Recht gestört
haben" (^b oumibuL M'idus pvlmrieis aucti^ et ooiiZUötudiiüdu" kinn,ö ipisum
ius tKtZutomvum vovsuvvvrunt pvrturbare). Nach ihm kam der Fluß ins Stocken.
Die noch serner zu deutschen Rechten gegründeten Dörfer wurden an Polen über


größere Wohlthat erwies wie nachmals Johann Svbiesti den Mienern. Doch
ist hier nicht der Ort, die Verdienste des deutschen Ritterordens um die
europäische Cultur herzuzählen.

Wenden wir uns lieber zur genauern Beachtung der Art, wie die Ein¬
wanderung vor sich ging.

Gewöhnlich wurde, um ein neues Dorf zu begründen, nach vorgängiger
Genehmigung des Landesherrn ein dazu geeigneter Unternehmer, „Locator"
engagirt und diesem die dazu bestimmte Landstrecke nach Hufen in drei Feldern
zugemessen und durch eine Urkunde mit der Verpflichtung verschrieben, sie mit
neuen Bewohnern zu besetzen und eine Dorfgemeinde daraus zu bilden. Für
das Schulzenamt, welches in der Regel der Unternehmer, meist als erbliches
Recht, überkam, wurden einige Hufen, ebenso für.den Krüger und zwar erstere
jeder Zeit abgabenfrei, angewiesen. Dem Schulzen lag es ob, die Dorfordnung
aufrecht zu erhalten, Streitigkeiten unter den Bauern zu schlichten und zu ent¬
scheiden, für die Sicherheit zu sorgen, kurz die Polizei und die niedre Gerichtsbar¬
keit zu verwalten, wo bei ihm Schöffen zur Seite standen. Nur die höhere Ge¬
richtsbarkeit verblieb dem Grundherrn. Der Schulze zog die diesem zustehenden
Abgaben ein und führte sie ab. Die Ansiedler hatten persönliche Freiheit, waren
von der Gerichtsbarkeit der Kastellane und anderer fürstlichen Beamten eximirt,
Eigenthümer ihres Landes und Bodens und erfreuten sich auch anderer Vorrechte,
so daß ihre Dörfer, wie Oasen in der Wüste, mitten unter den gedrückten und
geknechteten, der adligen Willkür rechtlos preisgegebenen Wohnungen der polnischen
Bauern lagen. Freilich waren alle diese Vortheile nur eine billige Ausgleichung
gegen die Beschwerden und Gefahren, welche die Einwanderer in einem von innern
und äußern Kämpfen zerrütteten Lande, dessen Sprache und Sitten ihnen fremd
waren, zu bestehen hatten, und der Gewinn, den sie durch Vermehrung der
Bevölkerung, erhöhte Cultur und gesteigerten Verkehr ihrer neuen Heimath
brachten, war größer als ihr eigener Vortheil.

Aber die Reaction, die Verletzung verbriefter Rechte begann zeitig, sobald
die Macht des polnischen Adels über die der Landesregierung emporstieg, und
gerade die Exemtion der Deutschen von den fürstlichen Gerichien gab sie einer
Willkür preis, gegen welche Urkunden und landesherrliche Privilegien leinen
ausreichenden Schutz gewährten. Unter den polnischen Fürsten traten nameur-
lieh Easimir der Große von 1333—1370 und Wladislaw Iagiellv warm für
die Deutschen ein. Letzterer gab 1406 dem Erzbischof von Gnesen ein Patent,
neue Städte und Dörfer zu deutschen Rechten anzulegen, frei „von allen polnischen
Rechte», Weisen und Gewohnheiten, welche meistentheils das deutsche Recht gestört
haben" (^b oumibuL M'idus pvlmrieis aucti^ et ooiiZUötudiiüdu« kinn,ö ipisum
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Die noch serner zu deutschen Rechten gegründeten Dörfer wurden an Polen über


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[0271] größere Wohlthat erwies wie nachmals Johann Svbiesti den Mienern. Doch ist hier nicht der Ort, die Verdienste des deutschen Ritterordens um die europäische Cultur herzuzählen. Wenden wir uns lieber zur genauern Beachtung der Art, wie die Ein¬ wanderung vor sich ging. Gewöhnlich wurde, um ein neues Dorf zu begründen, nach vorgängiger Genehmigung des Landesherrn ein dazu geeigneter Unternehmer, „Locator" engagirt und diesem die dazu bestimmte Landstrecke nach Hufen in drei Feldern zugemessen und durch eine Urkunde mit der Verpflichtung verschrieben, sie mit neuen Bewohnern zu besetzen und eine Dorfgemeinde daraus zu bilden. Für das Schulzenamt, welches in der Regel der Unternehmer, meist als erbliches Recht, überkam, wurden einige Hufen, ebenso für.den Krüger und zwar erstere jeder Zeit abgabenfrei, angewiesen. Dem Schulzen lag es ob, die Dorfordnung aufrecht zu erhalten, Streitigkeiten unter den Bauern zu schlichten und zu ent¬ scheiden, für die Sicherheit zu sorgen, kurz die Polizei und die niedre Gerichtsbar¬ keit zu verwalten, wo bei ihm Schöffen zur Seite standen. Nur die höhere Ge¬ richtsbarkeit verblieb dem Grundherrn. Der Schulze zog die diesem zustehenden Abgaben ein und führte sie ab. Die Ansiedler hatten persönliche Freiheit, waren von der Gerichtsbarkeit der Kastellane und anderer fürstlichen Beamten eximirt, Eigenthümer ihres Landes und Bodens und erfreuten sich auch anderer Vorrechte, so daß ihre Dörfer, wie Oasen in der Wüste, mitten unter den gedrückten und geknechteten, der adligen Willkür rechtlos preisgegebenen Wohnungen der polnischen Bauern lagen. Freilich waren alle diese Vortheile nur eine billige Ausgleichung gegen die Beschwerden und Gefahren, welche die Einwanderer in einem von innern und äußern Kämpfen zerrütteten Lande, dessen Sprache und Sitten ihnen fremd waren, zu bestehen hatten, und der Gewinn, den sie durch Vermehrung der Bevölkerung, erhöhte Cultur und gesteigerten Verkehr ihrer neuen Heimath brachten, war größer als ihr eigener Vortheil. Aber die Reaction, die Verletzung verbriefter Rechte begann zeitig, sobald die Macht des polnischen Adels über die der Landesregierung emporstieg, und gerade die Exemtion der Deutschen von den fürstlichen Gerichien gab sie einer Willkür preis, gegen welche Urkunden und landesherrliche Privilegien leinen ausreichenden Schutz gewährten. Unter den polnischen Fürsten traten nameur- lieh Easimir der Große von 1333—1370 und Wladislaw Iagiellv warm für die Deutschen ein. Letzterer gab 1406 dem Erzbischof von Gnesen ein Patent, neue Städte und Dörfer zu deutschen Rechten anzulegen, frei „von allen polnischen Rechte», Weisen und Gewohnheiten, welche meistentheils das deutsche Recht gestört haben" (^b oumibuL M'idus pvlmrieis aucti^ et ooiiZUötudiiüdu« kinn,ö ipisum ius tKtZutomvum vovsuvvvrunt pvrturbare). Nach ihm kam der Fluß ins Stocken. Die noch serner zu deutschen Rechten gegründeten Dörfer wurden an Polen über

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/271>, abgerufen am 28.05.2024.