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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

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schen Buchs doppelt zu bedauern. Je umfassender das Werk angelegt, mit je
größerer Vollendung es ausgeführt ist, um so schärfer treten auch die Stellen
hervor, wo uns die Hand authentischer Geschichtserzählung verläßt. H. Grimm
arbeitete mit einem weit reicheren Material als alle seine Vorgänger, aber noch
nicht mit dem ganzen. Er selbst fühlte diesen Mangel am besten, der nicht
sein Verschulden ist und eine Zeit lang selbst die Fortsetzung der Arbeit in
Frage stellte.

Am Schlüsse des ersten Theils hatte er die Hoffnung ausgesprochen, daß
er für die Fortsetzung den handschriftlichen Nachlaß Michelangelos werde be¬
nutzen können, der zu Anfang des Jahres 18S8 durch das Vermächtniß des
florentinischen Staatsministers Cosimo Buonarroti in den Besitz der Stadt
Florenz gelangte, und zu welchem zwei Jahre später "ach dem Tode des letzten
Sprößlings der Familie, des Malers Michelangelo Buonarroti, auch noch der
Rest des Familienarchivs kam. Diese Hoffnung ging nicht in Erfüllung. Nicht
nur durfte er selbst in Florenz keine Einsicht von den Papieren nehmen, sondern
auch ihre Bekanntmachung durch den Druck ist überhaupt noch zweifelhaft, da
das Testament des Cosimo Buonarroti ausdrücklich die Clausel enthalt, daß
von den Papieren wie von den Handzeichnungen nichts veröffentlicht werden
solle. Indessen darf man, wie es scheint, die Hoffnung doch nicht aufgeben, daß
die Stadt, wie dies dringend im wissenschaftlichen Interesse liegt, auf irgend eine
Weise diese Verordnung umgehen werde. Auch gab man mir im Sommer 1861
in Florenz zu verstehen, daß es mehr eine gewisse Eifersucht der Stadt sei,
welche einem Ausländer die Einsicht und Benutzung der Papiere nicht ver¬
statten wolle, da sie selbst, die Eigenthümerin, den Ruhm beanspruche, daß
ihre eigenen Gelehrten mit der Benutzung dieses werthvollen Materials voran¬
gingen. Und mit den Vorarbeiten zur Herausgabe sind in der That die floren-
tinischen Gelehrten längst beschäftigt. Als Verwaltungsrath für den ge-
sammten Nachlaß wurden in jenem Testament der Director der Galerie der
Statuen, der Director der Laurcnziana und der Bürgermeister der Stadt ein¬
gesetzt. Von ihnen erhielt zuerst der Beamte an der Galerie der Statuen,
I. C. Cavallucci, die Erlaubniß, den Nachlaß einzusehen, die Documente zu
copiren und für den Druck vorzubereiten, zu welchem Geschäft ihm sein College
Carlo Pini und Gaetano Milanesi, Mitglied der Crusca und Director des
toscanischen Centralarchivs beigegeben wurden. Carlo Milanesi konnte schon
im ersten Hefi des ^iclrivio storiev vom Jahre 1861 berichten, daß die Co-
Pirung und Sichtung vollendet und die ganze Sammlung druckfertig sei. Nach¬
dem nun die Sache so weit gediehen, die florentinischen Gelehrten ausgedehnte
Einsicht von den Schätzen genommen, ist in der That nicht mehr einzusehen,
was der Herausgabe im Wege stehen soll. Mit Recht sagt C. Milanesi: "offen¬
bar Halle Buonarroti mit seiner Schenkung die Absicht, für die bessere Erbat-


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schen Buchs doppelt zu bedauern. Je umfassender das Werk angelegt, mit je
größerer Vollendung es ausgeführt ist, um so schärfer treten auch die Stellen
hervor, wo uns die Hand authentischer Geschichtserzählung verläßt. H. Grimm
arbeitete mit einem weit reicheren Material als alle seine Vorgänger, aber noch
nicht mit dem ganzen. Er selbst fühlte diesen Mangel am besten, der nicht
sein Verschulden ist und eine Zeit lang selbst die Fortsetzung der Arbeit in
Frage stellte.

