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Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band.

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schreien und schreiben wider die neue Landschaft, legen auch wohl die etwa
angenommene Landschaftsrathstclle mit Ostentation nieder, wenn die allzuhohe
Taxe eines befreundeten Gutes einer Revision unterworfen wird, belagern aber
dabei doch die "preußische Landschaft" mit Anträgen auf Darlehen; denn Alles
kann der Pole fürs Vaterland: schreiben, reden, sich national putzen, demon-
striren, trauern, trinken, beten, Processionen halten, nur nicht Geld entbehren.
Wenn er dessen bedarf, leistet selbst Herr v. Niegolewski beim Krcisgericht zu
Grätz den Homagialeid ohne Verwahrung. Fragen Sie nur unsre so schon mit
Arbeit überlasteten deutschen Kreisrichter, die mehr als eine Nacht, mehr als
einen Sonntag daran setzen, um halbbankervtten polnischen Edelleuten recht
rasch zu Gelde zu verhelfen. Auffallend ist es, daß deutsche Besitzer solche Zu-
muthungen nicht machen, polnische Richter sie den "Brüdern" nicht erfüllen, und
daß unsre politischen Herren sie so rasch vergessen. Wir haben sie aus den
Landtagen nie davon reden hören.

Eine zweite Gelegenheit zur Germanisirung bot das Jahr 1830, in wel¬
chem die Mehrzahl des polnischen Adels unsrer Provinz die Schwere des Ge¬
setzes aus sich herabzog. 1402 Personen wurden zur Güterconsiscation und zu
Freiheitsstrafen verurtheilt, darunter sind 1200 völlig begnadigt worden. Die
Güter wurden nur 22 Besitzern vorbehalten; sie hatten dieselben einzulösen,
indem sie den fünften Theil des Werths an die Staatskasse zahlten. Dieser
sind 'dadurch im Ganzen 60,000 Thlr. zugeflossen, die zu Provinzialzwecken ver¬
wendet worden sind. Dabei trug sich das Wunderliche zu, daß die, welche arm
ins Gefängniß gegangen waren, reich daraus zurückkehrten. Die königlichen Guts¬
verwalter hatten durch treuen Fleiß die Domainen aus dem kläglichen Zustande
herausgearbeitet, in den sie durch ihre Besitzer gekommen waren. In den Jah¬
ren 1846--48 hat sich das wiederholt.

Die polnischen Unruhen von 1830--ZI hatten nicht nur den preußisch¬
polnischen Landadel stark angegriffen, sondern auch erschüttert. Hätte die Re¬
gierung diesen Umstand einfach ignorirt, so wären die entwerthetcn Güter von
selbst in deutsche Hände gekommen. Statt dessen beschloß die Behörde als
Käuferin aufzutreten, theils um die auf einzelnen Gütern eingetragenen fisca-
lischen Gelder zu retten, theils um die Gutspreise zu steigern, theils um solcher¬
gestalt wohlgesinnte, der Landescultur förderliche Männer dem Großherzogthum
zuzuführen. Die gekauften Güter wurden entweder zur Verbesserung der Lage
der vorhandenen, meist polnischen Bauern durch Regulirung ihrer Verhältnisse,
Vergrößerung zu kleiner Stellen durch Vorwcrksgrundstücke und Ermäßigung
ihrer Leistungen benutzt, oder an geeignete Erwerber parzcllirt oder im Ganzen
überlassen. Die bäuerlichen Renten und, wo sie zur königlichen Verwaltung
geeignet erschienen, auch die Forsten wurden dem Staate vorbehalten.

Wäre derselbe dabei wirklich germanistrungslustig gewesen, so würde


schreien und schreiben wider die neue Landschaft, legen auch wohl die etwa
angenommene Landschaftsrathstclle mit Ostentation nieder, wenn die allzuhohe
Taxe eines befreundeten Gutes einer Revision unterworfen wird, belagern aber
dabei doch die „preußische Landschaft" mit Anträgen auf Darlehen; denn Alles
kann der Pole fürs Vaterland: schreiben, reden, sich national putzen, demon-
striren, trauern, trinken, beten, Processionen halten, nur nicht Geld entbehren.
Wenn er dessen bedarf, leistet selbst Herr v. Niegolewski beim Krcisgericht zu
Grätz den Homagialeid ohne Verwahrung. Fragen Sie nur unsre so schon mit
Arbeit überlasteten deutschen Kreisrichter, die mehr als eine Nacht, mehr als
einen Sonntag daran setzen, um halbbankervtten polnischen Edelleuten recht
rasch zu Gelde zu verhelfen. Auffallend ist es, daß deutsche Besitzer solche Zu-
muthungen nicht machen, polnische Richter sie den „Brüdern" nicht erfüllen, und
daß unsre politischen Herren sie so rasch vergessen. Wir haben sie aus den
Landtagen nie davon reden hören.

Eine zweite Gelegenheit zur Germanisirung bot das Jahr 1830, in wel¬
chem die Mehrzahl des polnischen Adels unsrer Provinz die Schwere des Ge¬
setzes aus sich herabzog. 1402 Personen wurden zur Güterconsiscation und zu
Freiheitsstrafen verurtheilt, darunter sind 1200 völlig begnadigt worden. Die
Güter wurden nur 22 Besitzern vorbehalten; sie hatten dieselben einzulösen,
indem sie den fünften Theil des Werths an die Staatskasse zahlten. Dieser
sind 'dadurch im Ganzen 60,000 Thlr. zugeflossen, die zu Provinzialzwecken ver¬
wendet worden sind. Dabei trug sich das Wunderliche zu, daß die, welche arm
ins Gefängniß gegangen waren, reich daraus zurückkehrten. Die königlichen Guts¬
verwalter hatten durch treuen Fleiß die Domainen aus dem kläglichen Zustande
herausgearbeitet, in den sie durch ihre Besitzer gekommen waren. In den Jah¬
ren 1846—48 hat sich das wiederholt.

Die polnischen Unruhen von 1830—ZI hatten nicht nur den preußisch¬
polnischen Landadel stark angegriffen, sondern auch erschüttert. Hätte die Re¬
gierung diesen Umstand einfach ignorirt, so wären die entwerthetcn Güter von
selbst in deutsche Hände gekommen. Statt dessen beschloß die Behörde als
Käuferin aufzutreten, theils um die auf einzelnen Gütern eingetragenen fisca-
lischen Gelder zu retten, theils um die Gutspreise zu steigern, theils um solcher¬
gestalt wohlgesinnte, der Landescultur förderliche Männer dem Großherzogthum
zuzuführen. Die gekauften Güter wurden entweder zur Verbesserung der Lage
der vorhandenen, meist polnischen Bauern durch Regulirung ihrer Verhältnisse,
Vergrößerung zu kleiner Stellen durch Vorwcrksgrundstücke und Ermäßigung
ihrer Leistungen benutzt, oder an geeignete Erwerber parzcllirt oder im Ganzen
überlassen. Die bäuerlichen Renten und, wo sie zur königlichen Verwaltung
geeignet erschienen, auch die Forsten wurden dem Staate vorbehalten.

Wäre derselbe dabei wirklich germanistrungslustig gewesen, so würde


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 22, 1863, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341797_187493/382>, abgerufen am 28.05.2024.