Am Schlüsse des ersten Theils hatte er die Hoffnung ausgesprochen, daß
er für die Fortsetzung den handschriftlichen Nachlaß Michelangelos werde be¬
nutzen können, der zu Anfang des Jahres 18S8 durch das Vermächtniß des
florentinischen Staatsministers Cosimo Buonarroti in den Besitz der Stadt
Florenz gelangte, und zu welchem zwei Jahre später »ach dem Tode des letzten
Sprößlings der Familie, des Malers Michelangelo Buonarroti, auch noch der
Rest des Familienarchivs kam. Diese Hoffnung ging nicht in Erfüllung. Nicht
nur durfte er selbst in Florenz keine Einsicht von den Papieren nehmen, sondern
auch ihre Bekanntmachung durch den Druck ist überhaupt noch zweifelhaft, da
das Testament des Cosimo Buonarroti ausdrücklich die Clausel enthalt, daß
von den Papieren wie von den Handzeichnungen nichts veröffentlicht werden
solle. Indessen darf man, wie es scheint, die Hoffnung doch nicht aufgeben, daß
die Stadt, wie dies dringend im wissenschaftlichen Interesse liegt, auf irgend eine
Weise diese Verordnung umgehen werde. Auch gab man mir im Sommer 1861
in Florenz zu verstehen, daß es mehr eine gewisse Eifersucht der Stadt sei,
welche einem Ausländer die Einsicht und Benutzung der Papiere nicht ver¬
statten wolle, da sie selbst, die Eigenthümerin, den Ruhm beanspruche, daß
ihre eigenen Gelehrten mit der Benutzung dieses werthvollen Materials voran¬
gingen. Und mit den Vorarbeiten zur Herausgabe sind in der That die floren-
tinischen Gelehrten längst beschäftigt. Als Verwaltungsrath für den ge-
sammten Nachlaß wurden in jenem Testament der Director der Galerie der
Statuen, der Director der Laurcnziana und der Bürgermeister der Stadt ein¬
gesetzt. Von ihnen erhielt zuerst der Beamte an der Galerie der Statuen,
I. C. Cavallucci, die Erlaubniß, den Nachlaß einzusehen, die Documente zu
copiren und für den Druck vorzubereiten, zu welchem Geschäft ihm sein College
Carlo Pini und Gaetano Milanesi, Mitglied der Crusca und Director des
toscanischen Centralarchivs beigegeben wurden. Carlo Milanesi konnte schon
im ersten Hefi des ^iclrivio storiev vom Jahre 1861 berichten, daß die Co-
Pirung und Sichtung vollendet und die ganze Sammlung druckfertig sei. Nach¬
dem nun die Sache so weit gediehen, die florentinischen Gelehrten ausgedehnte
Einsicht von den Schätzen genommen, ist in der That nicht mehr einzusehen,
was der Herausgabe im Wege stehen soll. Mit Recht sagt C. Milanesi: „offen¬
bar Halle Buonarroti mit seiner Schenkung die Absicht, für die bessere Erbat-


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[0299] schen Buchs doppelt zu bedauern. Je umfassender das Werk angelegt, mit je größerer Vollendung es ausgeführt ist, um so schärfer treten auch die Stellen hervor, wo uns die Hand authentischer Geschichtserzählung verläßt. H. Grimm arbeitete mit einem weit reicheren Material als alle seine Vorgänger, aber noch nicht mit dem ganzen. Er selbst fühlte diesen Mangel am besten, der nicht sein Verschulden ist und eine Zeit lang selbst die Fortsetzung der Arbeit in Frage stellte. Am Schlüsse des ersten Theils hatte er die Hoffnung ausgesprochen, daß er für die Fortsetzung den handschriftlichen Nachlaß Michelangelos werde be¬ nutzen können, der zu Anfang des Jahres 18S8 durch das Vermächtniß des florentinischen Staatsministers Cosimo Buonarroti in den Besitz der Stadt Florenz gelangte, und zu welchem zwei Jahre später »ach dem Tode des letzten Sprößlings der Familie, des Malers Michelangelo Buonarroti, auch noch der Rest des Familienarchivs kam. Diese Hoffnung ging nicht in Erfüllung. Nicht nur durfte er selbst in Florenz keine Einsicht von den Papieren nehmen, sondern auch ihre Bekanntmachung durch den Druck ist überhaupt noch zweifelhaft, da das Testament des Cosimo Buonarroti ausdrücklich die Clausel enthalt, daß von den Papieren wie von den Handzeichnungen nichts veröffentlicht werden solle. Indessen darf man, wie es scheint, die Hoffnung doch nicht aufgeben, daß die Stadt, wie dies dringend im wissenschaftlichen Interesse liegt, auf irgend eine Weise diese Verordnung umgehen werde. Auch gab man mir im Sommer 1861 in Florenz zu verstehen, daß es mehr eine gewisse Eifersucht der Stadt sei, welche einem Ausländer die Einsicht und Benutzung der Papiere nicht ver¬ statten wolle, da sie selbst, die Eigenthümerin, den Ruhm beanspruche, daß ihre eigenen Gelehrten mit der Benutzung dieses werthvollen Materials voran¬ gingen. Und mit den Vorarbeiten zur Herausgabe sind in der That die floren- tinischen Gelehrten längst beschäftigt. Als Verwaltungsrath für den ge- sammten Nachlaß wurden in jenem Testament der Director der Galerie der Statuen, der Director der Laurcnziana und der Bürgermeister der Stadt ein¬ gesetzt. Von ihnen erhielt zuerst der Beamte an der Galerie der Statuen, I. C. Cavallucci, die Erlaubniß, den Nachlaß einzusehen, die Documente zu copiren und für den Druck vorzubereiten, zu welchem Geschäft ihm sein College Carlo Pini und Gaetano Milanesi, Mitglied der Crusca und Director des toscanischen Centralarchivs beigegeben wurden. Carlo Milanesi konnte schon im ersten Hefi des ^iclrivio storiev vom Jahre 1861 berichten, daß die Co- Pirung und Sichtung vollendet und die ganze Sammlung druckfertig sei. Nach¬ dem nun die Sache so weit gediehen, die florentinischen Gelehrten ausgedehnte Einsicht von den Schätzen genommen, ist in der That nicht mehr einzusehen, was der Herausgabe im Wege stehen soll. Mit Recht sagt C. Milanesi: „offen¬ bar Halle Buonarroti mit seiner Schenkung die Absicht, für die bessere Erbat- 37*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/299>, abgerufen am 28.05.2024.